Nach acht Jahren verließ sie Galderma Ende 2021 und nahm eine neue Herausforderung an. Eine Position im Vorstand eines Konzerns wäre naheliegend gewesen, aber Marion Bock entschied sich anders: für ein mittelständisches Unternehmen. Sie wählte den Aufbau des Standortes Deutschland für das größte inhabergeführte Pharmaunternehmen der Schweiz, IBSA Pharma.
In unserem Leadersnet-Interview sprechen wir darüber, welche Rolle die DNA und die Kultur des inhabergeführten Unternehmens bei der Entscheidung, den Job anzunehmen, für die erfahrene Pharma-Managerin gespielt haben und wie sie trotz der aktuellen Herausforderungen vorankommt. Getroffen haben wir uns in ihrem neuen Büro in Düsseldorf.
LEADERSNET: Schön haben Sie es hier, im Comfort Office in Düsseldorf, in bester Lage auf der KÖ - direkt gegenüber der 5-Sterne-Häuser Breidenbacher Hof und Steigenberger Parkhotel. Nach welchen Kriterien haben Sie den deutschen Standort für IBSA Pharma gewählt, Frau Bock?
Marion Bock: Früher hatte ich das Privileg eine Facility Managerin für Organisationsthemen zu haben; dieses Mal war diese Aufgabe an mich selbst delegiert. Ich war die Frau der ersten Stunde für IBSA Pharma Deutschland. Am Ende war die richtige Mischung entscheidend. Neben den repräsentativen Aspekten der Königsallee mit einer sehr guten Infrastruktur für das IBSA-Team in Düsseldorf sind wir in diesem Business-Center sehr flexibel in der Buchung der benötigten Flächen. Wir können dynamisch wachsen und mussten uns nicht gleich zu Beginn an einen großen Unternehmenssitz binden.
Ich habe Unternehmen geführt, wo allein die Miete fast eine halbe Million Euro Kosten verursacht hat. Den Umsatz muss man erst einmal generieren. Das wollte ich in diesem Fall zu Beginn vermeiden. Ich gehe mit dem Geld der Firma so um, als wäre es mein eigenes. Als Betriebswirtin drehe ich jeden Euro dreimal um. Wir haben ein flexibles Home-Office-Modell, sodass wir nicht zu jeder Zeit voll belegt sind und flexibel in der Planung bleiben können. Das funktioniert bis dato gut.
LEADERSNET: Im Vorfeld zu diesem Gespräch habe ich Ihr Interview mit Luigi Lo Grasso auf Antenne Düsseldorf gehört. Sie waren zu Gast in der Sendung "Buonasera Düsseldorf". Ich war sehr beeindruckt davon, mit welcher Leichtigkeit Sie Italienisch sprechen. Wie wichtig ist Ihnen das?
Marion Bock: Kommunikation ist für mich das A und O. Darüber hinaus liebe ich Sprachen so sehr, dass ich mich regelrecht in sie hineinversetze. Wenn ich eine Sprache spreche, dann lebe ich sie, auch mit ihrer Melodie. Dadurch tauche ich auch in die Kultur und Mentalität ein.
Das birgt enorme Vorteile. IBSA Pharma ist ein im schweizerischen Lugano im Tessin ansässiges Unternehmen, aber der Inhaber ist Römer - die italienische Mentalität ist im Unternehmen weit verbreitet. Ich kann sie fühlen.
LEADERSNET: Ich gehe davon aus, dass Ihre Fach- und Führungsexpertise bei Headhuntern sehr gefragt ist. Schließlich verfügen Sie über breite, langjährige Erfahrung in den Bereichen Arzneimittel, Nahrungsergänzungsmittel und Ästhetik. Wie hat es ein mittelständisches Unternehmen, das in Deutschland kaum bekannt ist, geschafft, Sie zu überzeugen?
Marion Bock: Ich muss zugeben, nach dem ersten Gespräch mit dem Headhunter war ich nicht sofort überzeugt. Ich dachte, okay, so ein inhabergeführtes, etwas zurückhaltendes und vor allem in Deutschland unbekanntes Unternehmen ist vielleicht nicht, wo ich den gegenseitigen Match auf Anhieb sehe. Der von IBSA Pharma beauftragte Headhunter blieb jedoch hartnäckig und fragte, was er tun könne, um mich zu überzeugen. Er war fest davon überzeugt, dass es passen könnte. Vor allem aufgrund meiner umfassenden Erfahrung in allen Geschäftsbereichen, die sich mit den Tätigkeitsfeldern von IBSA deckten.
Dann kam die Einladung nach Lugano ins Headquarter. Da waren dann der Personalleiter und der Leiter Strategische Markenführung, beide Italiener, schon 50/60plus - also diese ältere Generation mit Stil und Etikette. Und der Patron selbst, Dr. Arturo Licenziati, heute 88 Jahre alt, kam höchstpersönlich dazu.
Ich wollte höflich sein und habe ihn auf Italienisch begrüßt, woraufhin er spontan antwortete: "La signora Bock parla italiano? Un poco?". Das war's. Von diesem Moment an führte er das Gespräch mit mir auf Italienisch, und später auch auf Französisch.
Ich meine, es ging um eine Geschäftsführungsposition. Das war sprachlich auch für mich eine Herausforderung, da ich eigentlich über Pläne und Ideen sprechen wollte. In einem solchen Gespräch möchte man doch mit seiner Fachkenntnis überzeugen, aber das schien ihn gar nicht primär zu interessieren.
Die Firma legt Wert auf Persönlichkeit, auf Menschen, auf menschliche Werte. Es muss die Chemie stimmen. Sie gehen davon aus, dass der Recruiter, der mich ausgesucht hat, die Fachkenntnisse gecheckt hat. "Die Frau hat es irgendwie drauf und kann auch führen."
Aber ihnen ist extrem wichtig, dass die Chemie stimmt. Soziale Verbindung, Verhalten. Und das hat mich dann angesprochen, ich dachte: "Wow, die scheinen eins der Unternehmen zu sein, die leider immer weniger werden, die Manager und Mitarbeiter wertschätzen und Vertrauen schenken."
Ja, und das hat mich dann überzeugt. Ich dachte mir: "Spring ins Wasser, mach es. Hier kannst Du was bewegen und aufbauen.“
LEADERSNET: Wie hat Dr. Arturo Licenziati auf Sie gewirkt?
Marion Bock: Charmant, bestimmt und sehr klar. Er ist eine herausragende Persönlichkeit. Ich meine, um ein Unternehmen wie dieses aufzubauen, musst du eine starke Führungspersönlichkeit sein und visionär denken.
Arturo Licenziati hat das Unternehmen 1985 akquiriert und aus einer kleinen Forschungseinrichtung ein weltweit agierendes Unternehmen mit über 2.200 Mitarbeitern gemacht, eigenen Produktionsstätten in der Schweiz und in Italien sowie vielen Patenten.
Da musst du wagemutig sein, darfst keine Angst haben. Mich beeindruckt auch, dass er noch heute im Alter von 88 Jahren täglich ins Büro kommt.
LEADERSNET: Wie war dann der Start für Sie? Strategie- und Budgetplanung, Personalaufbau?
Marion Bock: Zu Beginn habe ich klare Prioritäten gesetzt. Ich sagte dem Schweizer Management: "Wir müssen nicht alle Produkte gleichzeitig in Deutschland einführen.“ Da fühlte ich mich schon etwas wie der Bremser. Aber ich erklärte, dass wir das strategisch und nach Plan angehen müssen.
Klare Projekte, klare Produktplanung: Was wird wann, wo eingeführt? In welchen Geschäftsbereichen? Da komme ich als Deutsche ins Spiel, weniger Emotion, mehr Fokus.
Ich habe einen 5-Jahres-Plan erstellt, der sehr konkret ist in der Portfoliostrategie. Mit entsprechendem Invest. Wenn alles so läuft wie bisher, werden wir dieses Jahr unseren Umsatz (derzeit noch auf kleinem Niveau) fast verdreifachen.
LEADERSNET: Das ist eine Ansage und erfordert eine gute Mannschaft in Deutschland, wie haben Sie die in Zeiten von Fachkräftemangel aufgebaut? Sie haben innerhalb eines Jahres 45 neue Mitarbeitende eingestellt.
Marion Bock: In der Pharmaindustrie benötige ich spezifische Expertise. Die Leute habe ich zum Teil auch aktiv abgeworben. Ich habe eine kompetente Recruiterin gefunden, die genau weiß, wonach ich suche, welche Eigenschaften mir wichtig sind und was ich von meinen Mitarbeitenden/Teamkolleg:innen erwarte.
Natürlich mussten wir uns auch um die Kandidaten bewerben. Dabei war die DNA des Unternehmens hilfreich. Überrascht war ich, dass sich die Kandidaten auch über mich informiert haben. Es war für sie wichtig zu wissen, für wen sie arbeiten würden. Gemeinsam haben wir ein starkes Team aufgebaut.
LEADERSNET: Wie hat sich die Zusammenarbeit mit dem Headquarter in den ersten Monaten entwickelt? Wie frei sind Sie Ihrem Handeln als Geschäftsführerin?
Marion Bock: Manchmal sage ich zu meinem Mann, Uwe: das kann nicht sein. Das Headquarter will keine zigfachen Berichte von mir haben. Das bedeutet Vertrauen. Es ist ein unglaublicher Vertrauensvorschuss.
Anders als in vielen Konzernen, wo du als Geschäftsführer oft mehr mit dem Headquarter und wichtigen strategischen und administrativen Themen beschäftigt bist, als mit deiner eigenen Organisation oder den Kunden. Hier kann ich mich fast zu 100% auf mein Geschäft konzentrieren. Das zeichnet die Firma aus.
Es ist wie eine große Familie, manchmal ein bisschen "italienisch charmant chaotisch“, aber immer stilvoll und professionell, manchmal sogar professioneller als bei uns in Deutschland, muss ich sagen.
Das teile ich auch meinem Team immer wieder mit: "Schau, wie die Kollegin oder der Kollege in Lugano oder Mailand reagiert hat. Und ja, vielleicht kommt auch mal etwas ein paar Wochen später, aber dann kommt es richtig und jeder ist bemüht.“
LEADERSNET: Wie gehen Sie mit aktuellen Herausforderungen wie zum Beispiel Lieferengpässen um?
Marion Bock: Da sind wir mit IBSA Pharma ganz gut aufgestellt. Das heißt wir haben die Produktion, die Forschung und die Labors überwiegend intern - wir sind nur bedingt von Externen abhängig. Das ist enorm wichtig.
Natürlich brauchen wir teilweise Wirkstoffe bzw. Hilfsstoffe von Zulieferern. Aber wir haben vieles inhouse, auch das Know-how. Das haben viele Unternehmen nicht mehr. Das hilft dabei, solche Herausforderungen besser zu meistern.
Und was nicht da ist, ist nicht da. Da hilft auch keine Aufregung. Dafür gibt es dann andere sehr gute Präparate, auf die man sich fokussieren kann. Wir arbeiten immer lösungsorientiert und im Team.
LEADERSNET: Warum haben Sie sich als junge Frau für die Pharmaindustrie entschieden?
Marion Bock: Ich hatte damals BWL mit Schwerpunkt Marketing in München studiert und wollte eigentlich immer einen internationalen Job, weil ich gerne reise. Ich liebe Sprachen und das Thema Kommunikation.
Vor allem wollte ich aber auf Marken arbeiten, die ich als sinnvoll erachte. Ich will jetzt nicht sagen, dass andere nicht sinnvoll sind, aber Arzneimittel helfen Leben zu verbessern oder zu retten und die Lebensqualität zu optimieren - oder so sollte es zumindest sein.
Dann sah ich eine Anzeige in der Süddeutschen Zeitung: Ein mittelständisches, deutsches Pharmaunternehmen sucht einen International District Manager, gerne Studienabsolventen. Ich dachte: "Wow, das ist es!" Und so kam ich in die Pharmaindustrie und war prompt in Österreich, Irland und später auf der ganzen Welt unterwegs.
LEADERSNET: In der aktuellen Debatte sprechen wir viel über den Gender Pay Gap, sowie über die sogenannte gläserne Decke, an der viele Frauen scheitern. Sie haben es geschafft, in die erste Reihe zu kommen. Was war Ihr Erfolgsgeheimnis?
Marion Bock: Ich sage immer, man sollte die Extrameile gehen, neugierig bleiben und Mut zeigen. Ich war immer bereit, interessante Projekte zu übernehmen, auch wenn sie mich aus meiner Komfortzone herausforderten.
Ein Beispiel: In einem japanischen Pharmaunternehmen gab es im Europäischen Headquarter in München ein neues Projekt zu vergeben. Als gefragt wurde, wer es betreuen möchte, zögerten die Kollegen. Ich sagte: gerne! Ich bin nach Polen und Russland gereist, habe Ärzte in ungarischen Kliniken besucht. Das hatte zur Folge, dass ich weitere fünf Jahre das osteuropäische Geschäft aufbauen durfte.
Ein weiteres Beispiel: In den 90er Jahren bin ich fast wöchentlich nach Paris gereist, um dort eine Filiale zu eröffnen, obwohl ich wenig Ahnung von Immobilien, Gesellschaftsrecht und Management Recruiting hatte. Aber ich wusste, dass ich die richtigen Anwälte und Servicepartner finden würde, die mich unterstützen würden. Mut war dabei entscheidend.
Aktuelles Beispiel: Bei IBSA habe ich vier Geschäftsbereiche. Einer davon ist die Reproduktionsmedizin - alles, was mit Kinderwunschbehandlung zu tun hat. Ein superspannendes Thema. Ich kannte es vorher nicht, habe mich aber selbst darin eingearbeitet.
Ich war sogar zum Hospitieren im Kinderwunschzentrum in München. Man hat mich in einen grünen Arztkittel gesteckt mit allem, was dazugehört. Ich habe den Ärzten über die Schulter schauen dürfen bei der Untersuchung der Patientinnen und im OP einen Embryo Transfer live miterlebt, und das hat meine Affinität und mein Verständnis für das Thema noch gesteigert.
So kann ich unsere Kunden besser beraten. Das war schon immer mein Credo. Interessiert sein, mutig sein und mit frischen Ideen herangehen. Und vor allem ein starkes, motiviertes Team aufbauen und führen - denn alleine geht nichts.
Kommentar schreiben