Global Trends to 2030 ist ein Beitrag zur Unterstützung von Politikern und Entscheidungsträgern zur Gestaltung der Welt im Jahr 2030. Sie ist Direktorin der Forschungsabteilung am NATO Defense College (Rom). Gaub arbeitete als stellvertretende Direktorin am Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien und als Zukunftsberaterin im Generalsekretariat des Rates und ist Gastprofessorin am College of Europe sowie Mitglied des WEF Global Future Council zur Zukunft komplexer Risiken als Gründer und Präsident einer Denkfabrik und Beratungsfirma, dem Futurate Institute. Die Forschungsdirektorin des NATO Defense College und Autorin des Buches "Zukunft: Eine Bedienungsanleitung" sagt, wie sich Zukunft denken, planen und persönlich gestalten lässt.
LEADERSNET: Beginnen wir mit etwas Einfachem. Können Sie mir ein wenig erzählen, was Sie tun?
Florence Gaub: Ich denke hauptberuflich über die Zukunft nach: was wissen wir über sie, was wissen wir nicht, was wünschen wir uns, was wollen wir vermeiden. Ich tue das nicht allein, sondern mit meinem Team an Wissenschaftlern, mit anderen relevanten Abteilungen in der NATO, in den Mitgliedstaaten, aber auch mit dem Privatsektor und der Zivilgesellschaft. Je mehr Input und je bunter, desto besser – ich schaue genauso Science Fiction Filme wie ich Trendreports lese. Am Ende des Tages soll unsere Analyse dazu beitragen, dass Entscheidungsträger bessere Entscheidungen treffen – und die Zukunft damit besser machen.
LEADERSNET: Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die vorausschauende Politikgestaltung bei der Bewältigung globaler Herausforderungen?
Florence Gaub: Die Zukunftsvorausschau geht immer durch Wellen, Phasen in denen sich viele Fragen stellen und Phasen in denen die Menschen das Gefühl haben, sie wissen recht sicher wie morgen aussieht. Aktuell sprießen überall wieder Zukunftsvorausschaueinheiten aus dem Boden, bei der UNO, den Mitgliedstaaten, in der EU und viele mehr – weil wir wieder in einer Unsicherheitsphase sind. Aber bis vor ein paar Jahren spielten zukünftige Prognosen kaum eine Rolle und ich wünsche mir, dass sie noch mehr gehört und genutzt werden als jetzt. Denn da, wo sie voll in den Politikprozess integriert ist – z.B. in Finnland – wird effizienter gearbeitet und nachgedacht.
LEADERSNET: Welche Herausforderungen ergeben sich aus der Klimakrise und dem Ukraine-Krieg für die globale Wirtschaft und Sicherheitspolitik?
Florence Gaub: Es sind ja nicht nur diese beiden Krisen, die aktuell unsere Aufmerksamkeit und Ressourcen fordern. Da wir auch immer länger leben, müssen wir mehr für Gesundheit und soziale Leistungen ausgeben. Zusammen genommen heißt das, dass die Ressourcen für alle drei aufgezählten Punkte nicht unmittelbar reichen. Daher müssen wir Kompromisse machen: Zwischenlösungen finden, besser investieren, länger arbeiten – egal wie diese Kompromisse aussehen, es wird nicht gehen, dass alles genauso bleibt, wie es heute ist.
LEADERSNET: Viele Menschen in der westlichen Welt blicken pessimistisch in die Zukunft. Anders in anderen kulturellen und geographischen Regionen. Woran liegt das?
Florence Gaub: Tatsächlich sehen wir, dass in vielen Staaten Asiens und auch Afrikas die Menschen optimistischer in die Zukunft schauen als bei uns. Das liegt erstens daran, dass sich die Regierungen dort oft der Zukunft verschrieben haben – zum Beispiel in China oder Saudi-Arabien. Sie versprechen konkrete Verbesserungen in der Zukunft – unsere Regierungen dagegen versprechen, dass alles so bleibt wie es ist, aber das ist keine Zukunft, auf die man sich freut. Zweitens ist es so, dass wir durch unseren Wohlstand natürlich einen Standard erreicht haben, bei dem es schwierig wird, noch mehr zu versprechen. Fast jeder von uns hat heute mehr als unsere Eltern oder Großeltern, also worauf arbeiten wir dann hin? Ich denke, wir sind gerade dabei, neu zu definieren, was der Mensch sich von der Zukunft wünscht über Wohlstand hinaus – was der Philosoph Erich Fromm als Haben oder Sein beschrieben hat. Ich glaube, wir entwickeln uns weg vom Haben und hin zum Sein: eine Zukunft, in der wir uns über Erfahrungen definieren anstatt über Besitz.
LEADERSNET: Welche Haupttrends und Szenarien haben Sie in Ihrer Arbeit identifiziert, die die Welt bis 2030 prägen könnten?
Florence Gaub: Es gibt im Wesentlichen fünf Megatrends, die die Zukunft gestalten werden: höhere Lebenserwartung, der Klimawandel, die Veränderung des Arbeitsmarktes durch KI, die starke Polarisierung der Gesellschaften durch soziale Medien und natürlich die Veränderung der internationalen Beziehungen seit der Invasion der Ukraine. Es gibt zu jedem Trend nicht eins, sondern mehrere Szenarien, das ist das wichtigste: die Zukunft ist nicht festgeschrieben, sondern der Möglichkeitsraum ist sehr groß – alles hängt davon ab, welche Entscheidungen wir und andere treffen.
LEADERSNET: Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Gestaltung der Welt bis 2030, und wie können diese bewältigt werden?
Florence Gaub: Die größte ist natürlich der Klimawandel: es gibt hier sehr viel zu tun, und auch wenn wir das 1,5-Grad-Ziel nicht einhalten werden, heißt das noch lange nicht, dass es unmöglich ist, unter 2 Grad zu bleiben. Das allein wird vermutlich alles andere beeinflussen. Dann haben wir ja auch die längere Lebenserwartung, was ja gute Nachrichten sind, aber auch bedeutet, dass wir lernen müssen, gesünder zu werden – wir leben zwar länger, aber nicht gesünder als unsere Vorfahren. Dann wird sich unser Arbeitsmarkt verändern, sowohl wegen KI als auch weil die neue Generation weniger arbeiten will.
LEADERSNET: Welche Rolle spielt die NATO Ihrer Meinung nach bei der Gestaltung der globalen Sicherheitslandschaft bis 2030?
Florence Gaub: Für Europa und Nordamerika bleibt die NATO die Hauptquelle der Sicherheit auf absehbare Zeit. Das liegt natürlich daran, dass die Europäische Union nicht die Strukturen oder Mechanismen hat, über welche die NATO verfügt, aber auch daran, dass die NATO natürlich mit den USA das wichtigste und mächtigste Militär der Welt als Mitgliedstaat hat. Und die NATO wächst weiter – sie ist somit weit vom Hirntot entfernt.
LEADERSNET: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Sicherheitsbedrohungen für Europa in den nächsten Jahren? Kann eine Bedrohung auch von innen kommen (Forderungen nach Kalifat; ausartende Islamisten-Demos)? Derzeit konzentriert man sich auf Gefahren von außen.
Florence Gaub: Terrorismus bleibt weiterhin ein Thema, sowohl von Islamisten und ebenso von Rechts, und auch von Umweltextremisten, wenn wir uns damit aktuell nicht befassen. Dann haben wir natürlich das Cyberproblem – nicht nur Angriffe von außen, sondern einfach Kriminalität – die meisten von uns sind sich jedoch nicht einmal dieser Risiken bewusst.
LEADERSNET: Abschließend, welche Zukunftsthemen interessieren Sie persönlich am meisten, und worauf konzentrieren Sie sich in Ihrer aktuellen Forschungstätigkeit?
Florence Gaub: Mich interessieren zwei Dinge: erstens, wie kann man messen, wie verschiedene Gesellschaften die Zukunft wahrnehmen, und zweitens, die "weichen" Faktoren der Zukunft. Zum Beispiel wie Menschen sich in der Zukunft fühlen werden, wie sie leben wollen, wovon sie träumen werden – alles viel schwerer zu erforschen als Klima oder Wirtschaft.
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