Es war die Inlands-Meldung der letzten Tage: Als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seinen Urlaub auf Hallig Hooge beendete und per Fähre zurück ans Festland reisen wollte, wurde der angepeilte Anleger in Schlüttsiel (Nordfriesland) am späten Donnerstagnachmittag von über 100 Personen mit mehreren Dutzend landwirtschaftlichen Fahrzeugen belagert.
Inmitten hitziger Stimmung konnten sich Habeck und Versammlungsvertreter nicht auf Rahmenbedingungen für einen Dialog einigen; stattdessen versuchte ein kleiner Teil der Demonstrierenden, sich Zutritt zur Fähre zu verschaffen. Einsatzkräfte mussten sie davon abhalten, der Kapitän legte wieder ab. Erst in der Nacht konnte der Minister seine Heimreise unter Schutz der Polizei fortsetzen.
Reaktionen auf den Fährenvorfall
Die Protestaktion löste insbesondere in Habecks Berufsstand Empörung aus. Per X beklagte Bundeskanzler Scholz (SPD) über seinen Regierungssprecher Steffen Hebestreit eine "Verrohung der politischen Sitten", während Habecks Parteikollegin und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ebenfalls auf dem Kurznachrichtendienst verlautbaren ließ: "Demokratie lebt von harter inhaltlicher Auseinandersetzung. Dort, wo Worte durch Gepöbel und Argumente durch Gewalt ersetzt werden, ist eine demokratische Grenze überschritten."
Außerhalb der Ampelparteien wurde die Art und Weise der Demonstration weniger einhellig kritisiert. Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, erinnerte zwar noch daran, dass jeder Protest Grenzen habe und "diese Chaoten dem eigentlichen Anliegen schaden". Auch andere Unionspolitiker teilten grundsätzlich vergleichbare Statements. Alice Weidel von der AfD allerdings bescheinigte Habeck auf X, von den Bürgern nicht mehr ernst genommen zu werden: "Statt den Dialog zu suchen, begeht er lieber Fährenflucht..."
Keine Unterstützung darf Robert Habeck zudem von Sahra Wagenknecht erwarten, die der Ampel im RND zur Last legte, "Bauern zu Melkkühen ihrer verfehlten Politik" zu machen. Dass sich der Wirtschaftsminister nun als Opfer von Protesten sieht, empfindet die Gründerin des nach ihr benannten Bündnisses als "peinlich": "Statt sich weinerlich über Proteste zu beschweren, müsste die Bundesregierung jedem dankbar sein, der heute noch Landwirtschaft in Deutschland betreibt."
Worum wird gestritten?
Auf Distanz zu den Demonstrierenden am Donnerstag ging dagegen der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied. "Blockaden dieser Art sind ein No-Go. Wir sind ein Verband, der die demokratischen Gepflogenheiten wahrt. Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht. Bei allem Unmut respektieren wir selbstverständlich die Privatsphäre von Politikern", versicherte er in einem Statement auf der Verbandshomepage.
Hintergrund des Fährenvorfalls ist der von Rukwied erwähnte "Unmut" auf Seiten zahlreicher in der Landwirtschaft tätiger Menschen, der sich bereits seit einigen Wochen zunehmend Gehör verschafft. Nachdem ein Urteil des Bundesverfassungsgericht im November für ein 60-Milliarden-Euro-Budgetloch beim Klima- und Transformationsfonds (KTF) sorgte, arbeitete die Ampel unter Hochdruck an Maßnahmen zum Gegensteuern.
Darunter: Sowohl die Befreiung für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge von der Kfz-Steuer als auch die Möglichkeit für entsprechende Betriebe, sich die Energiesteuer für Diesel zurückerstatten zu lassen, sollten wegfallen. Insgesamt versprach man sich auf Seiten der Koalition ein Plus von über 900 Millionen Euro durch die Änderungen.
Am Tag von Robert Habecks glücklosem Anlegeversuch in Nordfriesland gab die Bundesregierung jedoch bekannt, dass sich der Wirtschaftsminister, der Kanzler und Finanzminister Christian Lindner (FDP) als Reaktion auf die zunehmenden Bauernproteste auf ein Umdenken in Teilen geeinigt haben. Demnach will die Koalition die Befreiung von der Kfz-Steuer unangetastet lassen und die Steuerbegünstigung beim sogenannten Agrardiesel in mehreren Stufen bis 2026 (statt wie bis dahin geplant auf einen Schlag) streichen. Vertreter der Landwirtschaft zeigen sich von dieser partiellen Kehrtwende weitgehend unbeeindruckt.
Ab Montag: Umfangreiche Aktionen geplant
"Für eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft sind eine Förderung von Agrardiesel sowie die Kfz-Steuerbefreiung unerlässlich", heißt es auf der Homepage des Deutschen Bauernverbandes im Rahmen der Ankündigung einer "Aktionswoche". Von Montag bis Freitag (08. bis 12. Januar) wollen Landwirtschaft und Transportgewerbe gemeinsame Sache machen und "mit Demonstrationen, Sternfahrten oder Kundgebungen ihre Unzufriedenheit mit den Haushaltspänen der Bundesregierung zum Ausdruck bringen."
In der Pressemitteilung zur Sache ist eine Auflistung ausgewählter und offiziell genehmigter Aktionen im gesamten bundesdeutschen Raum zu finden. Es ist davon auszugehen, dass viele der insgesamt über 100 Proteste zu teils erheblichen Einschränkungen im anliegenden Straßenverkehr führen. Teilnehmende im fünfstelligen Bereich werden erwartet, die die Bundesregierung davor warnen möchten, "die Wettbewerbsfähigkeit und die Existenz der Landwirte und mittelständischen Transportunternehmen aufs Spiel zu setzen."
Abschluss der Aktionswoche soll eine vereinte Kundgebung vom DBV und dem Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) sein, die am Montag, 15. Januar um 11:30 Uhr in Berlin über die Bühne geht. Bis dahin bitten beide Organisationen ihre Unterstützer – zu denen teils auch Solidarische aus der Gastronomie oder Hotellerie gehören werden - um "einen deutlichen, aber friedlichen und demokratischen Protest."
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