LEADERSNET: Sie sind promovierte Gegenwartsphilosophin und arbeiteten lange mit stationären Patientinnen und Patienten in der Psychiatrie und Onkologie. Was haben Sie davon gelernt und für Ihre Leben mitgenommen?
Dr. Rebekka Reinhard: Die Zeit in der Klinik war die wichtigste Schule meines Lebens. Ich habe gelernt, demütig zu sein. Dass man die existenziellsten Fragen des Lebens mit Logik und Argumentation nicht ‚lösen' kann. Dass man mit dem Herzen zuhören und verstehen muss, wann man mal einfach besser den Mund hält.
LEADERSNET: Wie sehen Sie die Verbindung zwischen Philosophie und Alltagsleben? Welche praktischen Anwendungen hat die Philosophie für den Durchschnittsmenschen?
Dr. Rebekka Reinhard: Sobald der Alltag keinen ‚Sinn' mehr macht, nicht mehr verstehbar scheint – aufgrund von Problemen, Krisen, Herausforderungen aller Art, wird die philosophische Lebenskunst relevant. Sie gibt uns einen inneren Kompass, eine Grundorientierung inmitten des Unsicheren, Ungewissen.
LEADERSNET: Welche aktuellen philosophischen Fragen oder Debatten interessieren Sie derzeit am meisten? Inwiefern denken Sie, dass die Philosophie dazu beitragen kann, gesellschaftliche Probleme anzugehen?
Dr. Rebekka Reinhard: Da muss ich Sie enttäuschen. Ich glaube nicht, dass die orthodoxe akademische Philosophie der Welt noch viel zu sagen hat. Dazu hat sie sich zu sehr spezialisiert, zu sehr in ihr theoretisches Gehäuse zurückgezogen, um ihre Ansichten sich selbst zu bestätigen. Viel mehr lehren uns die aktuellen Entwicklungen der künstlichen Intelligenz, was es heißt, ein Mensch zu sein, und welche Fragen wir uns jetzt stellen sollten.
LEADERSNET: Sie haben die Zeitschrift human gegründet, welche sich ganzheitlich mit den Auswirkungen der künstlichen Intelligenz (KI) auf Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur befasst. Wo legen Sie mit dem neuen Magazin Ihren Schwerpunkt und wo werden Sie Akzente setzen?
Dr. Rebekka Reinhard: Der Schwerpunkt liegt ganz klar auf dem Menschen, der im Mittelpunkt der KI-Welt steht, die auch eine der Polykrisen ist. Menschlichkeit und Humanismus, das sind die Themen, auf die es heute mehr denn je ankommt, glaube ich. human versteht sich als ein kontinuierliches Lernprojekt. Denn Lernen, Umlernen, Verlernen, sich immer wieder neu Bilden – das ist die Aufgabe, die wir jetzt gemeinsam und in Kollaboration mit KI angehen sollten. Mit Mut und Neugier. human ist auch eine Ansage gegen Innovationsfeindlichkeit und Defätismus.
LEADERSNET: Ihr neues Magazin richtet sich an alle, die von den Chancen der KI profitieren und dazulernen wollen. Welche Chancen bietet KI für den Einzelnen, die Gesellschaft und für Friede, Freiheit und Wohlstand in unserer Welt?
Dr. Rebekka Reinhard: KI ist eine große Chance, unsere Arbeitswelt menschlicher zu machen, indem sie uns Routineaufgaben abnimmt. Sie ist auch eine große Chance für die Demokratie, indem sie besseren Zugang zu Informationen und Bildung ermöglicht. Wir müssen diese Chancen allerdings nutzen – und zwar jetzt.
LEADERSNET: Welche Fortschritte im Bereich der KI haben Sie am meisten beeindruckt? Welche Anwendungsbereiche der KI halten Sie für besonders vielversprechend oder beeindruckend?
Dr. Rebekka Reinhard: Transkriptions- und Übersetzungsfunktionen sind heute schon beeindruckend gut und helfen mir in meiner täglichen Arbeit – was den kritischen Kontrollblick natürlich nicht überflüssig macht.
LEADERSNET: In Medien werden häufiger Dystopien gepredigt, da dies mehr Aufsehen erregt – mehr Zuschauer, Leser, Hörer. Aber wie ist es wirklich um die Gefahren der KI bestellt?
Dr. Rebekka Reinhard: Es gibt ganz klar große Risiken, wenn sie etwa an halbautonome Waffensysteme, Desinformation oder Manipulation durch Deepfakes denken. Allerdings sind all das keine Gefahren, die von der KI ausgehen. Es sind Menschen, die KI zu bestimmten schädlichen Zwecken entwickeln und nutzen.
LEADERSNET: Die fortschreitende Automatisierung ist unabwendbar. Sehen Sie die Notwendigkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens? Wie rasch schreiten diese Entwicklungen von Mensch gegen Maschine voran? Inwiefern kann künstliche Intelligenz dazu beitragen, einige der drängendsten Herausforderungen der Menschheit zu bewältigen, wie beispielsweise den Klimawandel oder die medizinische Forschung?
Dr. Rebekka Reinhard: All diese Fragen hängen von der Bereitschaft und der Fähigkeit politischer und ökonomischer Entscheider ab, einen Konsens zu finden, der Wohlbefinden, Lebensqualität und wirtschaftlichen ‚Fortschritt' in die richtige Balance setzt. Davon wird es abhängen, glaube ich, welche Anwendungen der KI in welchen Bereichen wie schnell Gutes bewirken können.
LEADERSNET: Was waren Ihre bisherigen größten Herausforderungen in Ihrem Leben ? Was machen Sie dafür verantwortlich, dass Ihnen Ihre Karriere gelungen ist?
Dr. Rebekka Reinhard: Die Herausforderungen hören nicht auf, im Gegenteil. Ich glaube, man darf sich selbst nicht so wichtig nehmen. Lieben, neugierig bleiben, hartnäckig und konsequent sein und eine gute Portion Stoizismus – das ist mein existenzieller Methodenmix.
LEADERSNET: Was ist der beste Ratschlag, den Sie für ihre berufliche Laufbahn und Ihr Leben je erhalten haben? Was ist die wichtigste Lektion, die Sie aus all dem gelernt haben?
Dr. Rebekka Reinhard: Man weiß nie, wofür es gut ist. Und: Der Sinn des Lebens ist Leben und Lieben.
LEADERSNET: Haben Sie einen Traum, den Sie sich gerne einmal erfüllen würden? Worum geht es im Leben, Frau Dr. Reinhard?
Dr. Rebekka Reinhard: Das Leben ist ein Thriller, und ich möchte wissen, wie der endet!
LEADERSNET: Wenn Sie nicht Philosophin, Autorin, Journalistin und Chefredakteurin der Zeitschrift human sind. Was machen Sie sonst da draußen?
Dr. Rebekka Reinhard: Ich liebe Kunst und alles Schöne. Ich versuche Zeit mit den Menschen in meinen Leben zu verbringen – denn das Leben ist kurz...
LEADERSNET: Abschließend, was ist Ihre persönliche Philosophie des Lebens oder ein Leitspruch, den Sie mit auf den Weg geben möchten?
Dr. Rebekka Reinhard: Hör auf mit der Nabelschau – öffne Dich, hör nie auf zu staunen... und zu lieben.
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