Harte Preiskämpfe
Erhebung: Aktionitis im deutschen Lebensmittelhandel artet aus

| Redaktion 
| 04.08.2024

Aktuelle Nielsen-Daten lassen die Lebensmittelbranche aufhorchen: Die Sonderangebote im ersten Halbjahr erreichen ein All Time High. Zu viele Produkte werden demnach über Aktionen verkauft, warnen Experten. Ist der Höhepunkt erreicht?

Im ersten Halbjahr 2024 wurden sechs von zehn Packungen Bohnenkaffee im Sonderangebot verkauft. Diese Entwicklung verdeutlicht den intensiven Preiskampf im deutschen Lebensmittelhandel, wie aus Auswertungen der Marktforschungsunternehmen NielsenIQ (NIQ) und GfK für das Handelsblatt hervorgeht. Bohnenkaffee ist dabei keine Ausnahme: Die Anzahl der Sonderangebote ist im deutschen Einzelhandel so hoch wie seit Jahren nicht mehr, was auf den erbitterten Wettbewerb um Kunden zurückzuführen ist. Der Auswertung zufolge wurden 23 Prozent des Umsatzes mit Produkten des täglichen Bedarfs im ersten Halbjahr durch Sonderangebote erzielt.

Michael Gerling, Geschäftsführer des Handelsforschungsinstituts EHI, warnt vor den langfristigen Folgen dieser Entwicklung. Händler verdienen kaum oder machen sogar Verluste mit Sonderangeboten. „Wir kommen in eine Situation, die für den Handel gefährlich ist“, so Gerling. Insbesondere bei Markenprodukten ist der Preisdruck groß: Hier lag der Umsatzanteil von Aktionsartikeln bei fast 30 Prozent, während es vor zwei Jahren noch 27 Prozent waren.

Extreme Preisunterschiede zwischen Aktions- und Regalpreisen

Die Differenz zwischen Aktions- und Regalpreisen wird immer größer. So kostet beispielsweise Kerrygold Original Irische Butter im Angebot durchschnittlich 1,62 Euro, während der Normalpreis bei 3,39 Euro liegt – eine Ersparnis von über 52 Prozent, wie das Preisvergleichsportal Smhaggle analysiert hat. Im Durchschnitt kosten Markenprodukte im Angebot etwa 40 Prozent weniger als regulär.

Produkte mit dem höchsten Aktionsanteil im ersten Halbjahr 2024:

  1. Bohnenkaffee: 56%
  2. Pils: 49%
  3. Universalwaschmittel: 38%
  4. Kartoffelchips: 36%
  5. Butter: 36%
  6. Mozzarella: 27%
  7. Küchentücher: 26%
  8. Lachs: 23%

Quelle: Nielsen IQ Handelspanel, Handelsblatt

Die zunehmenden Rabattaktionen sind eine Reaktion auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten. Lebensmittel und alkoholfreie Getränke sind laut Statistischem Bundesamt seit Beginn des Ukraine-Krieges um ein Viertel teurer geworden. Eine Umfrage der Beratung Deloitte zeigt, dass fast jeder zweite Verbraucher besonders auf den Preis achtet. Auch der Konsumgüterkonzern Nestlé spürt den Druck, vor allem im unteren Einkommenssegment. Nestlé-Chef Mark Schneider bestätigt: „Es gibt Druck, vor allem im unteren Einkommenssegment.“

Dilemma für Händler und Markenhersteller

Langfristig könnten Händler und Hersteller jedoch Probleme bekommen. Die Unternehmen geraten in einen Preisspirale, aus der sie schwer herauskommen. Händler müssen immer mehr Rabatte bieten, um Kunden anzulocken, was die ohnehin niedrigen Gewinnmargen weiter schmälert. Auch die steigenden Energie- und Personalkosten erhöhen den Druck auf die Branche.

Für Markenhersteller stellt sich die Frage: Sollten sie die Nachfrage durch Rabatte erhöhen und weniger Geld einnehmen oder auf höhere Preise setzen und Kunden verlieren? Christoph Treiber, Konsumgüterexperte bei der Beratung OC&C, rät von dauerhaften Preissenkungen ab und empfiehlt stattdessen, in Promotions zu investieren, um mehr Käufer zu locken.

Markenartikel und Sonderangebote

Besonders oft werden Produkte wie Butter, Bier, Waschmittel, Chips und Pralinen im Angebot verkauft. Bei Pils-Bier etwa erzielt der Handel laut NIQ 49 Prozent seines Umsatzes mit Sonderangeboten. Veltins-Chef Michael Huber etwa kritisiert diese Entwicklung und betont, dass dies das Preisgefüge zerstört.

Der Handel und die Hersteller vereinbaren in ihren Gesprächen über die Einkaufskonditionen, wie oft Produkte im Angebot sind. Hersteller zahlen Werbekostenzuschüsse an die Händler, um deren geringere Einnahmen durch Sonderangebote auszugleichen. Den endgültigen Verkaufspreis legt jedoch der Händler fest, oft orientiert er sich dabei an den Aktionspreisen der Wettbewerber.

Ausblick

Branchenkenner gehen davon aus, dass der Rabatt-Trend anhalten wird. Der Höhepunkt der Inflation im Supermarktregal ist zwar erreicht, aber Produkte werden nur vereinzelt und geringfügig günstiger. Verbraucher können sich also weiterhin über zahlreiche Sonderangebote freuen. Edeka-Chef Markus Mosa erwartet jedoch, dass die Differenz zwischen Regal- und Aktionspreisen wieder sinken wird.

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