Ogilvie wurde 1976 in Bonn geboren und lebt weiterhin in der Stadt am Rhein. Nach dem Studium der Psychologe in Bonn und Wirtschaftswissenschaften in St. Gallen heuerte er 2001 bei der damaligen Deutsche Post World Net an. Sein Werdegang bei der DHL Group ist der eines Marktforschungspraktikanten bis in den Vorstand eines international renommierten Logistikkonzerns. Unter Ogilvie, der seit 2017 dem Vorstand angehört, hat die DHL Group im Jahr 2022 die Marke von rund 600.000 Mitarbeitenden weltweit überschritten. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.
LEADERSNET: Erzählen Sie Ihren Hintergrund. Wie sind Sie aufgewachsen und was hat Sie geprägt? Wie haben Ihre Kindheit und Ihr Aufwachsen Ihren Weg an die Spitze des Konzerns beeinflusst?
Dr. Thomas Ogilvie: Ich lebe seit meiner Geburt vor 47 Jahren im selben Stadtteil von Bonn, bin seit 30 Jahren mit meiner Frau zusammen und arbeite seit 23 Jahren für die DHL Group. Kontinuität und Langfristigkeit sind, wenn man so will, Leitmotive in meinem Leben. Kontinuität ist aber nur erfolgreich, solange man neugierig bleibt und sich weiterentwickelt. Hier die richtige Balance zu finden, ist zufriedenstellend und hilfreich – beruflich wie privat.
LEADERSNET: Die Post hat im Paketbereich bei der Zustellung 98 Prozent in der eigenen Wertschöpfung. Die Briefzustellung liegt komplett im Eigenbetrieb. Im Zuge des Tarifstreits deuteten Sie an verstärkt auf Fremdvergaben zu setzen. Ist das immer noch aktuell oder setzen Sie auch weiterhin auf ein Betriebsmodell, das ausschließlich mit eigenen Kräften operiert?
Dr. Thomas Ogilvie: Wir sind fest davon überzeugt, dass direkt beschäftigte Zustellerinnen und Zusteller in Bezug auf Servicequalität, Motivation und Kundenfreundlichkeit einen Unterschied machen. Gleichzeitig brauchen wir als Unternehmen aber auch Rahmenbedingungen, die uns in einem saisonal volatilen Geschäft die notwendige Flexibilität ermöglichen. Dies war Gegenstand der tariflichen Verhandlungen und ich freue mich sehr, dass es uns zusammen mit Ver.di gelungen ist, den Fremdvergabeverzicht im Bereich der Brief- und Verbundzustellung bis Mitte 2026 zu verlängern und hier weiterhin vollumfänglich auf tarifierte und sozialversicherungspflichtige Eigenbeschäftigte zu setzen. Die getroffene Vereinbarung bietet unseren Beschäftigten Sicherheit und Planbarkeit und ermöglicht uns Flexibilität und wirtschaftliche Tragfähigkeit. Daher gibt es aktuell keinen Grund, von dem Modell abzuweichen.
LEADERSNET: Inwiefern beeinflussen Technologien wie Künstliche Intelligenz und Automatisierung die Arbeitskräftestrategie der DHL Group?
Dr. Thomas Ogilvie: Wir bieten mehr als 1000 verschiedene Tätigkeiten im Konzern an. Auf diese wirkt sich technologischer Fortschritt in stark unterschiedlichem Maße aus, daher schauen wir in den Funktionsbereichen zielgenau darauf, wo Technologie den Arbeitsalltag erleichtern und operative Prozesse verbessern kann. Ein Beispiel für den sinnvollen Einsatz und die Vernetzung verschiedener Technologien ist unser DHL Supply Chain Warehouse in Memphis. Es wurde kürzlich vom Weltwirtschaftsforum zum „Global Lighthouse“ ernannt und gehört damit zu den weltweit führenden Produktionsstätten, in denen Technologien der Vierten Industriellen Revolution zum Einsatz kommen, also das Zusammenspiel von datenbasierter Optimierung und physischer Automation durch Robotertechnologie. Sinnvoll eingesetzt, liegen die Vorteile von KI auf der Hand: höhere Mitarbeiterzufriedenheit, weniger Fluktuation und mehr Produktivität.
LEADERSNET: Wie identifiziert und fördert die DHL Group Talente innerhalb des Unternehmens?
Dr. Thomas Ogilvie: Die Identifikation von Talenten ist ein notwendiger erster Schritt, aber gleichzeitig nur der Anfang in der gezielten Personalentwicklung. Wichtig ist, dass wir es Talenten ermöglichen, sich entsprechend ihrer Fähigkeiten weiter zu entwickeln. Das geschieht bei uns zum Beispiel durch den jährlichen Performance-Management-Prozess, in den wir ca. 75.000 Mitarbeitende einbeziehen. Wir schauen gezielt, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten für höherwertige Tätigkeiten nötig sind und finden heraus, wer für Fach- und Führungsrollen infrage kommt. Es gelingt uns jetzt schon, Managementpositionen zu rund 80 Prozent mit internen Kandidatinnen und Kandidaten nachzubesetzen. Ich denke, das spricht für sich.
LEADERSNET: Welche Initiativen hat die DHL Group eingeführt, um Diversity und Inklusion am Arbeitsplatz zu stärken? Diese Gruppen haben am Arbeitsmarkt immer noch mit Benachteiligungen zu kämpfen. Erfüllt die DHL Group die gesetzlich vorgeschriebenen Quoten?
Dr. Thomas Ogilvie: Als eines der wenigen Unternehmen, erfüllen wir die gesetzliche Quote im Hinblick auf Menschen mit Beeinträchtigung – rund 8% (ca. 14.300) unserer Mitarbeitenden sind Menschen mit Behinderung. Unser Anspruch ist es, Arbeitgeber erster Wahl für alle und eine „Great Company to Work for All“ zu sein. Das gilt per Definition für die gesamte Belegschaft, unabhängig von Geschlecht, Kultur, Herkunft oder sexueller Orientierung. Als weltweit agierendes Unternehmen schätzen wir die Vielfalt unserer Mitarbeitenden und begreifen sie als Stärke. Jeder und jede soll zur Arbeit kommen, sich zugehörig fühlen und der Mensch sein, der er oder sie ist. Um das sicherzustellen, setzen wir auf ein respektvolles, inklusives Führungsverhalten, diskriminierungsfreies Recruiting und Talentmanagement sowie weltweite Kampagnen. Vergangenes Jahr gab es etwa eine globale Woche der Vielfalt, als klares Statement für Toleranz. In der heutigen Zeit ist so etwas wichtiger denn je.
LEADERSNET: Die Situation der Zusteller änderte sich über die Jahrzehnte. Früher gab es den „Beamtenstatus“, die Zustellungen erfolgten nicht so schnell wie heute, dennoch waren Mitarbeiter jahrzehntelang im Betrieb, die Arbeitsbedingungen galten als akzeptabel und es gab keine Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Programme u.Ä. Im Jahr 2022 erreichte die Zahl der Beschwerden gegen die deutsche Brief- und Paketbranche mit etwa 43.500 einen neuen Höchststand. Was muss sich ändern im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen und die Zufriedenheit mit dem Konzern? Man hört von allen Seiten von zunehmendem Druck, häufigen Überstunden oder zu kurzen Pausen…
Dr. Thomas Ogilvie: Gestern wie heute arbeiten Mitarbeitende jahrzehntelang und gerne bei uns. Wir bieten die besten Arbeitsbedingungen in der Branche und dazu gehört auch, dass es bei uns tarifierte Löhne, Freizeitausgleich für Überstunden und feste Pausenzeiten gibt. Dass wir als Arbeitgeber attraktiv sind, bestätigt aus meiner Sicht auch die Tatsache, dass wir in den vergangenen zwölf Monaten einen enormen Anstieg der Bewerberzahlen gesehen haben. Die Anzahl der Beschwerden liegt im Vergleich zu den Milliarden von Sendungen, die wir pro Jahr transportieren, nicht einmal im Promillebereich. Dennoch setzen wir weiterhin alles daran, eine gute Qualität zu bringen und immer besser zu werden.
LEADERSNET: Globale Veränderungen und Umbrüche stellen Deutschland vor Herausforderungen, bieten jedoch ebenso mehr Chancen als Risiken. Der Welthandel bleibt Wachstumstreiber und Wachstumschance. Zusätzlich ebnen Digitalisierung, KI, Demografie, ESG den Weg in Richtung mehr Produktivität und neuer Geschäftsmodelle. Wie sehen Produktivitätssteigerungen bei DHL aus? Was planen Sie im Hinblick auf neue Geschäftsmodelle?
Dr. Thomas Ogilvie: Menschen zu verbinden und Leben zu verbessern ist unsere Aufgabe. Dies gilt in einer komplexerwerdenden Welt mehr denn je, weil die Vernetzung von Menschen durch Handel dazu beiträgt, Wohlstand für alle zu ermöglichen und Krisenursachen zu reduzieren. Wir beobachten seit einiger Zeit, dass Unternehmen in ihren Sourcing-Strategien auf resiliente Wertschöpfungsketten achten, China Plus One beziehungsweise Omni-Shoring ist dabei ein Stichwort in Sachen Diversifizierungsstrategie unserer Kunden. Zudem haben Sichtbarkeit, Transparenz von Warenflüssen und Umweltaspekte ein größeres Gewicht. Als Logistikdienstleister sorgen wir dafür, für unsere Kunden Zuverlässigkeit und Transparenz sicherzustellen. Hier sehen wir das größte Wertschöpfungs- und innovationspotenzial im Kerngeschäft.
LEADERSNET: Zunehmend fordern, Fonds, Anleger und Investoren, dass die Vergütung der Manager an ESG-Ziele geknüpft wird. Die DHL Group setzte dies ab 2022 um. Ist dies notwendig, um entsprechende Anreize zu setzen und Nachhaltigkeit wirklich zu gewährleisten?
Dr. Thomas Ogilvie: Ja. Denn nur so kann ganzheitliches Management und Stakeholder-Kapitalismus gelingen. Wir haben nachhaltiges Wirtschaften zu einer festen, messbaren Zielgröße für unseren unternehmerischen Erfolg gemacht. Das mag jetzt noch ungewöhnlich sein, aber es ist folgerichtig. Ich bin mir sicher, dass das in den nächsten Jahren zum Standard werden wird. Dies zeigt auch die Aufmerksamkeit, die der Kapitalmarkt und Ratingagenturen dem ESG-Thema widmen. Wir hatten in der Vergangenheit unser Zielsystem entlang der drei Bottom-Lines „Arbeitgeber erster Wahl“, „Anbieter erster Wahl“ und „Investment erster Wahl“ aufgebaut. Wichtig war uns dabei immer die Synchronisation zwischen den Zielen für den Vorstand und die Topführungskräfte im Konzern. Mit der Berücksichtigung von ESG-Kriterien im Zielsystem für den Vorstand, war es nur folgerichtig, dies entsprechend für die Führungskräfte zu synchronisieren.
LEADERSNET: Wenn jemand sagen würde, Sie sind ein Vorbild für mich, Sie sind ein toller Mensch, haben eine beeindruckende Karriere hingelegt, arbeiten in einem gut gehenden Unternehmen, ich würde auch gerne so sein wie Sie. Welchen Tipp würden Sie ihm geben, um darauf vorbereitet sein? Waren Sie schlauer als andere oder arbeiteten Sie härter? Was würden Sie sagen?
Dr. Thomas Ogilvie: Ich wäre zuerst geschmeichelt und dann alarmiert. Alarmiert, weil es wichtig ist, dass man im Einklang mit sich selbst lebt und handelt, statt fremden Idealen hinterherzujagen. Alles andere geht auf Dauer nicht gut. Aus meiner Sicht ist es hilfreich, den Erfolg des Unternehmens und des Teams, in dem man arbeitet, über den eigenen, individuellen Erfolg zu stellen und danach auch zu handeln.
LEADERSNET: Was ist der beste Ratschlag, den Sie für ihre berufliche Laufbahn und Ihr Leben je erhalten haben?Was ist die wichtigste Lektion, die Sie aus all dem gelernt haben? Was würden Sie Ihrem jüngeren Ich raten?
Dr. Thomas Ogilvie: Gib einfach jeden Tag Dein Bestes, der Rest ergibt sich von allein.
LEADERSNET: Wenn Sie Ihr Unternehmen nicht leiten und nicht der Vater einer Tochter sind, was machen Sie sonst da draußen?
Dr. Thomas Ogilvie: Zum Glück bin ich immer der Vater meiner Tochter (lacht). Die Wochenenden versuche ich mir freizuhalten und mich auf meine Familie, Freunde und auf Dinge wie spazieren gehen oder kochen zu konzentrieren. Da sind wir wieder beim Thema Balance…
Kommentar schreiben