Prognos-Studie
Export und Innovation: Deutschlands Rolle in Schlüsselindustrien

| Redaktion 
| 20.05.2024

Eine aktuelle Untersuchung zeigt auf, in welchen Industriesparten deutsche Produkte im Rest der Welt gefragt sind. Drei bestimmten Branchen sprechen die Auftraggeber dabei eine besonders exemplarische Rolle für den Standort Deutschland und seine Zukunft zu.

Auf Auftrag vom Handelsblatt hat das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos ausgewertet, wie sich Deutschland dieser Tage bei der Ausfuhr von Waren schlägt. Die Ergebnisse sind mindestens respektabel: In elf unterschiedlichen Industriebranchen belegt die Bundesrepublik einen der ersten drei Plätze. Ungeachtet dessen offenbart sich auch in drei florierenden Zweigen mitunter Verbesserungsbedarf, um auch nur den Status Quo zu wahren.

Aufklärung liefert die Prognos-Untersuchung zum Beispiel hinsichtlich der immer wieder auftauchenden Annahme, dass der Medikamentenmarkt "mittlerweile fest in chinesischer Hand“ sei. Tatsächlich ist die Position der Volksrepublik nicht zu unterschätzen, schließlich liefern sie und Indien einen Großteil der Wirkstoffe, die in weiteren Schritten zu Medikamenten verarbeitet werden.

Gemessen am Wert liefert laut Prognos allerdings keine andere Nation mehr Arzneimittel, Impfstoffe oder anderweitige pharmazeutische Erzeugnisse in die Welt als die Bundesrepublik: Mit exportierten Pharmaprodukten für knapp 130 Milliarden US-Dollar konnte sich Deutschland 2022 zum zehnten Mal in Folge die Spitzenposition sichern und die Schweiz (109 Milliarden US-Dollar) und Irland (93 Milliarden US-Dollar) auf Distanz halten. Den Exportweltmeistertitel erreicht Deutschland sonst nur noch im Fahrzeugbau.

Immer noch Pharma-Exportweltmeister, aber…

Betrachtet man den letztlich erzielten Umsatz, muss die BRD die Siegertreppe dagegen für die Märkte in den USA, China und Japan räumen. Der hohe Wert der pharmazeutischen Exporte Deutschlands ergibt sich aus dem vergleichsweise hohen Aufwand der Herstellung, technologisch wie finanziell. Traditionelle Akteure wie Merck, Bayer und Boehringer oder auch Biontech haben im letzten Jahrzehnt zur Verteidigung des Export-Weltmeistertitels beigetragen.

Mit Bezug auf Daten der World Intellectual Property Organisation resümiert Prognos allerdings auch, dass der deutsche Weltpatentanteil zwischen 2012 und 2020 von acht auf sechs Prozent zurückgegangen ist. Das Handelsblatt zitiert Claus Michelsen, Chefvolkswirt beim Verband der Forschenden Pharmaunternehmen (VFA), zur Sache: "Wir müssen aufholen und dafür die Rahmenbedingungen schnell verbessern“, wobei er etwa an beschleunigte Studienzulassungen oder eine optimierte Nutzung von Digitalisierung und Daten denkt.

Europas gläserner Branchenprimus

Während Pharma eine Branche sein dürfte, die einige Menschen – gerade auch nach Corona – durchaus als Exporttreiber auf dem Plan gehabt haben könnten, überrascht die prominente Rolle der Glasindustrie womöglich schon eher. Den Prognos-Untersuchungen zufolge hat Deutschland im vorletzten Jahr Glasprodukte im Wert von 20 Milliarden US-Dollar exportiert und Italien (14 Milliarden US-Dollar) auf den dritten Platz verwiesen. Der erste hingegen ist tatsächlich fest in chinesischer Hand: Ausgeführte Glasprodukte im Wert von 79 Milliarden US-Dollar deklassieren die internationalen Wettbewerber regelrecht.

Merck gehört zu den wichtigsten Pharma-Akteuren in Deutschland (Bild: Merck)

Nichtsdestotrotz führt europaweit kein Weg an Deutschland vorbei, wenn es um Glas geht – auf dem ganzen Kontinent gibt es keine Nation mit mehr entsprechend produzierenden Unternehmen; fast acht Millionen Tonnen sind 2022 entstanden. "Wenn man sich die Ausfuhrzahlen und den Warenwert anschaut, ist die Nummer eins der Export von Rückspiegeln für Fahrzeuge“, erklärt Johann Overath, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Glasindustrie, dem Handelsblatt. Auch Glaskeramik für Teleskope und Glas für Kochflächen oder Pharmafläschchen scheinen gefragt. Zwei Drittel aller hergestellten Produkte finden ihre Abnehmer schließlich innerhalb der Europäischen Union.

Der Preis einer energieintensiven Industrie

Als Branchenhindernis benennt Overath die energieintensive Arbeitsweise der Glasindustrie beziehungsweise die dadurch entstehenden Kosten. Diese seien teils doppelt oder dreifach so hoch wie in Konkurrenzländern, was dem Fachmann zufolge schlimmstenfalls zu zyklusartiger Abwanderung führen könnte: "In der Glasindustrie laufen die Anlagen etwa 15 bis 20 Jahre ohne Unterbrechung“, schildert er.

Danach muss in neue Anlagen investiert werden – und deren Standort machen Unternehmen selbstverständlich auch vom voraussichtlich anfallenden Strompreis abhängig. Gerade mittelständige Vertreter könnten ihre Entscheidung demnach von diesem Faktor beeinflussen lassen. Bislang tragen etabliertes Knowhow und Innovationsgeist jedoch offenbar dazu bei, dass die Industrie dem Standort zunächst weitgehend treu bleibt.

Prestigebranche Maschinenbau

Und der gute, alte Maschinenbau? Global und exporttechnisch betrachtet muss sich die Bundes- hier abermals der Volksrepublik geschlagen geben. Mit Exporten im Wert von 354 Milliarden US-Dollar verweist sie Deutschland (231 Milliarden US-Dollar) und die Vereinigten Staaten (183 Milliarden US-Dollar) auf die Plätze. Bosch, Siemens, ZF oder Thyssen-Krupp zählen hierzulande zu den relevantesten Akteuren.

Wärmepumpenproduktion bei Bosch in Eibelshausen (Bild: Bosch)

Ulrich Ackermann, Außenwirtschaftsexperte beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), relativiert dem Handelsblatt gegenüber: "Im Gegensatz zu Deutschland ist China eine Nation mit 1,4 Milliarden Einwohnern – statt 80 Millionen. Für die lokale Produktion und auch für die Exportmärkte gibt es Förderungen der chinesischen Regierung – das verzerrt den Markt“. Für Wettbewerber ohne staatliche Subventionen dieser Größenordnung werde es schwer, sich zu behaupten.

Unikat: Die Uni-Unternehmen-Verbindung

Auf dem europäischen Markt sieht Ackermann Italien als schärfsten Konkurrenten, während global neben den anderen beiden Treppchen-Platzierten auch auf Japan Acht zu geben sei.

Gefragt danach, warum Deutschland in Anbetracht eines engen Regelkorsett, schwächelnder Auftragslage und den auch hier relevanten (hohen) Energiepreisen im internationalen Vergleich trotzdem gut abschneidet, gibt er an: "Unternehmen, die seit über 100 Jahren am Markt sind, entwickeln sich stetig weiter und erfinden sich neu. Das ist eines von Deutschlands großen Assets. Die jahrzehntelange Herstellung eines Produkts entwickelt ein Know-how, das in den Köpfen der Mitarbeiter und im Unternehmen selbst steckt. Dazu braucht es keine Patente.“

Große Hoffnung setzt Ackermann in den fachbezogenen Ingenieursnachwuchs, da die Bundesrepublik in puncto Maschinenbau "die weltweit besten Universitäten“ vorweisen könne. Darüber hinaus sei die enge Verknüpfung der Bildungseinrichtungen mit den branchenrelevanten Unternehmen "einmalig in Deutschland“, sodass gewonnenes Wissen schnell in die Praxis übertragen werden könne.

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