"Der ganz große Schritt ist die Feststoffbatterie"

Professor Ferdinand Dudenhöffer, angesehener Experte für die Automobilindustrie – bekannt als der deutsche "Automobilpapst" – geht in unserem Interview im Vorfeld der IAA näher auf die Elektrifizierung und ihre Auswirkungen auf die Autoindustrie ein. Er ist bekannt für seine fundierte Expertise und seine scharfe Analyse der aktuellen Entwicklungen der Branche.

Die Automobilindustrie steht an einem Wendepunkt, an dem technologische Innovationen, Nachhaltigkeitsbestrebungen und sich verändernde Verbrauchergewohnheiten die Branche neu gestalten. Von der Elektrifizierung und autonomem Fahren bis hin zu den Auswirkungen auf die globale Wirtschaft – Professor Dudenhöffer teilt seine Erkenntnisse zu den entscheidenden Fragen, welche die Zukunft der Mobilität prägen werden.

LEADERSNET: Beginnen wir bei Ihnen: würden Sie für unsere Leser nochmal zusammenfassen, womit Sie sich aktuell befassen?

Ferdinand Dudenhöffer: Wir betreiben ein privates Forschungsinstitut. Das nennt sich CAR-Center Automotive Research. Dabei machen wir zwei Dinge: Auf der einen Seite Analysen über den Automarkt – die Produkte, die Strukturen und die Veränderungen, die wir sehen. Auf der anderen Seite veranstalten wir Kongresse.

So finden beispielsweise am 27. und 28. September die Battery Days in Weimar statt. Unser Ziel ist, bei diesen Kongressen ein Umfeld zu schaffen, in dem sich die Industrie austauschen kann. Also: Was wir machen, sind Industriekongresse. Politiker sind bei unseren Events nicht vertreten. Denn es geht uns um ein tiefes Verständnis der aktuellen Themen und Entwicklungen in der internationalen Automobil- und Zulieferindustrie. Dabei sind unsere Kongresse nicht nur auf Europa ausgerichtet, sondern gehen wir etwa auch zu den großen Automobilmessen in China.

LEADERSNET: Welche aktuellen Entwicklungen beobachten Sie auf dem Markt für Automobile und E-Automobile? Was spielt China hier für eine Rolle?

Ferdinand Dudenhöffer: Chinesische Autobauer und Zulieferer haben in den letzten 10 Jahren sehr große Fortschritte gemacht. Sie beherrschen Elektroautos besser als die Europäer. Zum Beispiel die Batterie: Über die letzten 10 Jahre hat man in China sehr großes Know How aufgebaut. Ein Großteil der Innovationen bei heutigen Lithium-Ionen-Batterien kommt aus China – und natürlich sitzt der größte Lithium-Ionen-Batteriehersteller für den Automobilbereich in China.

Die Chinesen bauen bei uns gerade Batteriefabriken. In der Vergangenheit waren die Koreaner in diesem Bereich führend, aber mittlerweile haben die Chinesen ganz klar die Führung in diesem wichtigen Produktbereich übernommen. Die Chinesen gehen weiter und bauen ihre Kompetenz auch hinsichtlich Software und Hardware stark aus. Zusätzlich spielt das Thema autonomes Fahren in China eine wesentlich größere Rolle als hierzulande.

Intelligente Autos und Elektroautos sind die beiden großen Richtungen, in die Automobilindustrie und Technik gehen. Standard-Qualität kann heute jeder. Wichtig ist, Kunden mit intelligenten Anwendungen oder Software zu überzeugen und sich mit Know How und Produktkenntnissen im elektrischen Antrieb und in der Speichertechnologie – also bei der Batterie – von Wettbewerbern zu unterscheiden.

LEADERSNET: Die Europäer hinken beim autonomen Fahren etwa den USA stark hinterher. Wie ist China in diesem Bereich aufgestellt?

Ferdinand Dudenhöffer: Auch hier nimmt China eine Vorreiterrolle ein. In China gibt es in vielen Großstädten sogenannte Robotaxen, sprich Taxis, die vom Roboter gelenkt werden. Das heißt, Sie bestellen auf bestimmten Strecken ein Taxi mit dem Smartphone, das Taxi kommt ohne Fahrer angefahren und fährt Sie hin, wo Sie möchten. Diese Strecken gibt es seit zwei oder drei Jahren und sie werden immer stärker ausgebaut.

Anbieter wie Baidu-Apollo wollen diese Dienste in 65 chinesischen Großstädten bis 2025 flächendeckend aufgebaut haben. Das Charmante daran ist, dass jedes dieser Fahrzeuge wie ein Kind lernt. Der Reiz künstlicher Intelligenz besteht darin, dass man durch Milliarden von Testkilometern immer intelligenter und besser wird. Und das ist in China der Fall. Das ist in Europa nicht der Fall. Das ist in Amerika nur bedingt der Fall. Deshalb sind die Chancen groß, dass die Technologie zum autonomen Fahren von China geprägt wird.

LEADERSNET: Wie beeinflusst die steigende Bedeutung des E-Commerce den Automobilvertrieb, und was können traditionelle Autohändler tun, um wettbewerbsfähig zu bleiben? Wie hat sich die Dynamik zwischen traditionellen Autohändlern und neuen Vertriebsmodellen entwickelt?

Ferdinand Dudenhöffer: Wie soll man es ausdrücken? Der Automobil-Vertrieb wie wir ihn heute kennen ist ein System, das es seit 100 Jahren in kaum veränderter Form gibt und welches geprägt wird durch hohe Vertriebskosten. Jetzt sind wir mit dem Internet soweit, dass wir Produkte mit deutlich weniger Kosten verkaufen können. Es ist ähnlich wie beim Streaming: Heute kauft sich niemand mehr eine Videokassette oder DVD, sondern streamt diese Dinge.

Und das gleiche gibt es im Automobilbereich: Manche nennen dies Auto-Abos. Alle Risiken, die sonst der Kunde trägt, können ausgeschlossen werde. Wenn Sie Ihr heutiges Auto bei sich schlecht entwickelnden Gebrauchtwagenpreisen nur verlustreich verkaufen können, tragen sie dieses sogenannte Restwertrisiko. Oder Sie haben eine unvorhergesehene Reparatur, die Ihnen Extrakosten verursacht. Dies alles wäre bei den genannten Abos abgesichert, indem man lediglich einen Ein-Monats-Betrag für sein Fahrzeug zahlt.

LEADERSNET: Was wird sich in diesem Zusammenhang bei den Vertriebskosten des Autohändlers tun?

Ferdinand Dudenhöffer: Autohändler haben Vertriebskosten, die bei gut zehn Prozent liegen. Wenn Sie bei 50.000 Euro ein Auto kaufen, braucht der Händler 5.000 Euro, um seine Kosten zu decken. Kosten wie den Vorführwagen, das schöne Autohaus, den schicken Verkäufer, der Sie berät.

Beim Auto-Abo fallen diese Kosten weg. Das Produkt ist einfach, gut verständlich und braucht eben nicht die üblichen Dienstleistungen des Handels. Damit senken Sie die Vertriebskosten auf zwei Prozent oder weniger – ohne, dass der Kunde "unglücklicher“ wird.

Deshalb wird derzeit viel um den neuen Vertrieb experimentiert. Sicher ist das klassische Autohaus, so wie wir es heute kennen, nicht die ganz große Zukunft. Die endgültige Lösung gibt es noch nicht, aber es geht Schritt für Schritt in eine Richtung, die verheißt, dass neue Produkte das Auto von morgen prägen.

LEADERSNET: Wie bewerten Sie den aktuellen Zustand der Automobilindustrie in der jetzigen Form? Werden die traditionellen Händler ausgedünnt wie derzeit Bank-Filialen?

Ferdinand Dudenhöffer: Die Fahrzeuge der Zukunft brauchen nicht mehr die Wartung, die man heute macht. Sie müssen ja beim Elektroauto kein Öl mehr nachfüllen. Diese und andere Dinge machen das Elektroauto deutlich einfacher und damit wartungsärmer. Was heute in der klassischen Werkstatt gemacht wird, wird zukünftig zum Teil über Software oder mittels Softwareupdate erledigt werden. Da brauche ich die klassische Werkstatt vor Ort nicht mehr, sondern kann diese über meinen PC aufspielen.

Das Auto der Zukunft ist sehr stark durch Software und Chips geprägt. Das merkt man dann sowohl im Verkauf als auch in der Wartung. Wir können davon ausgehen, dass die Strukturen, so wie man sie im Handel, im After Sales und im Reparaturbereich heute kennt, in 20 Jahren nicht mehr in dieser Weise bestehen werden.

LEADERSNET: Wie viele Jobs werden dadurch wegfallen?

Ferdinand Dudenhöffer: Ach, das ist jetzt so eine Spekulation, dass man irgendeine Hausnummer sagt, das würde ich nicht machen wollen. Alles, was man sehen muss, ist, dass es einen Wandel gibt und man muss sich auf diesen Wandel einstellen. Es hat keinen Sinn, sich gegen Entwicklungen zu stellen, die unvermeidbar sind. Automatische Webstühle waren unvermeidbar, weil sie eine Menge von Vorteilen hatten. Also muss man versuchen, die Entwicklungen sehr schnell aufzunehmen und daraus seine eigenen Schlüsse zu ziehen.

LEADERSNET: Welche Bedeutung hat die Markenpolitik für die Automobilindustrie in Anbetracht der heutigen globalen Wettbewerbslandschaft? Welche Rolle werden dabei neue Wettbewerber spielen?

Ferdinand Dudenhöffer: Tesla ist sehr schnell auf den Märkten zu uns vorgedrungen, da sie durch Innovationen überzeugt haben – wie niemand zuvor auf dem E-Automarkt. Etwa durch Software Updates over the air oder den teilautonomen Autopilot – der zwar nicht alles hielt, was er versprochen hat, aber der zu seinen Zeiten schon sehr weit war.

Und dann natürlich überhaupt ein batterieelektrisches Fahrzeug mit Reichweiten und Beschleunigungen auf den Markt zu bringen, die es bisher noch nicht gab. Es war eine große Innovation und die Marke wurde quasi über Nacht zum Erfolg.

In China ist es so, dass wir viele junge Unternehmen sehen, die sehr stark an diesen Dingen arbeiten. Wichtig ist, dass man bei diesem Aufbau dann sehr dynamisch und schnell vorgeht. Es ist nicht sinnvoll, in einer kleinen Nische stehenzubleiben.

LEADERSNET: Wie sehen Sie die Entwicklungen und Rolle von Elektrofahrzeugen in der Zukunft der Automobilindustrie? Werden die Reichweiten und Ladezeiten noch weiter verbessert?

Ferdinand Dudenhöffer: Ja, absolut. Bei der Batterietechnologie hat man in den letzten Jahren schon große Sprünge gemacht. Auf der einen Seite bei den Kosten: Man ist dazu übergegangen etwa durch Eisenphosphat-Kathoden die Batteriekosten zu senken. Man baut größere Zellen, ja man hat sogar jetzt die Natrium-Ionen-Batterie, die deutlich kostengünstiger ist als die Lithium-Variante, in Fahrzeuge eingebaut. Die Batteriekosten werden deutlich gesenkt, das wird jetzt gerade industrialisiert.

Dann geht es darum, die Ladezeiten zu reduzieren. Das schafft man durch eine größere Energiedichte auf der Anodenseite. Der ganz große Schritt ist die Feststoffbatterie: Die wird irgendwann zwischen 2025 und 2030 industrialisiert werden. Die Brandgefahr wird dadurch erheblich reduziert, die Leistung deutlich verbessert. Damit gehen wir auf Lösungen zu, die Reichweiten über 1000 Kilometer problemlos zulassen.

LEADERSNET: Wie sind wir da in Europa aufgestellt?

Ferdinand Dudenhöffer: Die Chinesen arbeiten an all diesen Dingen sehr intensiv und das haben wir in Europa verlernt. Da sind wir zu spät dran. In Europa bestehen die Entwicklungsabteilungen der meisten Autobauer zu 95 Prozent aus klassischen Ingenieuren, Maschinenbauern und Mechatronikern, die bei den Verbrennungsprozessen von Motoren tätig waren.

Das Problem in den Entwicklungsabteilungen vieler Autobauer ist, dass genau die Leute, die die Autos der Zukunft bauen sollen, nicht aus der Informatik kommen und Software weniger gut verstehen.

LEADERSNET: Wen bewundern Sie in Ihrer Branche, der außerordentliches geleistet hat?

Ferdinand Dudenhöffer: Ich glaube, Menschen brauchen einfach Mut und Selbstbewusstsein, um den Weg zu gehen, von dem sie überzeugt sind. Egal ob Steve Jobs bei Apple, Elon Musk bei Tesla oder Albert Einstein, als er seine Relativitätstheorie entwickelte. Ich glaube, es zeigt uns, dass es da draußen außergewöhnliche Menschen gibt, die über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügen.

Die CAR Battery Days 2023

 

27. und 28. September in Weimar

Highlight am 27. September ist der Besuch der neuen Lithium-Ionen Zellfabrik von CATL in Arnstadt sowie die Battery Night mit Diskussion:

Nobelpreisträger Professor Akira Yoshino, CEO der PowerCo, Frank Blome, sowie der CTO, Tim Holme, von Quantum Scape, die an der Solid State Battery – der ZUKUNFTS-BATTERIE – arbeiten, diskutieren die Bedeutung der Lithium Ionen Batterie.

Mehr zur Veranstaltung

Agenda 27.09.

Agenda 28.09.

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Die CAR Battery Days 2023

 

27. und 28. September in Weimar

Highlight am 27. September ist der Besuch der neuen Lithium-Ionen Zellfabrik von CATL in Arnstadt sowie die Battery Night mit Diskussion:

Nobelpreisträger Professor Akira Yoshino, CEO der PowerCo, Frank Blome, sowie der CTO, Tim Holme, von Quantum Scape, die an der Solid State Battery – der ZUKUNFTS-BATTERIE – arbeiten, diskutieren die Bedeutung der Lithium Ionen Batterie.

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