Beauty-Unternehmerin im Interview
gitti-Gründerin Jennifer Baum-Minkus: "Influencer-Marketing ist aus der Industrie nicht mehr wegzudenken“

 
Über fünf Jahre ist es her, dass Jennifer Baum-Minkus ihr Unternehmen gitti Conscious Beauty gegründet und Nagellack auf pflanzlicher Basis entwickelt hat. Leadersnet sprach mit ihr über Visionen, Trends – und einen Launch, der jüngst am Donnerstag anstand.

Frau Baum-Minkus, gitti ist nicht nur eine Marke, die ganzheitlich an das Thema Beauty herangeht, sondern auch eine Marke, die eine starke Community mitbringt. Welche Rolle spielt die Community für den Erfolg Ihres Unternehmens?
Eine große Rolle. Wir nehmen die Anregungen aus unserer Community sehr ernst. Als zum Beispiel der Wunsch aufkam, unser Lippenprodukt weiterzuentwickeln, haben wir das getan. Auch unsere Farben sind Wunschfarben aus der Community. Wir haben sogar eine Community-Kollektion auf den Markt gebracht. Und wir konnten der Community durch unser Crowd-Investing die Möglichkeit geben, an unserer Erfolgsgeschichte zu partizipieren. 
 
gitti lebt von Anfang an von der Community: Bereits kurz nach der Gründung habe ich gemeinsam mit Instagram-Follower:innen bei mir zu Hause die Produkte für den Versand verpackt.
 
Sie sprechen Ihr Crowdfunding an, damit haben Sie vor wenigen Wochen 1,5 Millionen eingesammelt.
Ja! Es hat uns selbst überrascht und sehr gefreut, wie schnell wir hier einen Erfolg erzielen konnten. In etwas über 48 Stunden haben wir eine Million Euro über unsere Community eingesammelt. Was mich besonders freut: Knapp 80 Prozent unserer Investor:innen sind weiblich.
 
Was passiert mit dem Geld?
Die gesammelten Finanzmittel werden uns dabei helfen, uns auf drei große Themen zu fokussieren. Nummer Eins: Die Entwicklung neuer, innovativer Produkte. Das zweite große Thema ist die Stärkung von gitti im stationären Handel. Wir sind als Online-Shop gestartet und haben erst vor anderthalb Jahren damit begonnen, mit Retail-Partnern wie Douglas zu arbeiten. Solch eine Produktpräsentation in einem Store ist sehr kapitalintensiv. Das dritte Thema ist die Internationalisierung. Wir haben vor einem Jahr in den USA gelauncht und das trägt sehr gute Früchte. Ich sehe ein riesiges Potenzial in dem Markt, aber auch das ist mit vielen Kosten verbunden. 
 
Was wollen die Konsument:innen in den USA, was hier nicht gefragt ist?
Es gibt einen großen Unterschied. Perfekte Nägel und die neuesten Nagel-Trends haben noch einen viel höheren Stellenwert als in Europa. Allerdings ist das Thema dort stark getrieben durch den Nagelstudio-Besuch. Was für uns wahnsinnig gut funktioniert, ist Nagelpflege. Angelehnt an die Skincare-Routine, die man im Gesicht macht, haben wir eine sehr effektive Nagelpflege-Routine entwickelt. Und die funktioniert sehr, sehr gut.
 
Gitti-Promomotiv
 
Stichwort Produktentwicklung: gitti hat am Donnerstag einen pflanzenbasierten Gel-Lack gelauncht. Wie kam es dazu?
Das Bestreben unseres Unternehmens ist es seit jeher, bessere Beauty-Alternativen zu kreieren – besser für uns Menschen und besser für den Planeten. Gerade im Nagelsegment sind viele Menschen von Gel-Nagellacken überzeugt, sie schätzen ihren langen Halt und die Widerstandsfähigkeit. Diesen Kund:innen konnten wir bisher nichts anbieten, weil wir "nur“ den herkömmlichen Nagellack auf Pflanzenbasis produziert haben.
 
Wie schwierig war die Produktentwicklung?
Sie war unfassbar komplex. Insgesamt arbeiten wir schon einige Jahre am Thema Gel-Nagellack – jetzt haben wir es erstmals geschafft, ein solches Produkt auf pflanzlicher Basis zu kreieren. Ein guter Nagellack ist sehr technisch: der Lack ist flüssig, muss schnell trocknen, hohen Glanz und hohe Deckkraft mitbringen. Beim Gel-Nagellack kommt noch ein chemischer Prozess dazu.
 
Herkömmliche Sets für Gel-Nägel für die Anwendung zu Hause bestehen in der Regel nicht aus natürlichen Inhaltsstoffen. Viele Produkte sind nicht vegan, da für ihre Herstellung der Inhaltsstoff Shellac (Harz, das aus der Schildlaus gewonnen wird) oder tierische Farbstoffe verwendet werden. Zudem können sie HEMA und HPMA enthalten, die allergische Reaktionen wie Kontaktdermatitis und Reizungen hervorrufen können.
 
Für die Entfernung der Produkte kommt Aceton zum Einsatz, das bei längerer Einwirkung gesundheitsschädlich sein kann und zu Trockenheit, Reizung und Rötung der Haut führt. Wir kennen weltweit keinen anderen Anbieter, der es geschafft hat, einen Gel-Nagellack auf Pflanzenbasis und ohne HEMA und HPMA zu kreieren. Das ist eine echte Innovation.
 
Wo entwickeln und forschen Sie?
Im Grunde kann heute jede:r ein Beautyprodukt auf den Markt bringen, denn es gibt sogenannte Lohnhersteller, also White-Label-Hersteller, die fertig konzipierte Produkte anbieten, so dass Unternehmer:innen nur noch das Branding und den Namen entwickeln müssen, um es dann auf den Markt zu bringen.
 
Wir gehen einen ganz anderen Weg: Bei uns gibt es ein Inhouse-Team für Forschung und Entwicklung, das stets an innovativen pflanzenbasierten Formeln für unsere Produkte arbeitet. gitti wurde ja aus der Idee heraus geboren, Nagellacke auf natürlicher Basis anzubieten, die in der Performance überzeugen. Das steckt seit Tag Eins in allem, was wir tun.
 
Bedeutet konkret?
Was viele nicht wissen: Bei Nagellack lassen sich Inhaltsstoffe bereits zwei Stunden nach dem Auftragen eines Nagellacks im Körper nachweisen. Deshalb begrüßen wir, dass es in Europa sehr strikte Regelungen für den Einsatz bestimmter Inhaltsstoffe in Nagellacken gibt: Die europäische Verordnung reglementiert den Einsatz von circa 1700 Inhaltsstoffen.
 
Das ist uns aber nicht gut genug, wir haben uns strenge Maßstäbe gesetzt und verzichten sogar auf 3000 Inhaltsstoffe, weil sie zum Beispiel potentiell
gesundheitsschädigend oder schlecht für unsere Umwelt sind. Nur zum Vergleich: In den USA ist gerade mal der Einsatz von elf Inhaltsstoffklassen gesetzlich untersagt.
 
Was da auch wunderbar funktioniert bei gitti, ist Influencer-Marketing. Warum setzen Sie darauf?
Ich glaube, dass das Thema Influencer-Marketing aus der Beauty-Industrie überhaupt nicht mehr wegzudenken ist. Außerdem hilft es uns, die Verbindung zur Community aufrechtzuerhalten. Creator sind ein Teil der Community. Wenn Influencer unsere Produkte testen und empfehlen, dann ist das so, als würde ein Freund oder eine Freundin etwas empfehlen. Freunden vertraut man – und Beauty zu kaufen, ist Vertrauenssache.

Ein Teil Ihrer Marketing-Strategie ist diverses Marketing.
Dafür werden wir geliebt und gehasst. Ich selbst komme nicht aus der Beauty-Industrie, ich bin kein Celebrity, ich bin keine Influencerin. Für mich war wichtig, einen ganz realen Zugang zu Beauty zu entwickeln und auch zu zeigen, dass alle Nagelfarben tragen können.

Wenn wir Nagellackfarbe an Männerhänden oder POC zeigen, dann polarisiert das sehr. Zum Glück gibt es einen großen Teil der Community, der das befürwortet und gut findet, aber es gibt leider auch Kommentare, die unter die Gürtellinie gehen. Klar ist: Wir werden uns selbstverständlich weiter für mehr Diversität in der Beauty-Industrie einsetzen.

Gitti-Promomotiv

Sie haben sich mit Pamela Wade-Lehman eine Co-CEO gesucht. Warum?
Ich bin fest davon überzeugt, dass man den größten Mehrwert erzielt, wenn man sich in der Unternehmensführung eine Persönlichkeit sucht, die einen gut ergänzt. Wir alle haben Stärken, Schwächen und blinde Flecken. Es ist nicht einfach, eine Person zu finden, die komplementär zu dir ist, deine Werte teilt, obwohl sie vielleicht ganz anders an Herausforderungen herangeht.

Idealerweise sind es zwei Puzzleteile, die perfekt matchen – und genau so ist es bei Pamela und mir. Ihre Expertise und Verantwortung liegen in der Strategie und im Ausbau unseres Commercial Managements. Diese Fähigkeiten ergänzen sich hervorragend mit meinen Schwerpunkten in der Produktentwicklung sowie beim Thema Brand.

Welche Herausforderungen bringt der stationäre Handel mit sich?
Dort gelistet zu werden, hat viel Zeit und Arbeit in Anspruch genommen. Seine Produkte auch offline anzubieten, ist verlockend. Aber um langfristig erfolgreich im stationären Handel zu sein, braucht man auch eine starke Marke und eine hohe Nachfrage. Ich wurde schon früh in der Entwicklungsgeschichte von gitti oft gefragt, warum es unsere Produkte nur online gibt.

Ich war immer der festen ​Überzeugung: Erst müssen Marke und Produkt stark sein, die Community groß, um den Schritt in den stationären Handel zu machen. Retail bringt unfassbar viel Komplexität mit sich, viel längere Planungszyklen, es ist sehr kapitalintensiv und man braucht im Team auch eine ganz andere Denkweise, um mit so einem Partner zusammenzuarbeiten.

Für gitti trotzdem der richtige Schritt?
Ich denke es ist fair zu sagen, dass viele Menschen, die auf Social Media unterwegs sind und Influencer:innen folgen, uns schon mal gesehen und von uns gehört haben. Aber es gibt eine Zielgruppe, die Beautyprodukte vor dem Kauf live erleben will – Nagelfarben sind oft ein Impulskauf. Diese Zielgruppe erreichen wir nicht, wenn wir nur online stattfinden.

Und deswegen sage ich: Ja, es war der absolut richtige Schritt. Und ich glaube auch, dass es richtig ist, dass wir so lange gewartet haben, das zu tun. gitti ist gekommen, um zu bleiben. Unser Anliegen ist, in diesem kompetitiven Umfeld in der Beauty-Industrie Bestand zu haben. Und trotzdem braucht es das richtige Zusammenspiel zwischen Wachstum und Möglichkeiten.

Finden Sie durch den Purpose, den gitti mit sich bringt, bessere Mitarbeiter:innen?
Ich glaube, es kommt darauf an, welche Kultur man lebt. Als Mitarbeiter:in kann man nur wachsen und erfolgreich sein, wenn die Unternehmenskultur zu einem passt. Jemand, der oder die nicht purpose-orientiert ist, wird sich bei uns nicht wohlfühlen. gitti ist eine Love-Brand geworden – nicht nur für unsere Kund:innen, sondern auch für unsere Mitarbeitenden.

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