In Deutschland verdienten Frauen im Jahr 2022 im Schnitt wie in den vorherigen beiden Jahren 18 Prozent weniger als Männer, wie aus Zahlen von Statista hervorgeht. Dass sich der Gender Pay Gap (GPG) nicht weiter reduziert, führt auch dazu, dass Deutschland im Vergleich zum EU-Durchschnitt (13 Prozent) weiterhin zu den Mitgliedsstaaten mit der größten Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern gehört.
Die Gründe für die anhaltende Ungleichheit sind vielschichtig. Um der Komplexität des Themas gerecht zu werden und sinnvolle Maßnahmen an den richtigen Stellen fordern zu können, ist eine differenzierte Betrachtung des unbereinigten und bereinigten GPGs hilfreich.
Vom Durcheinander der Zahlen
Jedes Jahr ermittelt das Statistische Bundesamt jeweils den unbereinigten und den bereinigten GPG. Der unbereinigte GPG ist ein Indikator dafür, wie groß die gesamtwirtschaftliche Entgeltlücke im Durchschnitt zwischen Frauen und Männern ist. In Deutschland sind es, wie eingangs erwähnt, 18 Prozent, die Frauen im Jahr 2022 weniger verdienten als Männer. Der Großteil des unbereinigten GPDs ist auf strukturelle Faktoren zurückzuführen wie beispielsweise Unterschiede in Dauer, Umfang und Art der Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern.
Rechnet man solche strukturellen Faktoren heraus, erhält man den bereinigten GPD. Dieser "unerklärte" Rest gibt an, wie groß die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern ist, die ein gleiches oder vergleichbares Qualifikations- und Tätigkeitsprofil aufweisen. In Deutschland liegt der bereinigte GPG laut Statistischem Bundesamt bei sieben Prozent. Das sind sieben Prozent, die Frauen trotz gleicher oder vergleichbarer Tätigkeit und Qualifikation weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen.
Mögliche Gründe für Ungleichheit in Deutschland
Die differenzierte Betrachtung des GPGs zeigt, dass der Großteil der Entgeltlücke auf strukturelle Unterschiede zurückzuführen ist. So unterbrechen in Deutschland weiterhin primär Frauen ihre Erwerbstätigkeit für die Familie und sind dadurch auch weniger in den besser bezahlten Führungsebenen repräsentiert.
Dazu kommen hierzulande vorherrschende frauen- und männertypische Berufe, bei denen erstere deutlich schlechter bezahlt werden. Laut einer Studie der Universität Zürich findet eine Abwertung von Berufen statt, die überwiegend von Frauen ergriffen werden. Das spiegelt sich ein Stück weit auch in der deutschen Tariflandschaft wider. So verbuchten beispielsweise im Jahr 2019 die Tariflöhne in den Branchen Metall und Elektro sowie Eisen und Stahl die höchsten Zuwächse (4,1 Prozent und 3,9 Prozent). In diesen Branchen liegt der Frauenanteil bei weniger als zwölf Prozent, womit diese Branchen als männertypisch zu bezeichnen sind. Im Vergleich dazu fielen die Tariferhöhungen im Öffentlichen Dienst sowie Einzelhandel mit 2,8 Prozent und 1,8 Prozent deutlich geringer aus – der Frauenanteil liegt hier im Schnitt bei deutlich über 50 Prozent.
Identifikation systemischer Ungleichheiten
Nur durch die Identifikation solcher systemischen Ungleichheiten ist es möglich, sinnvolle Maßnahmen für mehr Gleichstellung zu entwickeln und die Entgeltlücke nachhaltig zu schließen. "Gleichzeitig muss gewährleistet werden, dass auch der Teil der Entgeltlücke geschlossen wird, der nicht anhand struktureller Unterschiede erklärt werden kann. Denn hinter diesem bereinigten GPG versteckt sich die unbewusste oder auch bewusste Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Das Problem: Viele Unternehmen in Deutschland wissen nicht, ob und wo sie ungerechtfertigte Entgeltlücken zwischen Frauen und Männern in gleichen oder vergleichbaren Positionen bei ansonsten gleicher Qualifikation und Leistung im Unternehmen haben", erklärt Kathrin Schnaufer, Pay Equity Expertin bei Mercer.
"Neben einer regelmäßigen Bestandsaufnahme und Analyse fehlt es oftmals auch an den nötigen Grundlagen für Entgeltgerechtigkeit. Wir beobachten in unseren Analysen und der täglichen Kundenarbeit einen klaren Trend: Je professioneller die HR-Abteilung im Unternehmen aufgestellt ist, desto kleiner sind in der Regel die beobachteten Gehaltsunterschiede. Das liegt unter anderem daran, dass professionelle HR-Teams eine fundierte Job-Architektur etabliert haben und klare, nachvollziehbare und datenbasierte Prozesse in den Bereichen Vergütung und Talent Management verfolgen", so Thomas Gruhle, Vergütungsexperte bei Mercer.
Fundierte Job-Architektur als Erfolgsbaustein für faire Gehälter
Unternehmen, die klare Job- und Grading-Strukturen besitzen, haben den Vorteil, dass sie unmittelbar erkennen können, welche Positionen gleich oder gleichwertig sind, was sich positiv auf eine gerechtere Vergütung auswirkt. Diese Erkenntnis basiert auf einer Auswertung der Vergütungsdaten von Unternehmen mit Sitz oder Hauptsitz in Deutschland, die 2022 am "Mercer Total Remuneration Survey" (TRS) teilgenommen haben und verschiedene Industrien repräsentieren. Die Teilnahme an dieser Umfrage setzt voraus, dass Unternehmen über eine definierte Job- und Gehaltsstruktur verfügen und ihre Jobs systematisch bewertet haben.
Dabei zeigt sich, dass der durchschnittliche Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern mit 10,2 Prozent deutlich unter dem deutschen und europäischen Schnitt liegt. Der Großteil (7,3 Prozent) des durchschnittlichen Gehaltsunterschieds kann auf Basis von Faktoren wie Betriebszugehörigkeit, Alter und Job Familie erklärt werden. Damit bleibt ein Rest von 2,9 Prozent, der nicht erklärt werden kann (im Vergleich zu sieben Prozent gesamtwirtschaftlich).
Neue EU-Regelungen: Ausblick auf eine Zeitenwende
Auch wenn der gesamtwirtschaftliche GPG in den letzten Jahren eher stagnierte, kam in diesem Jahr bereits einige Zeit vor dem Equal Pay Day am 7. März Schwung in die Debatte. Dies liegt vor allem daran, dass die Europäische Kommission Ende 2022 eine folgenreiche europaweite Regelung von Lohngleichheit verabschiedet hat. Vergleicht man die aktuellen eher wenig beachteten Regelungen in Deutschland mit den beschlossenen Berichts- und Offenlegungspflichten der EU, dürfte insbesondere für Unternehmen in Deutschland eine Zeitenwende anbrechen.
Auf welche Art von Regelungen müssen sich Unternehmen in Deutschland aufgrund der neuen EU-Richtlinien zukünftig einstellen?
- Mehr Unternehmen fallen unter die Berichtspflicht.
- Die Berichtspflicht sieht die regelmäßige Veröffentlichung des GPGs vor.
- Ist ein GPG innerhalb einer Gruppe von Mitarbeitenden größer als 5 Prozent und kann dies nicht anhand legitimer Faktoren erklärt werden, ist eine Entgeltbewertung gemeinsam mit Arbeitnehmervertreter:innen durchzuführen.
- Job-Bewerber:innen haben ein Recht auf Gehaltstransparenz.
- Mitarbeitende haben ein Recht auf Transparenz der Gehaltskriterien.
- Das individuelle Auskunftsrecht bleibt weiterhin bestehen.
Urteil des Bundesarbeitsgerichts erhöht Handlungsdruck auf Arbeitgeber
Auch das aktuelle Urteil des Bundesarbeitsgerichts wird den Handlungsdruck auf Arbeitgeber erhöhen, denn es besagt, dass Verhandlungsgeschick kein legitimer Grund für Gehaltsunterschiede ist.
"Wir erfahren seit Anfang des Jahres einen starken Anstieg an Anfragen zu Gender-Pay-Reportings und damit verbundenen Entgeltanalysen. Viele deutsche Unternehmen wollen wissen, was mit der neuen EU-Direktive auf sie zukommt und wie sie sich darauf vorbereiten können. Die Organisationen, mit denen wir bereits zusammenarbeiten, haben ihre Gender-Pay-Prozesse bereits etabliert, messen also regelmäßig ihr Gap und passen es an. Für sie geht es dann neben der Erfüllung der Vorgaben durch die EU auch um den Erhalt einer offiziellen Pay-Equity-Zertifizierung", so Schnaufer. "Spätestens jetzt müssen alle Unternehmen aufgewacht sein. Wer Vergütungsunterschiede nicht objektiv erklären kann, riskiert finanziellen Schaden und massive negative Auswirkungen auf die eigene Arbeitgeber-Marke."
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