Ein Gespräch mit François Chollet
Google KI-Experte über die Schattenseiten des KI-Hypes

Die Diskussionen um künstliche Intelligenz (KI) haben in den letzten Jahren stark zugenommen, angetrieben durch beeindruckende Fortschritte und Anwendungen wie Chatbots oder Bildverarbeitung. Doch nicht jeder teilt die Euphorie. Einer der prominentesten Kritiker ist François Chollet, ein führender KI-Experte, Softwareentwickler bei Google und Entwickler des bekannten Deep-Learning-Frameworks Keras. In einem exklusiven LEADERSNET-Interview gibt er einen tieferen Einblick in seine Sichtweise auf die aktuellen Entwicklungen, die ethischen Herausforderungen und die Zukunft der KI.

Chollet warnt vor überhöhten Erwartungen und einer Blase, die durch massive Überinvestitionen in generative KI (GenAI) entstanden ist.

Überinvestition in KI: Realität oder Hype?

Chollet übt scharfe Kritik an den massiven Kapitalzuflüssen in die KI-Branche. "Die Investitionen sind um ein Zehnfaches zu hoch, was die Fundamentaldaten rechtfertigen", erklärt er. "Wenn Sie sich die Einnahmen von GenAI ansehen, wenn Sie sich das Umsatzwachstum ansehen, können Sie optimistisch eine Investitionsrate von etwa einem Zehntel dessen rechtfertigen, was wir heute sehen. Der Grund, warum die tatsächlichen Investitionen so hoch sind, ist, dass große Technologieunternehmen und große VC-Firmen in ein Wettrüsten verwickelt sind, bei dem sie befürchten, etwas zu verpassen, wenn sie weniger investieren als ihre Konkurrenten."

Chollet argumentiert, dass diese Überinvestition bedeuten, dass wir eine Blase haben, aber das bedeutet nicht unbedingt, dass wir ein sehr öffentliches Platzen dieser Blase erleben werden. Er fasst zusammen: "Es gibt andere mögliche Ausgänge. Ein optimistisches Szenario ist beispielsweise, dass die Investitionen nachlassen, weil sie größtenteils aus Vorabausgaben für Infrastruktur bestanden, deren Wartung billiger ist als deren Bau, und dass die Einnahmen von GenAI in der Zwischenzeit schneller als erwartet steigen werden, was innerhalb von 10 Jahren zu einer Gewinnschwelle führt. Ein anderes vernünftiges Szenario ist, dass die Wirtschaft stark bleibt, Technologieunternehmen ihre Ausgaben drosseln und ihre Überausgaben einfach durch ihren massiven Cashflow decken."

Laut Chollet bedeuten diese Überinvestitionen in Höhe von einigen hundert Milliarden Dollar nicht das Ende der Welt, und nach ihm haben wir in der Vergangenheit schon erlebt, wie ähnliche Blasen friedlich platzten – zum Beispiel die massive Investitionswelle in selbstfahrende Autos von 2015 bis 2018, bei der rund 100 Milliarden Dollar in eine Technologie investiert wurden, die erst heute beginnt, kommerzielle Vorteile zu zeigen. Das schlimme Szenario sei, dass die Wirtschaft langsamer wird, die Technologieunternehmen abrupt den Geldhahn zudrehen und alle nach den Ausgängen rennen. Angesichts der Tatsache, wie viele Anleger an den öffentlichen Märkten der GenAI-Blase ausgesetzt sind (manchmal mit Hebelwirkung), könnte dies der Auslöser für einen Börsencrash und eine Rezession sein.
Er betont: "Die Renditen sind klein, weil es teuer ist, KI-Modelle zu betreiben und unter den Anbietern große Konkurrenz herrscht." Laut Chollet wird der GenAI-Markt zwar weiterwachsen, aber längst nicht in dem Tempo, das viele Investoren erwarten. Diese Erwartungshaltung beruhe auf falschen Versprechungen und übertriebenen Hoffnungen.

Die Grenzen aktueller KI-Modelle und Open Source als Schlüssel einer gerechten Zukunft

Ein weiteres Thema, das Chollet beschäftigt, ist die Frage nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der heutigen KI-Modelle – insbesondere Sprachmodelle wie Chat-GPT. Diese basieren laut ihm hauptsächlich auf dem Prinzip des Auswendiglernens. Die aktuellen Modelle seien zwar beeindruckend, aber weit davon entfernt, eine echte Intelligenz zu besitzen.

Vor etwa einem Jahr gab Chollet, die Einschätzung ab, dass es in fünf Jahren mehr Programmierer geben wird. Die Zahl der Programmierer in den Belegschaften ist seitdem kontinuierlich gestiegen. Es gäbe laut Chollet auch keine Anzeichen dafür, dass sich das plötzlich ändern wird. Die aktuelle Technologie sei nicht auf dem besten Weg, Programmierer zu ersetzen. So ist anzunehmen, dass diese Vorhersage der Realität entspricht, und ein Zeichen dafür, dass KI nicht in der Lage ist, komplexe Aufgaben zu übernehmen.

Ein weiteres wichtiges Anliegen Chollet‘s ist der Zugang zu KI-Technologien. Die Entwicklung von KI ist teuer. Er befürchtet, dass ohne offene und frei zugängliche Forschung die Vorteile der KI-Entwicklung ausschließlich großen Unternehmen zugutekommen könnten. Chollet setzt sich dafür ein, dass offene Alternativen entwickelt werden, die es jedem ermöglichen, an den Fortschritten der KI teilzuhaben. Dies sei entscheidend, um eine monopolistische Kontrolle weniger großer Konzerne zu verhindern und die Entwicklung in eine Richtung zu lenken, die allen zugutekommt. Der Schlüssel sind laut ihm Open-Source-Forschung und Open-Source-Software, insbesondere Open-Source-Modelle. So könne ein Szenario vermieden werden, in dem einige wenige Unternehmen ein Monopol auf hochmoderne KI haben, und stattdessen freie und offene Alternativen allgemein verfügbar machen. Dies sei ähnlich wie bei Betriebssystemen – die Verfügbarkeit von Linux ermöglichte es dem gesamten Technologiesektor, viel schneller Innovationen hervorzubringen, zum Nutzen aller.

Ein realistischer Blick auf die Zukunft

Chollet hegt die Hoffnung, dass die KI-Forschung in eine Richtung geht, die wirklich zur Verbesserung der Gesellschaft beiträgt und es wäre laut ihm wünschenswert, wenn KI als Werkzeug gesehen wird, das die Kreativität und Fähigkeiten der Menschen unterstützt und nicht ersetzt. François Chollet hebt wichtige Punkte hervor, die in der gegenwärtigen Debatte oft übersehen werden. Während KI ohne Zweifel beeindruckende Fortschritte gemacht hat, sei es entscheidend, die Erwartungen zu zügeln und sich auf nachhaltige und ethische Entwicklungen zu konzentrieren. Chollets Kritik an der Überinvestition und der übertriebenen Hype-Maschinerie zeigt, dass es in der KI-Forschung nicht nur um schnelle Gewinne gehen sollte, sondern um langfristige Innovationen, die allen zugutekommen.

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