Digitale Transformation
Wirtschaftsprüfer im Wandel: Wie die KI eine gesamte Branche auf den Kopf stellt

IT-Projekte und allen voran Künstliche Intelligenz stehen auf der To-do-Liste der Wirtschaftsprüfer ganz oben. Die Großen der Branche sind das Thema bereits mit viel Finanzkraft angegangen. Was können die Mittelständler tun, um mitzuhalten?

„Die Digitalisierung durchdringt alle Bereiche unseres Geschäfts“, erklärt MHL-Partner Benjamin Muxfeldt Hamburger Wirtschaftskanzlei Möhrle Happ Luther im manager magazin. Von der Muxfeldt ist für die digitale Transformation zuständig und weiß: Die Anforderungen der Mandanten sind gestiegen, sie erwarten eine umfassende digitale Kompetenz.

Digitale Transformation, Cybersicherheit, Datenschutz und künstliche Intelligenz (KI) revolutionieren das Wirtschaftsprüfungswesen, heißt es in dem Beitrag weiter. Demnach verlangen mittlerweile auch mittelständische Unternehmen von ihren Prüfern Dienstleistungen, die früher IT-Beratern vorbehalten waren. Jede digitalisierte Rechnung, jede Notiz in der Cloud verbessert die Analyse- und Erkennungsfähigkeiten der Prüfer. So können Unregelmäßigkeiten schneller aufgedeckt und fundierte Entscheidungen getroffen werden.

Die Großen machen’s vor

Die großen Prüfkonzerne Deloitte, PwC, EY und KPMG investieren Milliarden in Data Analytics und digitale Prüfungstools, rekrutieren Programmierer und Forensiker und übernehmen IT-Unternehmen. Erste KI-Anwendungen laufen bereits im Testbetrieb und könnten bald vollständige, automatisierte Prüfungen ermöglichen. „Die Digitalisierung verändert das Geschäftsmodell der Wirtschaftsprüfer von Grund auf“, sagt Bianka Knoblach, Geschäftsführerin des Bonner Forschungsinstituts WGMB. Sie befürchtet, dass mittelständische Kanzleien ohne ausreichende Ressourcen den Anschluss verlieren könnten.

Ulrich Möhrle, Namenspartner bei Möhrle Happ Luther in dritter Generation, betrachtet die Zukunft optimistisch. Die Kanzlei hat sich früh auf Digitalisierung spezialisiert und verzeichnet zweistellige Wachstumsraten. Mit rund 56 Millionen Euro Umsatz und über 400 Mitarbeitenden gehört MHL zu den 20 größten Wirtschaftsprüfern in Deutschland. Trotz der Größe bleibt die Kanzlei mittelständisch und fokussiert sich auf anspruchsvolle Beratungsmandate. Dabei setzt sie auf am Markt verfügbare Software und ein IT-Team, das auch die Systeme der Mandanten betreut.

Wo die Kanzleien stehen

Anders als die Großen der Branche bietet Möhrle nicht um Dax-Mandate, sondern setzt auf Beratungsprojekte. Diese Strategie zahlt sich aus: Viele Neukunden wechseln zu MHL, weil ihre bisherigen Prüfer nicht digital genug aufgestellt sind. Mehr als 80 Prozent der von WGMB befragten mittelständischen Kanzleien erwarten, dass Digitalisierung und KI die Branche stark verändern werden. Über 90 Prozent sehen sich bereits auf einem fortgeschrittenen Niveau der digitalen Transformation.

Harald Groemmer, Mitgründer der Münchner Kanzlei GKK Partners, hat Digitalisierung von Anfang an in sein Geschäftsmodell integriert. Seine Kanzlei bietet ein eigenes digitales Ökosystem an, das Arbeitsstunden spart und Mandanten den Zugriff auf Daten von überall ermöglicht. Die Zahl der Mitarbeitenden hat sich in den letzten drei Jahren mehr als verdoppelt, trotzdem muss Groemmer oft Mandate ablehnen, weil er nicht genug qualifizierte Fachkräfte findet. GKK bietet diverse digitale Dienstleistungen, von der papierlosen Belegerfassung bis zur virtuellen Personalverwaltung, und passt marktübliche Softwaretools an die Bedürfnisse der Klienten an.

Software für Wirtschaftsprüfer und Steuerberater

Seit der Coronapandemie hat sich der Wandel bei den kleinen und mittelgroßen Wirtschaftsprüfern rasant beschleunigt. Ihr wichtigster Partner dabei: der Nürnberger Datendienstleister Datev. Als Genossenschaft und Anbieter von Spezialsoftware unterstützt Datev mehr als 40.000 Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Peter Stadler, Leiter der Datev-Niederlassung Frankfurt, begleitet zahlreiche Kanzleien bei der digitalen Transformation. Der Marktanteil von Datev bei Steuersoftware liegt bei etwa 75 Prozent, und die cloudbasierte Software „Unternehmen Online“ wird von einer halben Million Firmen genutzt.

Jens Groß, Leiter Wirtschaftsprüfung bei Datev, sieht in der Digitalisierung eine Aufwertung des Faktors Mensch. Prüfer werden von manuellen Routinetätigkeiten entlastet und können sich stärker auf die Analyse und Interpretation der Zahlen konzentrieren. Künftige regulatorische Anforderungen wie Nachhaltigkeitsberichterstattung seien ohne Big Data nicht mehr zu erfüllen.

Strukturwandel steht bevor

Die Branche steht vor einem Strukturwandel, nicht zuletzt aufgrund des Altersprofils: Fast jeder dritte Wirtschaftsprüfer in Deutschland ist 60 Jahre oder älter. Viele mittelständische Kanzleien geben Prüfmandate zurück und konzentrieren sich auf das Steuerberatungsgeschäft. WGMB-Expertin Knoblach rechnet damit, dass kleinere Kanzleien zunehmend aufgeben oder in größeren aufgehen werden.

Auch neue Kooperationsformen zeichnen sich ab. Die Hamburger Prüfgesellschaft BDO bindet mittelständische Kanzleien über ein Allianzsystem ein, ohne ihnen die Selbstständigkeit zu nehmen. Ähnlich könnte es auch bei kleineren Wettbewerbern laufen, die gegen Entgelt Zugang zu digitalen Ökosystemen erhalten.

Für Ulrich Möhrle ist die Zukunftsfähigkeit mittelständischer Kanzleien eine Frage der Strategie. Technologischer Fortschritt und wachsende Regulatorik werden den gesamten Markt bewegen, ist er überzeugt: „Das wird auch mittelständischen Wirtschaftskanzleien jede Menge neuer Chancen bieten.“

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