Yondr
Ein Beutel gegen Konzertfilmer und Schulgewalt

| Redaktion 
| 05.11.2024

Frustrierend viele Menschen filmen ganze Konzerte verwackelt und furchtbar klingend mit, um anschließend zweistellige Klickzahlen auf YouTube zu generieren. Das geht zu Lasten anderer Zuschauer und der gesamten Stimmung – ein Ärgernis unserer Zeit, das Yondr korrigieren will. Gleichzeitig ist die smartphonelose Durchführung von Live-Events wahrscheinlich nicht einmal das lukrativste Unterfangen des Unternehmens.

Vor wenigen Wochen hat ein kurzer Konzertmitschnitt des australischen Musikers Nick Cave für Online-Aufsehen gesorgt. Darin macht er seinem Unmut über die rege Handynutzung einiger Gäste Luft und fordert sie nach einigen Extra-Posen für die Kameras auf, die Geräte für den Rest des Abends verdammt nochmal in ihren Hostentaschen verschwinden zu lassen.

Falls das US-amerikanische Startup Yondr eine eifrige Akquise-Abteilung hat, geht vor Caves nächster Tour womöglich ein freundliches Empfehlungsschreiben an den Frontmann der Bad Seeds raus: Das 2014 in San Francisco gegründete Unternehmen hat es sich zum Ziel gesetzt, "lebendige, ablenkungsfreie Erfahrungen zu schaffen, die das Leben der Menschen bereichern" – und um dieses Ziel zu erreichen, soll der konstante Einfluss von Technologie in gewissen Momenten minimiert werden.

So funktioniert Yondr

Etwa bei Konzerten: Vergangene Woche hat die schwedische Rockband Ghost ihre laut eigenen Angaben bislang größte Welttournee angekündigt. Zu den fast 60 Stationen der Reise gehören unter anderem Frankfurt, München, Berlin, Oberhausen oder Hannover – und all diese Konzerte werden mithilfe von Yondr erlebbar sein, ohne dass man einen Blick auf das aufwändige Bühnenbild durch ein Meer aus Smartphones erhaschen muss.

Dazu müssen Konzertbesucher ihr Gerät beim Betreten der Veranstaltungshalle in einem zur Verfügung gestellten Yondr-Beutel platzieren. Dieser bleibt im als handyfrei deklarierten Bereich magnetisch verschlossen und kann erst außerhalb dieser Zone wieder geöffnet werden. Das Smartphone bleibt also durchgehend im eigenen Besitz, der Zugriff wird in einem gewissen Areal allerdings unmöglich gemacht.

Ein Yondr-Beutel samt Station zum "Aufschließen" (Bild: Yondr)
Ein Yondr-Beutel samt Station zum "Aufschließen" (Bild: Yondr)

Für Ghost stellt die kommende Welttournee nicht die erste Kooperation mit Yondr dar: Im September 2023 hat die Band Live-Material für ihren Musikfilm "Rite Here Rite Now" in Los Angeles aufgenommen und dabei auf die Dienste des Startups zurückgegriffen, um visuelle Leaks vor der Veröffentlichung des fertigen Werkes zu verhindern. Frontmann Tobias Forge hat der Anblick eines handyfreien Publikums dabei so gut gefallen, dass er das Erlebnis nun auf die gesamte Welttour übertragen möchte.

Auch hierzulande ist das Konzept keineswegs neu; schließlich griffen beispielsweise The Raconteurs in der Vergangenheit bereits auf Yondr zurück. Nachdem das Unternehmen im letzten Jahr auch Bob Dylan zu handyfreien Gigs in Flensburg, Magdeburg, Berlin und Krefeld verhalf, steht mit Ghost nun eine kontemporäre Genre-Größe auf der Kundenliste.

Die theatralische Show der Schweden könnte mit einem völlig darauf fokussierten Publikum anschauliches Demonstrationsmaterial für die Vorteile von Yondr bieten. Nicht mit ihrem Handy verwachsene Konzertenthusiasten dürfen auf einen wachsenden Trend hoffen.

Smartphones als Aspekt von Schulgewalt

Ins Leben gerufen wurde Yondr vor einem Jahrzehnt von Graham Dugoni, einem früheren Fußballspieler. Während sich auch Comedians wie Louis C.K. oder Dave Chappelle durch das Unternehmen gern vor Leaks ihres Materials schützen, ist der wahrscheinlich größte Geschäftstreiber abseits des Showbiz zu finden: Yahoo News berichtet, dass sich inzwischen mehr als 2000 Schulen in den USA auf Yondr verlassen, um handybedingte Ablenkungen der Schüler während des Unterrichts zu vermeiden.

Ablenkung ist in vielen Schulklassen offenbar nicht das größte Problem, das mit Smartphones zusammenhängt (Bild per KI erstellt)
Ablenkung ist in vielen Schulklassen offenbar nicht das größte Problem, das mit Smartphones zusammenhängt (Bild per KI für Leadersnet erstellt)

Unter Berufung auf GovSpend heißt es weiter, dass sich der Umsatz des Unternehmens durch Regierungsverträge, insbesondere mit Schulbezirken, innerhalb der letzten drei Jahr mehr als verzehnfacht hat und von 174.000 auf 2,13 Millionen US-Dollar geschossen ist. Sein Personal hat Yondr deshalb verdoppeln können, sodass nun etwa 80 Personen im Dienst des führenden Anbieters stehen.

Ein Abnehmer ist demnach die Akron Education Association, die ernstere Probleme als bloße Ablenkung dokumentiert: Präsidentin Patricia Shipe zufolge hängen Smartphones unmittelbar mit Gewalt an Schulen zusammen, da Auseinandersetzungen über soziale Medien verabredet und die Geräte anschließend zum Filmen von Schlägereien oder sogar Angriffen auf Lehrkräfte genutzt werden. Eine Vereinbarung über insgesamt 10.446 Yondr-Beutel war der Akron Education Association letztes Jahr deshalb 180.000 US-Dollar wert.

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