Deindustrialisierung als Chance
Auf diesem wegweisenden Sektor ist Deutschland Weltspitze

Die wirtschaftlichen Aussichten für Deutschland sind derzeit düster. Besonders die Industrie steht unter Druck. Doch es zeichnet sich ein Hoffnungsschimmer ab. Analysen der Deutschen Bank und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen: Inmitten der Krise kann Deutschland auf eine Stärke setzen, die im Zeitalter der Technologie immer wichtiger wird: die Investitionen in geistiges Eigentum.

Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), brachte es bei einem Klimakongress auf den Punkt: "Wir müssen die Augen öffnen vor der Tatsache, dass wir derzeit auf der Verliererstraße unterwegs sind.“ Diese Worte klingen nach Resignation, doch sie spiegeln die Realität vieler Unternehmen wider, die mit einem schrumpfenden Produktionsvolumen und sinkenden Investitionen in Sachgüter zu kämpfen haben. Doch ein aktueller Bericht der Deutschen Bank Research zeigt, dass es auch eine andere Seite gibt: Deutschland steigert seine Investitionen in geistiges Eigentum schneller als jede andere G7-Nation, einschließlich der USA. Dieser Bereich umfasst Patente, Urheberrechte und Marken, die langfristig die Innovationskraft und damit die Wertschöpfung der Industrie stärken.

Während die Sachinvestitionen – also in Gebäude, Maschinen und Anlagen – im vergangenen Jahr um sechs Prozent zurückgingen, stiegen die Investitionen in geistiges Eigentum um mehr als vier Prozent an. Damit hebt sich Deutschland von anderen Industrienationen ab. Daten der Deutschen Bank verdeutlichen den Unterschied: Keine andere große westliche Volkswirtschaft investiert derzeit so intensiv in immaterielle Güter. Deutschland steht diesbezüglich an der Spitze, gefolgt von den USA, Frankreich, Italien, Japan, Kanada und UK. Das könnte der Schlüssel sein, um die deutsche Industrie auf einen nachhaltigen Erholungskurs zu bringen.

Von "Bricks“ zu "Brains“

Die "extreme Schieflage zwischen materiellen und immateriellen Investitionen“, wie es die Deutsche Bank nennt, ist ein zentrales Merkmal der gegenwärtigen Entwicklung. Auf den ersten Blick scheinen die Zahlen alarmierend: Die Industrieproduktion sinkt, Investitionen in Anlagen und Infrastruktur brechen ein, und in einigen Sektoren werden Arbeitsplätze abgebaut. Doch ein genauerer Blick offenbart, dass dieser Rückgang nicht zwangsläufig den wirtschaftlichen Absturz bedeutet. Stattdessen könnte es Teil eines tiefgreifenden Wandels sein – weg von physischen Produkten hin zu Wissen, Forschung und Entwicklung.

„Deutschland bewegt sich von 'Bricks‘ zu 'Brains‘“, schreiben die Ökonomen der Deutschen Bank Research. Unternehmen richten ihre Geschäftsmodelle zunehmend auf Bereiche mit höherer Wertschöpfung und höheren Margen aus. Diese Aktivitäten basieren oft auf immateriellem Kapital, das schwerer zu greifen ist, aber in der digitalen und technologiebasierten Wirtschaft von entscheidender Bedeutung ist. Die Zunahme der Investitionen in geistiges Eigentum könnte daher der Wegbereiter für eine stabilere, zukunftsfähige Wirtschaft sein.

Hochschulen sind spitze im Patente anmelden

Nicht nur die Unternehmen, auch die deutschen Hochschulen tragen wesentlich zur Innovationskraft des Landes bei. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat untersucht, wie effizient Universitäten weltweit Patente anmelden. Im Vergleich zur Zahl der Studierenden liegt Deutschland in dieser Rangliste auf Platz acht, hinter Ländern wie der Schweiz, Israel und Belgien. Doch in absoluten Zahlen belegt Deutschland einen beachtlichen zweiten Platz – nur die USA melden mehr Patente aus Hochschulen an.

Diese Zahlen sind ermutigend, zeigen sie doch, dass Deutschland in der Lage ist, im globalen Innovationswettbewerb mitzuhalten. Die Technische Universität München (TUM) ist die deutsche Hochschule mit den meisten Patentanmeldungen und rangiert weltweit auf Platz 20. Doch es gibt auch Kritik: "Die Politik muss es nun schaffen, diese Innovationskraft in die richtigen Bahnen zu lenken“, fordert IW-Experte Oliver Koppel im Business Insider. Denn obwohl deutsche Hochschulen gut darin sind, Patente anzumelden, gibt es noch erhebliches Potenzial, wenn es darum geht, diese Innovationen in marktreife Produkte und erfolgreiche Unternehmen zu überführen.

Wissen statt schwerer Maschinen

Hier liegt eine der größten Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft. Während in Ländern wie den USA oder Israel der Technologietransfer – also die direkte Überführung von Forschungsergebnissen in die Wirtschaft – hervorragend funktioniert, bleibt Deutschland in diesem Bereich oft zurück. Das IW fordert daher, dass die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie deutlich verbessert wird. Es gebe viele vielversprechende Ideen und Erfindungen, doch der Weg vom Labor ins Unternehmen ist in Deutschland häufig zu kompliziert und bürokratisch.

Dabei könnte gerade der Technologietransfer die nötigen Impulse geben, um aus den vielen Patentanmeldungen auch konkrete wirtschaftliche Erfolge zu machen. "Der Technologietransfer muss erleichtert werden, um im internationalen Wettbewerb aufzuholen“, erklärt Koppel. Ohne diesen Schritt besteht die Gefahr, dass Deutschland seine Position als Technologiestandort gefährdet.

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