Die Weltwirtschaft bewegt sich derzeit auf einem schmalen Grat. Gleichzeitig müssen wirtschaftliche Entscheidungen über die weitere Vorgehensweise unter Zeitdruck und mit unvollständigen Informationen getroffen werden. Auch die Herausforderungen für die Notenbanken und Regierungen waren selten größer als heute. Für die meisten Betroffenen wäre derzeit auch ein Absturz der Wirtschaft in eine Rezession ein weitreichendes Szenario. Auch die Landesbank Hessen-Thüringen Girozentrale (Helaba) misst diesem Szenario eine hohe Wahrscheinlichkeit bei. Laut der Helaba könnten drei Szenarien für das kommende Wirtschaftsjahr eintreten.
1. Basisszenario: "Gratwanderung" (Eintrittswahrscheinlichkeit 60 Prozent)
Die Ereignisse des heurigen Jahres und der Ausblick für 2023 sind von den sich überlagernden Faktoren Ukraine/Energiekrise und den Nachwirkungen der Pandemie bestimmt. Letztere sind nicht verschwunden, sondern werden auch im nächsten Jahr eine wichtige Rolle spielen. Die globalen Lieferketten haben sich noch nicht normalisiert und Veränderungen im Verbraucherverhalten sind erst teilweise korrigiert.
"In Deutschland werden wir 2023 eine Rezession sehen", erklärt Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Helaba. Die Wirtschaftsblöcke USA und Eurozone durchlaufen eine Rezession, kommen aber im Jahresdurchschnitt 2023 noch auf leicht positive Wachstumsraten von 0,5 Prozent bzw. 0,2 Prozent. Die deutsche Wirtschaft könnte laut den Prognosen um 0,6 Prozent schrumpfen.
In dem Szenario der Gratwanderung sind oft die richtigen politischen Entscheidungen wichtig. Die Notenbanken sehen sich vor der Herausforderung, die Inflation mit genau der richtigen Dosis Straffung in den Griff zu bekommen, ohne eine schwere Rezession auszulösen. Hier zeichnet sich ein Zielkonflikt mit den Regierungen ab, die versuchen, die negative Wirkung der hohen Inflation auf die Realeinkommen zu kompensieren. Diese Maßnahmen können bei falscher Ausgestaltung Fehlanreize nicht nur hinsichtlich des Energiesparens setzen - und damit indirekt sogar Aufwärtsdruck auf die Preise erzeugen.
2. Negative Alternative: "Absturz" (Eintrittswahrscheinlichkeit 30 Prozent)
Als zweites eventuelles wirtschaftliches Szenario könnte der "Absturz" eintreten. Der Auslöser für den konjunkturellen Absturz ist eine geopolitische Eskalation. Deutschland und die Eurozone geraten hier in eine tiefe Rezession, während die USA als Nettoenergieexporteur und China als Nutznießer von billigen russischen Rohstoffimporten weniger stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Aktien würden stark korrigieren und die Renditen am Rentenmarkt könnten ebenfalls deutlich sinken. Die Immobilienpreise würden in Folge ebenfalls stark zurück gehen. Der US-Dollar und der Goldpreis würden krisenbedingt steigen.
3. Positive Alternative: "Familientour" (Eintrittswahrscheinlichkeit 10 Prozent)
Eine Bedingung für das Szenario einer "Familientour" ist eine geopolitische Entspannung, die die Risikoprämien an den Finanzmärkten fallen lässt. Zumindest kurzfristig nimmt der Preisdruck dank niedrigerer Energiepreise ab, so dass die Geldpolitik nicht deutlich restriktiver wird. Die Renditen am Rentenmarkt würden daher nur leicht zunehmen, während die Aktienkurse noch dynamischer steigen. Der Immobilienmarkt könnte sich stabilisieren, während Gold und der US-Dollar als "sicherer Hafen" wieder weniger gefragt wären.
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