Tim Raue: „Ich wollte nie wieder in der Gosse landen“

| Dagmar Zimmermann 
| 05.12.2023

Von ganz unten nach ganz oben: Starkoch Tim Raue, der aus einfachen Verhältnissen stammt, ist heute erfolgreich. Als Unternehmer eröffnete er mehrere Restaurants. Als Koch wurde er vom Guide Michelin mit Michelin-Sternen ausgezeichnet und vom Gault-Millau zum Weltklasse-Koch prämiert. Im LEADERSNET-Interview spricht er über Fleiß, Leidenschaft und Trends.

LEADERSNET: Ein Thema hat die Business-Welt in 2023 unter anderem bewegt: Sozialer Aufstieg. Sie sind in einfachen Verhältnissen in Berlin großgeworden. Sind Sie das Paradebeispiel dafür, dass es gehen kann?

Tim Raue: Ich habe mich mit sehr viel Eigeninitiative, dem Willen stetig besser zu werden, jeden Tag zu lernen, abertausenden 16-Stunden-Tagen und vor allem dem Ziel vor Augen, zu einer höheren Bildungsschicht zu gehören, nach oben gearbeitet. Es war nicht mein Talent was mich dorthin gebracht hat, sondern Fleiß, Leidenschaft und der elementare Antrieb, nie wieder in der Gosse zu landen.

LEADERSNET: Die Gastronomie auf der einen Seite, TV auf der anderen Seite. Wie bringen Sie beides in der täglichen Arbeit zueinander?

Tim Raue: Das Eine bedingt das Andere. Ohne das kulinarische Wissen und die sensorischen Fähigkeiten – dezidiert zu riechen zu schmecken und zu analysieren – , die ich in den letzten drei Jahrzehnten erworben habe, wäre ich nicht in der Lage gewesen, in den TV Formaten als kulinarische Kompetenz aufzutreten.

LEADERSNET: Wie unterschieden sich Ihre Gäste in Berlin und München?

Tim Raue:…und Konstanz und auf 4 Kreuzfahrtschiffen, und die, die wir auf Soneva Fushi in unserem dortigen Pop-up Restaurant begrüßen? Sie alle wünschen sich in dem jeweiligen kulinarischen Konzept, von uns begeistert zu werden! Leider kann man es nie allen recht machen, aber meine Mitarbeiter, Partner und ich versuchen jeden Gast so zu begeistern, dass er schnellstmöglich wiederkommt und allen seinen Freunden positiv von seinem Besuch berichtet. Dafür muss ich jeden einzelnen, jeden Tag wieder dafür begeistern, die Gäste zu begeistern!

LEADERSNET: Welche Rolle spielen Trends im Food-Bereich?

Tim Raue: Ich habe Restaurants, die am Puls der Zeit sind. Generell gilt für mich, dass meine Restaurants keine Trendplätze sein sollen, sondern Jahrzehnte am Markt bestehen können. Wichtig ist mir, auf Entwicklungen in der Gesellschaft Rücksicht zu nehmen. Ich hatte 2007 beschlossen, nur noch glutenfrei, laktosefrei und ohne weißen Zucker zu kochen, weil ich merkte, dass immer mehr Menschen Lebensmittelunverträglichkeiten bekamen. Seit 2019 haben wir ein veganes Menü, da der Großteil der Menschen zwischen 15 bis 35 Jahren sich so ernährt. Es ist ihr Lifestyle, den ich respektiere – und das vegane Menü wählen bei uns bis zu 20 Prozent der Gäste. Wir haben damit auch ein deutlich jüngeres Publikum angesprochen und das sorgt dafür, dass wir auch heute schon zukünftige Generationen als Gäste gewonnen haben.

LEADERSNET: Erhöhte Mehrwertsteuer auf Speisen, steigende Lebensmittelpreise, Inflation: Wie sehr betreffen Sie solche Wirtschaftsnachrichten?

Tim Raue: Das sind Kosten, die wir bei der geringen Gewinnmarge in der Top-Gastronomie an den Gast weiterreichen müssen. Wir Gastronomen entscheiden nicht darüber, wie wir besteuert werden, das macht der deutsche Staat, der leider schon immer sehr gierig auf Steuereinkünfte war und ist.

LEADERSNET: Wie wirken Sie dem Fachkräftemangel entgegen?

Tim Raue: Wir versuchen, den Mitarbeitern einen herausragenden Arbeitsplatz und großartige Zukunftsperspektiven anzubieten.

LEADERSNET: Sie sind mehrfach ausgezeichnet – pflegen Sie noch Visionen?

Tim Raue: Der Aufstieg an die Spitze ist hart und voller Entbehrungen, aber eigentlich einfach, weil man immer das Ziel vor Augen hat. Die Herausforderung besteht darin, dann durch konstante außergewöhnliche Leistungen dieses Leistungsniveau aufrecht zu halten. Ich bin mit 23 Jahren Küchenchef geworden, das ist nun 26 Jahre her. Und ich nutze jeden Tag, um Außergewöhnliches zu leisten. Dafür brauche ich keine Visionen, sondern Ehrgeiz.

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