Die schlechte Zahlungsmoral ist ein Indikator für die wirtschaftlichen Herausforderungen vieler Unternehmen. Eine Untersuchung von Crif bei über 540.000 deutschen Firmen zeigt, dass der Verzug bei der Rechnungszahlung in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Der Untersuchung zufolge dauerte es im ersten Halbjahr 2024 durchschnittlich 53,2 Tage, bis Unternehmen ihre Rechnungen begleichen – fast acht Tage mehr als im Vorjahr. "Das ist eine der signifikantesten Erhöhungen der letzten Jahre“, erklärt Frank Schlein, Deutschlandchef von Crif dem Handelsblatt. Laut Schlein besteht die Gefahr eines Dominoeffekts, wenn Unternehmen aufgrund verspäteter Zahlungen in Liquiditätsschwierigkeiten geraten und selbst Rechnungen nicht mehr begleichen können. Die Folge: Jedes vierte Insolvenzverfahren in der EU ist auf verspätete Zahlungen zurückzuführen, so die EU-Kommission.
Besonders betroffen sind demnach kleine und mittelständische Unternehmen, die aufgrund ihrer geringen Kapitaldecke schneller in existenzielle Not geraten, wenn große Kunden ihre Rechnungen nicht pünktlich begleichen. Schlein betont: "Schlechte Zahlungsmoral ist ein Frühindikator für Insolvenzen.“ Besonders im Gastgewerbe und der Immobilienbranche wird dies sichtbar, wo es häufig zu Zahlungsausfällen kommt.
Immobilienbranche und Gastronomie besonders betroffen
Die Problematik zeigt sich exemplarisch am Fall von Alexander Kappes, einem mittelständischen Ingenieur. Seine Firma Kappes ipg koordinierte Bauarbeiten am Berliner Femina-Palast, einem Projekt des Immobilienkonzerns Signa. Doch bereits Monate vor Signas Insolvenzantrag im November 2023 blieben Kappes’ Rechnungen unbezahlt. Fast 470.000 Euro schuldet Signa seinem Unternehmen, das den Verlust eines ganzen Jahresgewinns hinnehmen musste. "Es ist bitter“, sagt Kappes. Nur durch Rücklagen und langfristige Planung konnte das Ingenieurbüro die Zahlungsausfälle überstehen.
Auch im Gastgewerbe spitzt sich die Lage zu. Laut Crif zahlen gastronomische Betriebe ihre Rechnungen durchschnittlich 34,6 Tage später als vereinbart. Für das Jahr 2024 rechnet die Wirtschaftsauskunftei mit 1190 Insolvenzen in der deutschen Gastronomie – ein Anstieg von 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Die Lage ist ähnlich in der Immobilienbranche: Große Unternehmen wie Signa oder andere Entwickler verschieben ihre Zahlungen und treiben damit kleine Lieferanten und Dienstleister in die Krise. Der Zahlungsverzug in der Immobilienbranche liegt bei durchschnittlich 30,6 Tagen, im Baugewerbe sogar bei 31,1 Tagen. Das führt nicht nur zu Liquiditätsengpässen, sondern auch zu einem Investitionsstau, der die gesamte Wirtschaft lähmen kann.
Kollaps in der Gesundheitsbranche
Auch im Gesundheitssektor wird die Krise spürbar. Laut der Restrukturierungsberatung Falkensteg gab es im ersten Halbjahr 2024 bereits 17 Insolvenzen von Gesundheitsunternehmen mit einem Jahresumsatz von über zehn Millionen Euro – ein Anstieg von 31 Prozent. Diese Zahlen zeigen, dass selbst der traditionell stabile Gesundheitssektor unter den finanziellen Belastungen durch schlechte Zahlungsmoral leidet.
EU plant Gegenmaßnahmen
Um die dramatische Situation in den Griff zu bekommen, plant die EU-Kommission eine Reform der Zahlungsfristen. Eine neue Verordnung soll die bisher geltenden Zahlungsziele deutlich verkürzen. Ziel ist es, die Fristen auf 30 Tage zu begrenzen, um kleine und mittlere Unternehmen (KMU) besser vor den Machenschaften großer Konzerne zu schützen, die oft ihre Zahlungsziele zu Ungunsten kleinerer Zulieferer ausdehnen. Der Vorschlag sieht vor, dass Verzugszinsen und Entschädigungen künftig verpflichtend werden.
Widerstand aus der Wirtschaft
Doch nicht alle begrüßen diese Pläne. Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen (BGA), warnt davor, dass zu starre Zahlungsfristen kleinere Unternehmen in Bedrängnis bringen könnten. Besonders im Bauwesen, wo lange Zahlungszyklen die Norm sind, könnten kürzere Zahlungsziele zu Liquiditätsengpässen führen. Der Kreditversicherer Allianz Trade schätzt, dass europäische Unternehmen bei einer Frist von 30 Tagen rund zwei Billionen Euro an zusätzlichen Finanzmitteln benötigen würden, um ihre Rechnungen pünktlich zu begleichen. Das könnte die Zinslast erheblich erhöhen und am Ende zu Preiserhöhungen führen.
Die Folgen für KMU
Kleinere Unternehmen leiden besonders unter der schlechten Zahlungsmoral großer Firmen. "Je größer das Unternehmen, desto eher nutzt es seine Marktmacht, um Zahlungen hinauszuzögern“, erklärt Schlein. Das treibt kleine Unternehmen oft an den Rand des Ruins, denn sie werden unfreiwillig zu Kreditgebern ihrer Kunden. Die Folge sind Liquiditätsengpässe und Investitionsstopps, die langfristig das gesamte Wirtschaftswachstum bremsen.
Für viele Unternehmer wie Alexander Kappes oder Oliver Popp, der wegen unbezahlter Rechnungen eines Klinikums in die Krise geriet, ist klar: Die aktuelle Situation erfordert dringend Maßnahmen, um die Zahlungsmoral wieder zu verbessern und die Existenz kleiner Betriebe zu sichern. Doch ob und in welcher Form die EU-Verordnung zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs tatsächlich umgesetzt wird, bleibt ungewiss.
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