Dass die Bayer AG ihre „Performance mit neuer Unternehmensorganisation nachhaltig steigern" möchte, liest sich sicherlich versöhnlicher als "Bayer streicht zahlreiche Stellen in Deutschland" oder "Tausende Stellen sind in Gefahr". Ob man nun auf die Formulierung aus der offiziellen Mitteilung des börsennotierten Pharma- und Chemiekonzerns oder die dazugehörigen Schlagzeilen der Presse zurückgreift: In jedem Fall stehen Bayer beachtliche Veränderungen bevor.
"Bayer befindet sich derzeit aus unterschiedlichen Gründen in einer schwierigen Lage", gesteht Heike Prinz, Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektorin. "Um die Leistungsfähigkeit unserer Organisation und unseren Handlungsspielraum schnell und nachhaltig zu verbessern, sind jetzt einschneidende Maßnahmen notwendig. Wir wollen Bayer zügig wieder in die Erfolgsspur bringen."
Laufende Maßnahmen reichen nicht aus
Das "weltweit neuartige" Organisationsmodell, das Bayers Lage beheben soll, hört auf den Namen „Dynamic Shared Ownership" (DSO) und sieht demnach schlankere Strukturen, weniger Bürokratie und abgebaute Hierarchien vor, um Entscheidungsprozesse zu beschleunigen. Mittels der dadurch gewonnenen Agilität verspricht sich der Konzern eine Chance zur "erheblichen" Steigerung der operativen Performance.
Heike Hausfeld, Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der Bayer AG, erklärt: "Wir sehen mit dem neuen Betriebsmodell eine große Chance, unsere wirtschaftliche Situation deutlich zu verbessern. In der angespannten wirtschaftlichen Lage des Unternehmens reichen die bereits laufenden Programme und Maßnahmen jedoch nicht aus, weshalb wir schweren Herzens weiteren Einschnitten zugestimmt haben."
Die Pläne zur Restrukturierung gehen vor allem auf Bill Anderson zurück, der erst seit Juni letzten Jahres als CEO von Bayer fungiert. Der US-amerikanische Nachfolger von Werner Baumann hatte einen nennenswerten Umbau bereits im Vorfeld in Aussicht gestellt; nun konnten sich Vorstand und Betriebsrat auf die Eckpunkte des dazu notwendigen Programms einigen.
Erheblicher Personalabbau geplant
Das hier insbesondere von Heike Hausfeld geäußerte Bedauern bezieht sich auf den erwarteten "erheblichen Personalabbau in den Konzerngesellschaften in Deutschland", den die verschlankten Strukturen der Zukunft mit sich bringen. "In den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber ist es uns aber gelungen, den bevorstehenden Stellenabbau im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten so sozialverträglich wie möglich zu gestalten", fügt Hausfeld an.
Schon in den kommenden Monaten soll der Stellenabbau eingeleitet werden, um bis spätestens zum Ende nächstens Jahres abgeschlossen zu sein. Mit Verweis auf die dezentralen Prinzipien des DSO kann Bayer zunächst keine Angabe machen, wie viele der ungefähr 22.000 Mitarbeiter in Deutschland demnächst mit dem Ende ihres Arbeitsverhältnisses rechnen müssen. Der Konzern stellt explizit heraus, dass auch "Beschäftigte mit Führungs- oder Koordinationsaufgaben" von den Streichungen betroffen sein werden.
Wie in ähnlichen Situationen der Vergangenheit möchte Bayer allen wegfallenden Mitarbeitern "nach Lebensalter gestaffelte Aufhebungsverträge" unterbreiten. Außerdem bietet das DAX-Unternehmen Bedenkzeit oder individuelle Qualifizierungsmaßnahmen an, damit Betroffene alsbald möglich eine fähigkeitsgerechte "neue Beschäftigung außerhalb des Konzerns" finden.
Rekord-Flop folgt auf Rekord-Umsatz
Ferner haben die Betriebsparteien eine einjährige Ausdehnung der Beschäftigungssicherung verkündet, was bedeutet, dass bis zum 30. Dezember 2026 auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet wird. "Dass die Beschäftigungssicherung nur um ein Jahr verlängert wird, macht deutlich, dass wir uns in einer außergewöhnlich ernsten Lage befinden", gibt Heike Hausfeld zu bedenken. "Die seit 27 Jahren eher theoretische Gefahr von betriebsbedingten Kündigungen am Ende einer Beschäftigungssicherungsvereinbarung ist damit zu einer realen Option geworden. Das zu akzeptieren ist uns trotz der schwierigen Situation äußerst schwergefallen."
In der Mitteilung gibt die Bayer AG für das Geschäftsjahr 2022 einen Umsatz von 50,7 Milliarden Euro an, was der höchste Wert der bisherigen Unternehmensgeschichte ist. Gleichzeitig wiegt eine Schuldenlast ähnlich schwer wie das kostspielige Studienprogramm zum gescheiterten Schlaganfall-Medikament Asundexian: Im vergangenen November legte die Bayer-Aktie als Reaktion einen seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr erlebten Sturzflug hin und büßte zeitweise fast ein Fünftel ihres Wertes ein. Zudem erinnert das Handelsblatt daran, dass der Konzern für 2023 wie geplant Dividende an seine Aktionäre auszahlt – obwohl erstmals kein Free Cashflow erwirtschaftet werden konnte.
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