"Unternehmer:innen leben hier in einem War-Life-Balance-Modus"

Dmytro Gryn, Chef der weltweit erfolgreichen Jobsuchmaschine "Jooble", erzählt im LEADERSNET-Interview, wie es ist ein Unternehmen in einem Kriegsgebiet zu führen, warum es jetzt lebensrettend ist, während der Coronapandemie auf Home-Office umgeschwenkt zu sein und warum Deutschland und Österreich besonders interessante Märkte sind.

LEADERSNET: Sie haben Jooble vor mittlerweile 15 Jahren gegründet, als sie noch Studenten waren. Wie ist damals die Idee dazu entstanden?

Dmytro Gryn: 2006 haben die zukünftigen Gründer Roman Prokofyev and Eugen Sobakaryov an der Nationalen Technischen Universität "Kiewer Polytechnisches Institut Ihor Sikorskyj" studiert. Roman war auf der Suche nach Mitarbeiter:innen für ein anderes seiner Projekte und das stellte ihn vor ernsthafte Herausforderungen: Der Markt bestand aus Dutzenden von Webseiten mit Stellenanzeigen und Lebensläufen. Als Roman und Eugen darüber sprachen, sind sie auf die Idee gekommen, eine einheitliche Datenbank für Stellenanzeigen und Lebensläufe mit einer hochwertigen Volltextsuche zu erstellen. Am Ende lag der Fokus bei Jooble dann speziell auf dem Thema Jobsuche.

Damals war unsere Idee ihrer Zeit ein Stück voraus – wir haben uns von Produkten wie Google inspirieren lassen und wollten auch etwas wirklich Cooles auf den Markt bringen. Wir haben Stellenanzeigen kostenpflichtig geschaltet, aber gleichzeitig wollten wir den Preis für die Schaltung wie für eine zielgerichtete Werbung – als CPC (Cost per Click) festlegen. Die Idee war natürlich für die damalige Zeit völlig ungewöhnlich. Ich war einer der ersten Mitarbeiter Joobles. Und seitdem habe ich den Weg vom Entwickler bis zum CTO und dann CEO of Aggregation zurückgelegt.

LEADERSNET: Sie sind heute in über 69 Ländern aktiv und haben über eine Milliarde Seitenaufrufe im Jahr auf Ihrem Portal. War es von Anfang an Ihr Ziel die Plattform zu einem globalen Phänomen zu machen oder sind Sie im Nachhinein vom Ausmaß des Erfolgs überrascht?

Dmytro Gryn: Am Anfang war es kein Ziel, die Firma weltweit zugänglich zu machen. Sie konzentrierte sich nur auf den ukrainischen Markt. Am Ende war es aber eine bewusste Entscheidung, Jooble auf die anderen Märkte zu bringen. Wir haben sehr hart daran gearbeitet, unser Produkt international zu expandieren. Im Jahr 2008 erlebte die Welt eine Finanzkrise. Der Markt ging rapide zurück. Dieser Druck von außen gab uns die Chance, unsere Ansätze grundlegend zu überdenken und das Geschäftsmodell so zu gestalten, wie es jetzt ist.

Als unser Unternehmen zum ersten Mal ausländischen Markt eintrat, verfügten wir nur über ein paar Entwickler. Also haben wir den ganzen Prozess eigenhändig gestaltet: Wir haben die detailliertesten Anweisungen geschrieben und begonnen, ein Team zusammenzustellen, das nach solchen Anweisungen arbeiten kann. Wir haben auch eine Analyse der Märkten, die wir interessant für eine Expansion hielten, durchgeführt. Dabei wurden die Anzahl der Internetnutzer:innen, der Grad der Internetdurchdringung und das BIP der Länder analysiert.

Wir hatten einen Zeitplan, in dem wir vermerkten: Alle zwei Wochen starten wir in zwei neuen Ländern. Wir haben die meisten Markteintritte in den neuen Ländern im Rahmen dieses Programms innerhalb eines Jahres abgeschlossen. Das heißt, wir starteten alle zwei Wochen in zwei neuen Ländern.

LEADERSNET: Hat es jemals Probleme mit Google wegen einer möglichen Namensähnlichkeit gegeben?

Dmytro Gryn: Nein, wir hatten kein Problem im Zusammenhang der Ähnlichkeit von Markennamen. Generell scheint mir Google stolz darauf zu sein, wie viele Start-ups und Unternehmen es mit seinem Beispiel inspiriert. Im Jahre 2006 hatten wir eine ähnliche Website, die sich "Brand Identity" nannte, aber wir haben es schnell korrigiert.

LEADERSNET: Was hat der Einmarsch Russlands für Sie persönlich und das Unternehmen geändert?

Dmytro Gryn: Ich bin auf der Krim geboren und sprach Russisch seit ich ein Kind war. Aber jetzt spreche ich Ukrainisch. Der Beginn der Invasion hat mich eine Woche lang in Frustration versetzt. Aber als die Erkenntnis kam, dass es geschehen war, haben sowohl ich persönlich als auch unser Unternehmen versucht, unsere Arbeit so gut wie möglich zu machen.

© Jooble
Die Jooble-Gründer Roman Prokofyev and Eugen Sobakaryov © Jooble

Im ersten Tag des Einmarsches haben wir die Märkte Russlands und Belaruses verlassen. Das hat uns zehn Prozent des Einkommens gekostet, aber es gibt Dinge, die wichtiger als Geld sind. Es war ein deutlicher Verlust, aber das war auch eine grundsätzliche Entscheidung. Das Unternehmen hat sein Wachstumspotenzial nicht verloren und entwickelt sich weiter. Wir möchten stärker werden. Heute arbeitet unser Team daran, neue Produkte zu entwickeln, die global wettbewerbsfähig sein werden. Auch unterstützen wir unsere Mitarbeiter:innen und unterstützen die ukrainische Armee finanziell. Heute dienen drei unserer Mitarbeiter in den ukrainischen Streitkräften.

LEADERSNET: Arbeiten Sie derzeit immer noch von Kiew aus?

Dmytro Gryn: Ich persönlich befinde mich jetzt in Kiew und beantworte diese Fragen aus dem Büro von Jooble in Kiew. Viele Menschen arbeiten jedoch entfernt aus verschiedenen Teilen der Ukraine und anderen Ländern. Wir sind während der Corona-Pandemie zu einem Remote-First-Format gewechselt und haben unsere Prozesse an das Remote-Working angepasst. Heute sehen wir, dass dies die richtige Entscheidung war, weil wir das Sicherheitsniveau unserer Mitarbeiter:innen erhöht haben.

LEADERSNET: Sie haben kürzlich einen Inkubator für interne Projekte gelauncht. Können Sie erzählen, was es damit auf sich hat?

Dmytro Gryn: Als das Hauptgeschäft Joobles expandierte und erfolgreich wurde, stellte sich die Frage: Welche neuen Strategien müssen entwickelt werden, um noch erfolgreicher zu werden? Wir haben entschieden, dass das beste Format für die Arbeit mit neuen Strategien und Produkten ein Corporate Start-up Studio ist. Im Rahmen dieses Studios interessieren wir uns für Projekte, die irgendwie mit den Themen Jobsuche und Karriereentwicklung zu tun haben. Das Studioteam untersucht einerseits aussichtsreiche Märkte und Ideen in diesem Bereich, andererseits sind wir ständig auf der Suche nach begabten Unternehmer:innen und Mitgründer:innen, die bereit sind, Leiter neuer Start-ups zu werden.

Nach Bestätigung der Idee auf Prototypen-Ebene investiert der Corporate-Venture-Fonds Joobles in das Projekt (Pre-Seed- und Seed-Runden). Die Summe der Investition hängt von der Phase und den Bedürfnissen eines bestimmten Projekts gemäß dem Geschäftsplan ab. Insgesamt plant das Unternehmen, mehr als zehn Projekte pro Jahr zu inkubieren und in jedes in unterschiedlichen Phasen zwischen 100.000 und zwei Millionen US-Dollar zu investieren.

Neben seinem eigenen Start-up-Studio ist Jooble daran interessiert, als strategischer Risikokapitalgeber mit Early-Stage-Industrie-Start-ups zusammenzuarbeiten. Wir möchten vielversprechende innovative Projekte im Bereich der Jobsuche und des Karriereaufbaus in das Jooble-Ökosystem integrieren, um unser Versprechen so weit wie möglich einzuhalten – Menschen dabei zu helfen, Arbeit zu finden, die sie lieben.

LEADERSNET: Wie schwer ist es, angesichts der Umstände in Ihrem Heimatland, die Zukunft des Unternehmens im Blick zu behalten und Innovationen voranzutreiben?

Dmytro Gryn: Hierbei Jooble glauben wir, dass Anpassungsfähigkeit in der DNA eines Unternehmens verankert ist. Das hilft uns dabei, Krisen erfolgreich zu überstehen. Aktuell hilft uns die Arbeit, die wir geleistet haben, als wir interne Prozesse während der Pandemie umstrukturiert haben, um ein effektives Remote-First-Unternehmen zu werden, sehr. Und eine im Jahre 2008 getroffene Entscheidung, nämlich global zu gehen, erlaubt es, dass wir uns nicht auf einen Markt zu verlassen müssen. Also arbeiten wir daran, stärker zu werden, für uns selbst und für die Zukunft der Ukraine.

LEADERSNET: Die Auswirkungen des Krieges auf die ukrainische Start-up-Szene und die Wirtschaft im Allgemeinen sind für uns hier im Westen nur schwer vorzustellen. Können Sie unseren Leser:innen einen Einblick geben, wie derzeit das tägliche Leben von Unternehmer:innen und Arbeitnehmer:innen in der Ukraine aussieht?

Dmytro Gryn: Heute ist eine der besten Investitionen für uns die finanzielle Unterstützung der ukrainischen Armee, weil sie eine Garantie für den Frieden und die gesamte Existenz unseres Landes ist. Unternehmer:nnen leben in einem War-Life-Balance-Modus. Die Menschen versuchen, das Beste aus dem zu machen, was ihnen jetzt in Kriegszeiten zur Verfügung steht. Ein Start-up zu entwickeln, bedeutet immer gewisse Herausforderungen zu meistern, daher arbeiten heute viele jungen Unternehmer:innen weiter und nehmen es als Herausforderung an. Auch die ukrainische Wirtschaft und Gesellschaft sind aktiv vereint, um unseren Streitkräften zu helfen.

Wenn wir über den ukrainischen Arbeitsmarkt sprechen, passt er sich auch an die Bedingungen des Krieges an. Die Anzahl der Stellenangeboten ist deutlich zurückgegangen – etwa um das Vier- bis Fünffache im Vergleich zur Zeit vor der Invasion, während die Jobsuchenden jetzt genauso aktiv sind, wie sie in die Vorkriegszeit waren.

LEADERSNET: Sie unterstützen das Projekt "Give a job for UA", das Ukrainer:innen, die ihr Land wegen des Krieges verlassen mussten, dabei hilft, einen Job im Ausland zu finden. Wissen Sie wie viele Jobs sie auf diese Weise bereits über Ihre Plattform vermitteln konnten?

Dmytro Gryn: Während des Krieges haben wir mehr als 7.000 Stellenangebote für ukrainische Flüchtlinge in EU-Ländern veröffentlicht. Wir wollen den Ukrainer:innen helfen, Arbeit in den EU-Ländern zu finden, die ihnen während der militärischen Aggression Russlands Unterkunft geleistet haben. Die meisten Flüchtlinge haben kein Geld, um lange im Ausland zu bleiben. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Berufen, aber sie verbindet ein gemeinsames Leid und der Wunsch zu arbeiten. Daher ist es uns wichtig, die legale und sichere Beschäftigung ukrainischer Flüchtlinge auf dem europäischen Arbeitsmarkt zu gewährleisten.

LEADERSNET: In welchen Märkten sehen Sie für Jooble derzeit das größte noch ungenutzte Potential?

Dmytro Gryn: Der US-Markt scheint diesbezüglich sehr interessant für uns zu sein, da er viele Trends setzt, an deren Gestaltung wir uns anschließen wollen. Wir sind auch daran interessiert, mit den Märkten der mitteleuropäischen Länder zusammenzuarbeiten – insbesondere mit Deutschland und Österreich – die eine führende Rolle in der EU-Wirtschaft spielen.

LEADERSNET: Welche Pläne haben Sie für kommenden Jahre?

Dmytro Gryn: Eine der Top-Prioritäten besteht darin, der Ukraine beim Überleben zu helfen und am Wiederaufbau des Landes teilzunehmen. Unser Unternehmen hat eine Vision, auf die wir unsere Pläne aufbauen. Das klingt so: Wir schaffen eine Welt, in der jeder sein Leben lang die Möglichkeit hat, einen Job zu bekommen, der seinen Lebenswünschen entspricht und die Voraussetzungen für ein gute Selbstwertgefühl schafft.

Wir planen, Arbeitssuchenden die beste Auswahl an Stellenangeboten und Karrieremöglichkeiten für eine Person auf der Grundlage ihrer vorhandenen Fähigkeiten und Begabungen anzubieten. Für unsere Kunden aus Jobbörsen, ATS-Systemen und Personalagenturen planen wir, unser Produkt so zu verbessern, dass es die speziellen Anforderungen für jedes Segment unserer Partner erfüllt. (as)

de.jooble.org

at.jooble.org

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