Die KI-Revolution als Politikum
Halbleiter: Das Öl des 21. Jahrhunderts

| Redaktion 
| 14.03.2024

Neben State-of-the-Art-Grafikprozessoren sind fortschrittliche Halbleiter eine technische Voraussetzung für generative Künstliche Intelligenz auf hohem Niveau. Dass der derzeit unverzichtbare Weltmarktführer exklusiv in Taiwan produziert, sorgt für eine Aufholjagd in Europa und den USA. Und was wäre eigentlich, wenn China das Nachbarland kurzerhand einnimmt?

In den Neunzigern sind Videospiele im großen Stil in die dritte Dimension vorgedrungen. Wer seinem Hobby am liebsten am PC nachgeht, denkt deshalb womöglich schon seit Jahrzehnten häufiger über Grafikprozessoren nach, als man Uneingeweihten gegenüber zugeben möchte: Die meist als GPU (Graphics Processing Unit) abgekürzten Bestandteile tragen wesentlich zum hohen visuellen Standard bei, den viele Gamer heutzutage gewohnt sind. Szeneintern kann die Veröffentlichung einer neuen Hochleistungs-Grafikkarte deshalb mitunter eine Aufregung auslösen, die man im Massenmarkt eher von bestimmten Smartphone- oder Sneaker-Launches gewohnt ist.

Unangefochtener Branchenprimus ist das 1993 gegründete US-Unternehmen Nvidia. Die in Kalifornien ansässige Firma kann für das vergangene Geschäftsjahr einen Umsatz von mehr als 60 Milliarden US-Dollar verzeichnen. GPU-Mitbewerber wie AMD oder Intel werden mit einem Marktanteil von derzeit etwa 80 Prozent (laut Jon Peddie Research) entschieden in die Schranken gewiesen.

Grafikprozessoren von Nvidia unterstützen neben zahllosen PCs auch die Nintendo Switch und Nvidias hauseigene Shield-Konsole; abseits des Gaming kommen sie beim Cloud Computing oder bei aufwändigen Simulationen zum Einsatz. Dass das Unternehmen und sein Produkt mehr denn je in aller Munde zu sein scheinen, hat jedoch noch einen anderen Grund: Auch zur Entwicklung von generativer Künstlicher Intelligenz sind effiziente GPUs unerlässlich.

Das Ökosystem der KI-Revolution

Ein lesenswertes Editorial von Olivier de Berranger und Adrian Bommelaer, CEO beziehungsweise Fondsmanager bei der französischen Vermögensverwaltungsgesellschaften La Financière de l'Echiquier (LFDE), geht näher auf die wohl wichtigsten Player in der KI-Revolution ein.

Dort spielen die US-Amerikaner von Nvidia trotz ihrer individuellen Marktführerschaft keinesfalls die alleinige Hauptrolle: Das "dominante Ökosystem", das sich den beiden Autoren zufolge abzeichnet, wird durch die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) und Advanced Semiconductor Materials Lithography (ASML) aus den Niederlanden komplettiert.

Sogenannte Wafer, also Scheiben aus Halbleiter-Material, die zur Fertigung benötigt werden (Bild: Taiwan Semiconductor Manufacturing Co., Ltd.)

Letztere sind der weltgrößte Anbieter von Lithographiesystemen für die Halbleiterindustrie und verkaufen ihre leistungsfähigste Maschine für eine Viertelmilliarde US-Dollar – Stückpreis, wohlgemerkt. Auf ASML-Expertise setzt TSMC wiederum: Das Unternehmen betreibt in Taiwan die einzigen Fertigungsanlagen der Welt, in denen ausreichend fortschrittliche Halbleiter produziert werden können. Der Bau eines dieser Werke verschlingt rund zehn Milliarden US-Dollar.

Das LFDE-Editorial spricht in diesem Zusammenhang von den "Fantastischen Drei", denn alle erfreuen sich derart deutlicher Wettbewerbsvorteile, dass sie im Zuge des KI-Innovationszyklus vermutlich kaum von ihrem jeweiligen Thron zu stoßen sind. Gleichzeitig könnte diese Sonderstellung womöglich Begehrlichkeiten auf den Plan rufen, die weit über Wirtschaft hinausgehen.

Kontrolle über Halbleiter: Grund für einen Krieg?

Bommelaer und de Berranger wittern das größte Risiko für das beschriebene Ökosystem nicht etwa von technologischer, sondern geostrategischer Seite. Dabei stellen sie einen Vergleich mit Öl an – nur, dass es im voranschreitenden 21. Jahrhundert die Länder mit der stärksten Rechenleistung sind, die wortwörtlich weltbewegende Vorteile genießen dürften. Deshalb halten die Autoren für denkbar, dass Protektionismus einzelner Regierungen eine (eigentlich wünschenswerte) globale Tech-Zusammenarbeit mittelfristig ausbremst.

Schon jetzt bemühen sich sowohl die USA als auch Europa jeweils mit einem mittleren zweistelligen Milliardenbetrag um einen besseren Stand in der eigenen Halbleiterproduktion. Allein in Deutschland sollen fünf Milliarden Euro in eine Partnerschaft mit TSMC investiert werden, die die Region Dresden idealerweise zum "europäischen Silicon Valley für Computerchips" formt.

Eindruck aus der Produktion bei TSMC (Bild: Taiwan Semiconductor Manufacturing Co., Ltd.)

Vor allem aufgrund seiner geographischen und politischen Nähe zu Taiwan ist China zudem ein weiterer Akteur auf der Weltbühne, der dringend zu beobachten ist: LFDE zufolge krankt die chinesische Halbleiterproduktion unter anderem an den Bemühungen der Vereinigten Staaten, der Volksrepublik den Zugang zu hochleistungsfähiger ASML-Maschinerie zu erschweren.

Würde China die international häufig befürchtete Einnahme von Taiwan umsetzen, könnte es TSMC kontrollieren und sein Halbleiterproblem so gesehen auf einen Schlag lösen – allerdings dürfte sich der Zugriff auf Nvidia- und ASML-Produkte durch einen Angriffskrieg wiederum deutlich komplizierter darstellen. Die LFDE-Fachmänner befinden abschließend: "Vom Glück der Globalisierung kann kaum noch die Rede sein."

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