Als Projektleiterin der LEBEN UND TOD hat Meike Wengler eine besondere Aufgabe: Sie bringt dieses sensible Thema auf eine offene und informative Art und Weise auf die Bühne. Im Interview erzählt sie, wie es dazu kam, welche Ziele hinter der Messe stehen und was sie selbst aus dieser Arbeit mitnimmt.
LEADERSNET: Frau Wengler, wie kam es vor 15 Jahren zur Gründung der Messe LEBEN UND TOD? Was war der Auslöser dafür, ein solches Event ins Leben zu rufen?
Meike Wengler: Eigentlich war das ein großer Zufall. Denn ich saß eines Sonntags auf dem Sofa und schaltete durchs Fernsehprogramm, als ich die Kindersendung "Willi will´s wissen" zum Thema Tod entdeckte. Da begann es in mir zu arbeiten. Ich stellte schnell fest, dass es zwar Bestatter- oder Pflegemessen gab, die jedoch nur für Fachleute gedacht waren. Das hat mich sehr nachdenklich gemacht. Zu dem einzigen Thema, was wirklich ALLE Menschen eint, war nichts zu finden. Das wollte ich unbedingt ändern.
LEADERSNET: In Deutschland gibt es über 10.000 Messen pro Jahr, doch nur eine, die sich explizit mit dem Thema Tod auseinandersetzt. Was macht die LEBEN UND TOD Ihrer Meinung nach so einzigartig, dass sie auch nach 15 Jahren noch wächst und gedeiht?
Meike Wengler: Ganz sicher ist es die Mischung aus Fachlichkeit und Angeboten für Privatbesucher, denn das gibt es so nach wie vor in ganz Europa nicht. Den Austausch wissen sowohl die professionell Begleitenden als auch die Betroffenen und Angehörigen sehr zu schätzen. Natürlich war es auch ein Stück weit der Mut der Messe Bremen, eine Privatbesuchermesse zu dem Thema zu machen. Denn vor 15 Jahren war es wirklich noch ein Tabuthema. Und: Wir haben uns stetig weiterentwickelt, uns immer mal wieder auch neu aufgestellt. Gerade in der Corona-Pandemie haben wir aus der notgedrungenen Absage eine Tugend gemacht und ein Online-Format entwickelt. Das hat die Community um die LEBEN UND TOD noch mehr gefestigt.
LEADERSNET: Was waren die größten Herausforderungen bei der Etablierung einer Messe, die sich mit einem so sensiblen Thema wie dem Tod auseinandersetzt?
Meike Wengler: Zu Beginn ist man uns schon sehr kritisch begegnet. Uns wurde vorgeworfen, wir würden als Messegesellschaft das Thema Tod kommerzialisieren wollen. Für mich war das eine sehr schwierige Zeit und ich habe dem nicht recht folgen können. Jeder Friedhof erhebt Gebühren, jedes Bestattungshaus möchte für seine Dienstleistung bezahlt werden, jede Palliativstation hat Mitarbeitende, die ihr Gehalt am Ende des Monats bekommen, selbst die Kirche erhebt Kirchensteuer. Sie alle sind also irgendwie kommerziell und leisten ja trotzdem einen wertvollen Beitrag. Das steht also in keinem Widerspruch. Aber auf der einen Seite konnte ich die Kritik und Zurückhaltung auch ein Stück weit nachvollziehen, und sie hat mir dabei geholfen, stets sensibel zu bleiben und achtsam auf die Themen der LEBEN UND TOD zu blicken.
LEADERSNET: Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung von 2020 wünschen sich 82% der Deutschen eine offenere Diskussion zum Thema. Welche Rolle spielt die Messe LEBEN UND TOD im öffentlichen Diskurs über Sterben und Tod in Deutschland? Haben Sie das Gefühl, dass sich die Wahrnehmung dieses Themas in der Gesellschaft durch Ihre Arbeit verändert hat?
Meike Wengler: Ich wäre jetzt nicht so vermessen zu behaupten, dass wir die grundsätzliche Diskussion in Deutschland beeinflussen. Aber über die mediale Aufmerksamkeit, die wir ja z.B. auch über die prominenten Keynote-Speaker erlangen, tragen wir sicherlich ein Stück dazu bei, dass wieder mehr über diese Themen gesprochen wird. Ich hoffe auf den Domino-Effekt: Wenn Besucherinnen und Besucher bei uns waren und dann LEADERSNET mit der Familie, Freunden, Nachbarn darüber sprechen, was sie gehört und gesehen und welche Erfahrungen sie gemacht haben, dann bin ich schon sehr zufrieden.
LEADERSNET: Was sind die Kernziele der Messe, und wie tragen diese zur Enttabuisierung des Themas Tod in unserer Gesellschaft bei? Welche Zielgruppen sprechen Sie mit der Messe an, und wie gestalten Sie das Programm, um den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden?
Meike Wengler: Wir verstehen uns zum einen als Fortbildungsveranstaltung, als Plattform und Netzwerk für haupt- und ehrenamtlich Tätige aus den Bereichen Hospiz, Palliative Care, Trauerbegleitung, Seelsorge und Bestattungskultur. Diese Teilnehmer kommen aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz zu uns. Auf der anderen Seite sind wir eine Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige sowie alle interessierten Bürgerinnen und Bürger. Unsere Kernziele sind zum einen, dass die Menschen den Mut finden, sich schon dann mit der eigenen Endlichkeit zu befassen, wenn es ihnen gut geht, sie mitten im Leben stehen. Denn das Bewusstsein für die eigene Endlichkeit und die der Liebsten kann sehr bereichernd für das eigene Hier und Jetzt sein. Zum anderen ist unser Ziel, ein gutes Fortbildungsprogramm zu bieten, gern auch mal über den "Tellerrand" hinausgeblickt. Denn wenn z.B. ein Mediziner mit einer Ehrenamtlichen über Humor am Sterbebett diskutiert, kann das am Ende für beide Seiten zu neuen Erkenntnissen führen, die den eigenen Alltag bereichern und die Arbeit vielleicht sogar besser machen. Die letzte Frage ist wohl die schwierigste: Wir müssen immer wieder in der Lage sein, uns in die Bedarfe der Zielgruppen hineinzudenken. Dabei behalten wir die gesellschaftlichen, kulturellen und demographischen Veränderungen im Blick. Und ein bisschen Mut gehört sicherlich auch dazu!
LEADERSNET: Können Sie ein paar Beispiele für die Themen und Programmpunkte nennen, die auf der LEBEN UND TOD-Messe präsentiert werden?
Meike Wengler: Da muss ich unterscheiden zwischen dem Fortbildungsbereich und den Angeboten für Privatbesucher. Im Fortbildungsbereich ist unser diesjähriger Themenschwerpunkt Resilienz & Selbstsorge. Bei dem Angebot für Privatbesucher gibt es ganz allgemeine Themen wie Tipps für pflegende Angehörige oder wie Rituale in der Trauer helfen können. Besondere Highlights werden dieses Jahr sicher unsere prominenten Speaker sein: Der Schauspieler Oliver Fleischer, der ehemalige Wetten-dass-Kandidat Samuel Koch und die Schauspielerin, Komikerin und Autorin Gaby Köster werden dabei sein!
LEADERSNET: Der Tod ist ein Thema, das viele Menschen gerne vermeiden. Wie schaffen Sie es, eine offene und positive Atmosphäre auf der Messe zu schaffen?
Meike Wengler: Das war auch für uns eine Lernkurve. Am Anfang waren wir selbst sehr unsicher, wie man so ein Thema angeht. Heute darf es auch gerne mal frech sein. Ganz viel tragen die Ausstellerinnen und Aussteller dazu bei. Da ist so eine Energie und Lebensfreude, die kann man fast greifen. Es wird gelacht, man hört fröhliches Gemurmel in den Messegängen, links spielt eine Harfe, rechts bellt ein Therapiehund. Dabei nimmt niemand das Thema auf die leichte Schulter – fast alle haben ihre eigene Geschichte, aber das macht es nochmal authentischer.
LEADERSNET: Was nehmen Sie persönlich aus Ihrer Arbeit als Projektleiterin der LEBEN UND TOD mit? Gibt es besondere Begegnungen oder Momente, die Sie geprägt haben?
Meike Wengler: Ich habe mich schon verändert in dieser Zeit – mein Leben hat mehr an Tiefe und manch vermeintlich unwichtiges Detail hat an Bedeutung gewonnen. Ich genieße z.B. ein einfaches Glas Wasser oft sehr bewusst, seit ich ein Interview mit einer ehemaligen Koma-Patientin geführt habe, die nach dem Erwachen nicht selbst trinken konnte. Ich blicke mit großem Stolz und Dankbarkeit auf das, was mein Team und ich geschaffen haben. Und ich habe eigentlich bei jeder Ausgabe der LEBEN UND TOD einen besonderen Moment: Wenn die Veranstaltung vorbei ist und die Ausstellerinnen und Aussteller abbauen, gehen mein Kollege Alexander Kim und ich noch mal von Stand zu Stand. Da gibt es dann so viele ehrliche und herzliche Umarmungen, warme Worte und liebevolle Gesten, die uns dann bis zur nächsten Veranstaltung tragen. Das möchte ich nicht mehr missen wollen!
LEADERSNET: Wie sehen die nächsten Schritte für die Messe LEBEN UND TOD aus, und welche Visionen haben Sie für zukünftige Veranstaltungen?
Meike Wengler: Wir haben ja gerade turbulente Zeiten hinter uns. Die LEBEN UND TOD wurde von der Messe Bremen an die ahorn Kultur GmbH verkauft. Mein Kollege und ich sind quasi mitgewechselt. Nun werden wir gemeinsam mit der ahorn Kultur die LEBEN UND TOD weiterentwickeln. Mir ist wichtig, dass wir weiterhin ein Format bleiben, welches Haupt- und Ehrenamt, Fachlichkeit und private Interessen vereint und in dem sich sowohl kommerzielle Anbieter als auch Vereine oder kleine Selbsthilfegruppen willkommen fühlen. Wir haben noch viele spannende Themen im Hinterkopf – man darf gespannt sein!
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