KI-Texte-Flut im Netz
"Es wird exponentiell schlimmer": Das Geschäft mit KI-Clickbait

| Redaktion 
| 06.03.2024

Vujo lässt über 2.000 einst florierende Internet-Seiten mit KI-generiertem Unsinn bespielen und verdient dabei gutes Geld. Begeistert ist er nicht von seinem Geschäft. Doch in seinen Augen ist es eben der Lauf der Dinge.

Nebojša Vujinović, besser bekannt als Vujo, steht paradoxerweise der Technologie, die sein Geschäftsmodell antreibt, kritisch gegenüber. Vujo hat sich ein Imperium aufgebaut, indem er verlassene Nachrichtenportale und Webseiten erwarb, um sie anschließend mit Inhalten zu füllen, die von Algorithmen erzeugt wurden. Trotz des Unmuts, den dieses Vorgehen bei Autor:innen und Leser:innen auslöst, betrachtet er den Einsatz großer Sprachmodelle als eine Evolution – ähnlich dem Übergang von der Kutsche zum Auto. „Autos belasten unseren Planeten, und doch tauschen die Menschen Pferd gegen einen Wagen ein“, konstatiert er im Gespräch mit Wired.

Vujo, der CEO der Digitalmarketing-Firma Shantel, hat mehr als 2.000 solcher Seiten unter seinen Fittichen. Sein Geschäft basiert auf dem Ankauf von Domains, die bessere Zeiten gesehen haben, und deren Monetarisierung durch Werbung, gesponserte Inhalte und den Verkauf von Backlinks. Vujo macht Jagd auf Medien-Websites in Not, weil diese bereits ein Publikum und eine Historie guter Suchergebnisplatzierungen mitbringen.

Keine Spur mehr von Witz und virtuosen Worten

Domain-Squatting – das Aufkaufen und Profitieren von Web-Domains, die einst etablierten Marken gehörten – bildet das Fundament seines Unternehmens. Doch Vujo gibt dem alten Handwerk eine neue Wendung durch den Einsatz generativer KI.

Ein Beispiel ist der einst so beliebte Indie-Frauenblog The Hairpin. Er schloss 2018 seine Pforten. Kürzlich erschien die Webseite mit einem neuen Antlitz. Statt der einst lebhaften und humorvollen Beiträge spuckt die Seite nun KI-generierte Texte aus, die nicht mehr viel mit dem Originalgeist zu tun haben.

In einem Gespräch mit Wired per Zoom aus Belgrad offenbart Vujo seine Sichtweise auf die Kontroverse um seine Geschäftspraktiken. Er verteidigt seine Entscheidungen mit Verweis auf sein von Krieg und Migration geprägtes Leben, das ihn zu unkonventionellen Wegen zwang. „Ich bin kein Ungeheuer“, versichert er, „nur ein ganz normaler Mensch.“

Von Rezepttipps zu Apple Daily

Sein Weg in die Welt des Domain-Squatting begann 2017 mit dem Tod des italienischen Kochs Antonio Carluccio und dem Erwerb einer seiner Websites. Vujo erzählt von seinem Glück, diese Domain zu ergattern und in eine inhaltsorientierte Mühle umzuwandeln. Doch der wahre Wendepunkt war der Kauf des Frauenmedien-Outlets The Frisky, der sein Leben veränderte und beträchtliche Einnahmen generierte.

Mit der Einführung generativer KI im Jahr 2023 reduzierte Vujo sein Redaktionsteam drastisch. Die Technologie ermöglichte ihm, dieselbe Menge an Inhalten mit deutlich geringeren Ausgaben zu produzieren. Doch die Massenproduktion von KI-Inhalten wirft ethische Fragen auf und sorgt für Unbehagen in der Medienwelt.

KI statt Redakteure

Die Übernahme der Domain der prodemokratischen Zeitung Apple Daily im Jahr 2023 durch Vujo markiert einen weiteren kontroversen Meilenstein. Die Webseite dient nun als SEO-Köder und weicht komplett von ihrer ursprünglichen Nachrichtenausrichtung ab.

Während Vujo sein Vorgehen als geschäftliche Notwendigkeit verteidigt, steht er stellvertretend für eine wachsende Branche, die mit KI generierte Inhalte nutzt und expandiert. Die Folgen für die Qualität des Internets und die Zukunft des Journalismus bleiben abzuwarten. Vujo jedenfalls ist sich sicher, dass es exponentiell schlimmer wird.

Kommentar schreiben

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV