Seit Sonntag und noch bis Dienstag, 04. Juni lädt das Ostdeutsche Wirtschaftsforum rund 450 relevante Stimmen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nach Bad Saarow (Brandenburg), um den Strukturwandel der Region und die Dynamik seiner Prozesse unter dem Motto "fast forward“ zu diskutieren.
Berühmtester Speaker im Programm der diesjährigen Konferenz des OWF – der "wichtigsten Plattform für alle Themen rund um den Wirtschaftsstandort Ostdeutschland“ – ist dabei jemand, der von vielen Vertretern des Feldes in letzter Zeit nicht unbedingt mit Lob überhäuft worden ist: Kein Geringerer als Bundeskanzler Olaf Scholz gibt mit einer Keynote den offiziellen Startschuss zur dreitägigen Veranstaltung ab.
"Grundlegende Modernisierung unserer Wirtschaft und Gesellschaft“
Am frühen Nachmittag trat der Kanzler auf die Bühne im Theater am See und nahm in seinem Wortbeitrag zunächst Bezug auf aktuelle Themen ohne (rein) wirtschaftlichen Bezug, konkreter die aktuellen Flut-Krisenherde in Süddeutschland und das Messerattentat auf den Pax-Europa-Politiker Michael Stützenberger, bei dem ein Mannheimer Polizist tödlich verletzt wurde.
Während Scholz hinsichtlich der massiven Regenschäden zu Solidarität aufrief, bekräftigte er außerdem: "Unterschätzt uns nicht“ in Richtung derer, die demokratische Räume gewaltsam einschränken wollen.
Scholz bezeichnete Bad Saarow mit einem Augenzwinkern als "das Davos Ostdeutschlands“ und gab zu Protokoll, die Einladung gern angenommen zu haben. Im Motto des diesjährigen Events sah er "zum einen eine sehr treffende, objektive Gegenwartsbeschreibung: Dekarbonisierung, Digitalisierung, KI-Nutzung. Wir gehen gerade mit enormer Geschwindigkeit mitten durch eine grundlegende Modernisierung unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Und gerade mit Blick auf die exponentiell steigenden Fähigkeiten von Künstlicher Intelligenz steht es zu erwarten, dass sich das Veränderungstempo in den kommenden Jahren noch deutlich steigern wird.“
Die Zeit fährt Auto
Zum anderen sei "fast forward“ auch ein "Gefühl ganz vieler Bürgerinnern und Bürger. Die Sorge, abgehängt zu werden, die Kontrolle zu verlieren“. Mit Bezug auf Erich Kästners Gedicht "Die Zeit fährt Auto“ stellte Scholz fest, dass "Zeiten großer Veränderung schon immer Zeiten großer Unsicherheit über die Zukunft waren. Das hat wirtschaftliche, das hat gesellschaftliche und das hat politische Auswirkungen.“
Im Anschluss an seine etwa 22-minütige Keynote begab sich OWF-Präsident Frank Nehring für eine Fragerunde zu Olaf Scholz auf die Bühne; beide Programmpunkte können hier in voller Länge nachverfolgt werden. Nehring sprach Scholz unter anderem auf das stets im Vorfeld der Veranstaltung veröffentliche Transformationsbarometer des OWF an. Diesmal hat die Hälfte der dafür befragten Entscheider die wirtschaftliche Lage in Ostdeutschland als "negativ“ oder sogar "sehr negativ“ eingestuft. Gleichzeitig sei mehr als die Hälfte mit ihrem Erfolg im Unternehmen zufrieden; die Lage ist nach Nehrings Deutung daher besser als die Stimmung.
"Wir haben ja nun wirklich große wirtschaftliche Herausforderungen zu bewältigen gehabt, von denen mehrfach gedacht worden ist, dass es uns gar nicht gelingen wird. Wir haben es ja schon fast vergessen, aber da war eine Corona-Pandemie, wo wir große wirtschaftliche Einschränkungen hatten“, erinnerte Scholz als Antwort und mit Verweis auf teilweise bis heute nicht vollständig wiederhergestellte Lieferketten.
Die Regierung habe "unglaublich viel Geld nutzen müssen, um Wirtschaft und Bürger und Bürgerinnen durch die Zeit zu bringen. Dann hat der russische Angriffskrieg auch viel verändert; einmal, weil wir sehr viele Anstrengungen und Finanzmittel brauchen, um Frieden und Sicherheit zu gewährleisten und auch die Ukraine zu unterstützen. Aber auch deshalb, weil natürlich vieles durcheinander gekommen ist: Plötzlich fehlten 50 Prozent der Gaslieferungen, die nach Deutschland gekommen sind. Das hat irre Steigerungen bei Energiepreisen auf der ganzen Welt mit sich geführt und sich auch bei uns ausgewirkt. Und jetzt kommen wir so allmählich da raus; die Weltkonjunktur entwickelt sich, aber sie ist noch nicht da, wo wir sie gerne hätten als sehr exportorientiertes Land.“
Scholz erwähnte außerdem getätigte Maßnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels und "unglaubliche technologische Umbrüche, wo wir dann irgendwann später mal sagen können, ob wir es richtig entschieden haben, aber wir müssen jetzt entscheiden – und wir brauchen Tempo.“
Weitere Regierungsvertreter erwartet
Das besagte Transformationsbarometer wird bis Dienstag noch vielen Vorträgen und Gesprächsrunden als Datengrundlage dienen, wobei Olaf Scholz keineswegs der einzige namhafte Gast ist: Direkt nach Keynote und Q&A bekam der Kanzler so zum Beispiel Gesellschaft von Litauens Premierministerin Ingrida Šimonytė, mit der er über "Europäische Volkswirtschaften in Zeiten geopolitischer Spannungen“ diskutierte.
Darüber hinaus geben sich in im Laufe des diesjährigen OWF24 auch Wirtschaftsminister Robert Habeck, Finanzminister Christian Lindner sowie Arbeitsminister Hubertus Heil die Ehre. Als Kernthemen der Konferenz geben die Veranstalter unter anderem die "Rückkehr zu einem Pfad des wirtschaftlichen Wachstums“, den "beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien, auch als Standortfaktor für Unternehmensansiedelungen“ oder die zur Transformation zugehörigen Finanzierungsfragen an.
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