LEADERSNET: Ihr neues Buch erscheint am 20. März. Warum ist es ein MUSS für Marketeers?
Stefanie Kuhnhen: Weil es dringend an der Zeit ist, unsere Tools aus den 60ern upzudaten und unsere eigene Zunft zukunftsfähig zu machen. Beispiel: Wenn das ganze Unternehmen auf Kreislaufwirtschaft umstellen wird, dann muss auch Marketing in Kauf und Nutzung denken. Und wie es nachhaltigere Märkte, die effizienter, konsistenter und suffizienter mit Ressourcen umgehen, fördert. Wenn wir das ignorieren und weiter in der alten Logik Verkaufen, Verschwenden, Wegwerfen agieren, passen wir nicht mehr zum upgedateten Unternehmen!
LEADERSNET: Fernab der Fachthemen – ist es auch für andere Leser:innen spannend?
Stefanie Kuhnhen: Da Werbung Teil der (Pop-)Kultur ist, ist es sicherlich in großen Teilen für viele interessierte Leser:innen und Unternehmer:innen gewinnbringend und unterhaltsam zugleich. Die Kapitel 1-3, 5 und 6 greifen diese Aspekte auf: Hier geht’s um die Geschichte und Rolle des Marketings, was heute eigentlich passiert und Zeitgeist ist, wie Werbung sich verändern muss, um Verhalten in die Zukunft zu begleiten, und wie das alles ohne Greenwashing geht. Die restlichen drei Kapitel haben Fachbuch-Tiefe.
LEADERSNET: Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in der Werbung?
Stefanie Kuhnhen: Gerade rund um 2019, als wir mit unseren Kindern und Fridays for Future für eine nachhaltigere Zukunft auf die Straße gingen, eine sehr große. Denn Werbung entwickelt sich immer mit dem Zeitgeist – und wenn nachhaltig sein populär ist, ist die Werbung es auch. Damals war Marketing als Brücke zu den Menschen dadurch auch oft Vorreiter im Unternehmen. Das war Segen, aber auch Fluch: Denn die Produktpalette und Geschäftsmodelle haben die dort gemachten, punktuellen Versprechen oft nicht in der Breite einlösen können. So ist Greenwashing und dann in der Folge Greenhushing entstanden: Die Unternehmen haben wegen des Risikos zusehends aufgehört, über Nachhaltigkeit zu kommunizieren. Auch das ist eine Gefahr, denn wir müssen gemeinsam über Nachhaltigkeit reden, von den Innovatoren lernen und sie weiter cool machen – denn sie ist verdammt cool, weil sie unser aller Leben verbessert. Insofern habe ich ein großes Interesse, dass die von uns selbst undurchsichtig gemachten Märkte wieder funktionieren und die Unternehmen, die wirklich nachhaltig sind, das auch erkennbar kommunizieren können – und die, die nur so tun, auch entlarvt werden. Das müssen wir neu erreichen. Plus Preisparität von konventionellen und regenerativen Produkten – dann schaffen wir die nötige Transformation.
LEADERSNET: Wie findet man den Mittelweg zwischen Werten und Gewinnmaximierung?
Stefanie Kuhnhen: Werte sind Werte und Gewinnmaximierung ein unternehmerisches Ziel. Kurzum: Zwei komplett unterschiedliche Dinge. Ich sollte nach meinen Werten agieren und Unternehmer:innen wissen, dass Zukunftsfähigkeit des Unternehmens ein Kernwert ist. Wenn es dafür nötig ist, von einer blinden Gewinnmaximierung als Ziel abzusehen, mich aber einem ausreichenden Gewinn zuzuwenden, der mir eine Zukunftsfähigkeit in den aktuellen Marktbedingungen zusichert, dann habe ich schon beides vereint.
LEADERSNET: Was braucht es, damit Werbung die Menschen berührt?
Stefanie Kuhnhen: Wir sind emotionale Wesen. Also: Emotionen. Geschichten, die mich berühren und so hängenbleiben. Wenn Marken immer wieder die gleichen Gefühle und Assoziationen über neue Geschichten wecken, bauen sie wichtige Gedächtnisstrukturen auf bei den Menschen, die ihre Marke einzigartig machen. Und dazu führen, dass man an sie denkt, wenn man in dem Bereich etwas kaufen möchte.
LEADERSNET: Wie beeinflusst KI Ihre tägliche Arbeit? Wann kommt hier der Mensch ins Spiel?
Stefanie Kuhnhen: KI zieht dieses Jahr mit Nachdruck in unsere Marketingpraxis ein: Von Insight-Generierung, über Ideation, bis hin zu Produktion. Agenten werden das zusehends übernehmen und auch miteinander in den Austausch gehen. Menschen verknüpfen, kontrollieren, optimieren in diesem Prozess.
LEADERSNET: Und welche Rolle spielt Ethik?
Stefanie Kuhnhen: Ethik ist ein großes Thema und geht da los, womit die KI gefüttert wird. Hier haben wir – und braucht es aber v.a. branchen-, länder- und weltumspannende – Standards. Der European AI Act versucht ja genau das.
Für Nachhaltigkeit spielt KI eine Schlüsselrolle (komplexe Daten verarbeiten) und umgekehrt KI für Nachhaltigkeit auch (erhöhten Strombedarf ökologisch decken). Erste Studien zeigen daher, dass "Twin Transformers", die beides auf einmal gestalten, deutlich schneller erfolgreich und v.a. auch glaubwürdiger nach Innen und Außen sind. Insofern sollte man beides zusammen denken. Generell sind aus meiner Sicht Technologie ohne Ethik, Daten ohne Schutz und Nachhaltigkeit ohne echte systemische Lösungen unverantwortungsvoll und daher die drei Hauptaufgaben, die wir im Marketing genau jetzt alle gleichzeitig zu lösen haben.
LEADERSNET: Welche Trends und Entwicklungen sehen Sie in der Kommunikation in den nächsten fünf Jahren? Wie bereitet sich Serviceplan darauf vor?
Stefanie Kuhnhen: KI wie eben beschrieben: Es revolutioniert unsere komplette Marketingproduktion und -denke. Wir investieren daher nachhaltig in unsere eigenen, sichereren Tools und Upskilling der Mitarbeitenden.
Zweites: Nachhaltigkeit, weil wir die Unternehmen hier unterstützen können: Wie sie das Thema in ihren Markenkern integrieren, wie sie Märkte nachhaltiger gestalten – wie eben zu Beginn besprochen – und wie sie begeisternde Geschichten ohne Greenwashing erzählen! Und natürlich, wie sie die eigene Lieferkette säubern, damit der CO₂-Fußabdruck minimiert werden kann – gerade im digitalen Bereich wichtig, hier trägt die digitale Werbewirtschaft zu 3,5 Prozent der globalen Emissionen bei! Das ist mehr als der Flugverkehr (2,5 Prozent). Hier haben wir bereits seit zwei Jahren mit TheGoodLine das integrierteste nachhaltige Marketingangebot am Markt und optimieren es stetig.
Als drittes würde ich noch Cultural Marketing nennen: Marken baut man heute nicht mehr übers reine Senden. Marken sind heute "Wikibrands", die über Communities wachsen, indem sie ihnen echte Mehrwerte bieten, Teilhabe ermöglichen und so langfristig nativer Teil von ihnen werden. Dieser Community-Aufbau muss gelernt und konsequenter gelebt werden.
Alles drei wird uns die nächsten Jahre in unterschiedlichen Wellen begleiten.
LEADERSNET: Was erwarten Kunden heute von einer innovativen Agentur wie Serviceplan?
Stefanie Kuhnhen: Unsere Kunden erwarten heute folgerichtig von uns, dass wir die ganze Marketingklaviatur über Creative, Content, Data, Tech und Plattform für sie aus einer Hand individuell zusammenstellen können. Dass wir mit ihnen und anderen Dienstleistern in einem Team nahtlos zusammenarbeiten. Denn Marketing wird immer schneller und komplexer. Um kosteneffizient und in Echtzeit zu agieren, müssen wir die richtigen, besten Expert:innen für Kunden als ein Team aufbauen. Das machen wir mit unserem jahrzehntelang gewachsenen House of Communication Konzept, in dem wir durch die Vielfalt unserer Expert:innen von Serviceplan, Plan.Net und Mediaplus wunderbar "übercreative" zusammen sein können – und das schnell und effizient, weil wir unter einem Dach sitzen.
LEADERSNET: Wie kann Marketing unserer Gesellschaft in Zukunft helfen, ihre "Superpower" zu nutzen?
Stefanie Kuhnhen: Sie meinen die Superpower unserer Gesellschaft? Die ist Kooperation! Das hat die Menschen jeher stärker gemacht. Insofern würde ich sagen: Geschichten des gemeinsamen Kräftebündelns und Kooperierens erzählen. Und wofür wir das tun: Weil die Zukunft besser sein kann als das Leben heute. Wenn wir das gut verknüpfen und mit unserem Einfluss, den wir auf die Kultur unseres Landes, Europas, der Welt haben, verbinden, dann setzen wir unsere einzigartige Superpower jeden Tag richtig ein!
LEADERSNET: Sie sind 2022 von Grabarz & Partner zur Serviceplan Group gewechselt. Was hat Sie dazu bewegt?
Stefanie Kuhnhen: Um zeitgemäß agieren zu können, wollte ich mit der Entwicklung des Marketings genau diesen breiten Werkzeugkasten der Serviceplan Group unter einem Dach unmittelbar für Kundenerfolg einsetzen können. Und das auch internationaler und unbedingt in einem unabhängigen, unternehmerischen Rahmen, wie wir es als Familien- und Partnerunternehmen sind. Dazu wollte ich mit diesen Grundvoraussetzungen das nachhaltigste, integrierteste Marketingangebot in Deutschland bauen – das ist uns mit TheGoodLine dann auch 2024 gelungen. Jetzt fangen wir an, es zu internationalisieren. Das ist mir eine wirkliche Herzensangelegenheit, denn Nachhaltigkeit wird sich mit der exponentiell wachsenden Klimakrise über die Risiken, die dadurch entstehen, in die Geschäftsmodelle der Unternehmen reinfräsen – und wir werden aus Marketingsicht die Zukunftsfähigkeit der Marken umfassend unterstützen können. Mit unseren Marketing-Talenten etwas zu tun, was wirklich zählt – das ist doch das Größte und der Antreiber für mich.
LEADERSNET: Welche Persönlichkeiten oder Projekte inspirieren Sie?
Stefanie Kuhnhen: Gandhi, Jesus (um mal ganz früh und groß zu starten), Maja Göpel, Godo Röben, Paul Polman und weitere Unternehmer:innen, die mutig erfolgreiche Change Brands bauen wie Liquid Death, Vaude, KoRo, Oatly, Ecosia u.v.m. Sie machen ihre Marken zukunftsfähig, indem sie mutig Innovationen umsetzen, sich klar auf Nachhaltigkeit fokussieren und den Wandel nicht als Risiko, sondern als Chance begreifen. Und sie alle, inklusive der ersten beiden, setzen sich in Bezug zur Welt, leben eine große Ambition und Verantwortung in einem und schauen mit einem guten Auge auf die Menschen und die Welt.
LEADERSNET: Wie halten Sie sich in einem sich ständig verändernden Marketingumfeld auf dem Laufenden?
Stefanie Kuhnhen: Da ich einen sehr eng getakteten langen Tag mit Familie, Firma und Freunden habe, v.a. mit Podcasts. Sie kann ich wunderbar zwischendrin beim Reisen, Pendeln und Sporteln hören. Daraus erfahre ich auch die aktuellen Buchtipps – pro Urlaub werden davon dann so drei bis vier verschlungen. Das ermöglicht mir dann, neben der Breite auch in die Tiefe einzusteigen.
LEADERSNET: Was motiviert Sie persönlich in Ihrer Arbeit?
Stefanie Kuhnhen: Wirkung. Ich möchte ganz klar mit dem, was ich tue, einen guten Unterschied machen. Wenn mir, wenn uns das gelingt, bin ich erfüllt und dankbar. Mit dem Buch, das das Marketing-Mix-Modell für die Zukunft erneuert, und TheGoodLine als Offering kann ich das für Kundenerfolg auf eine ganz neue Ebene heben. Das macht mich wirklich glücklich.
LEADERSNET: Welche Ziele haben Sie für die Zukunft bei Serviceplan?
Stefanie Kuhnhen: Immer mehr Kunden in diesen existentiellen Umbruchzeiten zukunftsfähig zu machen. Und sie auf diesem Weg mit den richtigen strategischen Impulsen aus Marketing und Markenkraft zur richtigen Zeit zu begleiten. Es wird am Ende dazu führen, dass immer mehr Marken sich auf den Weg vom konventionellen zu einem regenerativen Geschäftsmodell machen und damit auch Märkte und Menschen verändern. Denn das ist in der sich aktuell verändernden Welt der einzige langfristige Weg nach vorn. Wenn das mein vermehrter Beitrag sein kann, wäre das wunderbar!
LEADERSNET: Laut LinkedIn leben Sie eine Bottom-Up-Kultur. Warum?
Stefanie Kuhnhen: Diesen Begriff nutzen wir in dem von mir 2018 mit gegründeten Start-up Kokoro. Es ist eine Anwendung, die Teamperformance verbessert, weil sie nachweislich entscheidende Treiber wie psychologische Sicherheit, Zugehörigkeitsgefühl und Flow verbessert. Hier setzen wir im Gegensatz zu bisherigen Führungsmodellen eben nicht auf einen Top-Down-, sondern auf einen Bottom-Up-Ansatz: Wir helfen Teams, sich mit unserer Anwendung selbst helfen zu können. Das macht die nötige Veränderung viel stärker und nachhaltiger, als wenn alle auf die Chefin oder den Chef gucken und warten.
LEADERSNET: 2018 haben Sie das Coaching-Unternehmen Kokoro gegründet. Welche Rolle spielt das Thema Coaching heute noch bei Ihnen?
Stefanie Kuhnhen: Erlauben Sie mir zunächst eine kleine Korrektur: Bei Kokoro steht die technische Anwendung im Fokus, das Bottom-Up-Healing der Teams, nicht das Coaching selbst. Letzteres wird aber oft v.a. zu Beginn und als Enablement begleitend eingesetzt. Grundsätzlich spielt Coaching eine große Rolle bei mir: Zum einen habe ich immer ein bis zwei Mentees, die ich pro Jahr begleiten darf. Und zum anderen nutze ich selbst zweimal pro Jahr ein intensives Business Coaching. Es hilft, sich selbst aus der aktuellen Situation rauszunehmen, zu reflektieren, sich in Bezug zu setzen und zu lernen. Ich bin fest überzeugt, dass es heute als Führungskraft ohne gar nicht mehr geht, da man sich im Sinne der persönlichen Wirkung in diesen schnellen Zeiten immer wieder klar kalibrieren sollte.
LEADERSNET: Sie sind u. a. eine der "Top 100 Persönlichkeiten in Werbung & Marketing". Was bedeuten Ihnen solche Auszeichnungen?
Stefanie Kuhnhen: Sie sind natürlich eine Anerkennung für meine Arbeit. Die genannte, weil mich die Kategorie "Umkremplerin" hier sehr gefreut hat. Oder vor allem die "Frauen und Männer des Jahres" beim Horizont Award 2015 waren nach einer anstrengenden Zeit und daraus entstehenden Erfolgen für uns als Führungsteam ein wichtiger Meilenstein, um mal kurz gemeinsam innezuhalten. Denn die Gefahr ist ja immer, dass man einfach weiterläuft und das wichtige Erfolge feiern auslässt.
Darüber hinaus steht im Zentrum für mich immer mein Wirken, wie ich den Anteil der zukunftsfähigen Unternehmen in der Wirtschaft mit der starken Kraft der Marke erhöhen kann. Dafür ist der Wandel zur regenerativen Marke inzwischen entscheidend. Das ist mein persönlicher KPI und KEI – mein Performance und mein Emotional Indicator, sozusagen.
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