"Die Clownerie lebt vom Fehler-machen"

Im LEADERSNET-Interview sprechen die "Rote Nasen"-Chefinnen Monica Culen und Natalie Porias über die Wichtigkeit unterschiedlicher Managementstile, die Motivation von Mitarbeiter:innen und was guter Manager:innen ausmacht.

LEADERSNET: Am 1. April 2023 gab es bei "Rote Nasen" eine Management-Übergabe. Welche Aspekte sollten bei einer Management-Übergabe beachtet werden und wie kann diese reibungslos funktionieren?

Monica Culen: Der Übergang einer Organisation von der Gründergeneration an ein nächstes Management ist ein essenzieller Einschnitt in eine Organisation. Hier zeigt sich, ob die Organisation stark genug ist, um langfristig zu überleben und zu wachsen. Sind die Gründervision und Mission langfristig tragfähig? Sind die Strukturen und die Governance so gestaltet, dass immer wieder nur die besten Köpfe an die Spitze kommen können? Sind die richtigen Personen in den wichtigen Positionen?

Deswegen habe ich bereits vor fünf Jahren mit den ersten Vorbereitungen begonnen und aus dem Mitarbeiterteam die fähigsten Köpfe so gefördert, dass sie zunehmend Verantwortung übernehmen konnten. Zwei Jahre vor der tatsächlichen Übergabe, wurde einem dreiköpfigen Managementteam operative Führungsaufgaben übergeben, sodass sie unter Anleitung des Vorstandes sukzessive immer mehr eingeführt wurden. In dieser Zeit konnte das neue Managementteam die Akzeptanz der Mitarbeiter:innen gewinnen und auch die direkte Zusammenarbeit mit den Managementteams in der internationalen Rote Nasen Gruppe aufbauen und intensivieren.

Ich habe mit Widerständen gerechnet, die kamen auch, und diese Sorgen und Bedenken musste man Schritt für Schritt abbauen. Gleichzeitig arbeiteten wir an einer sorgfältig ausgefeilten neuen Governance, die gute Checks-and Balances Mechanismen für die ganze Gruppe ermöglicht. Das braucht Zeit und viel Feingefühl. Zum Zeitpunkt des tatsächlichen Wechsels im Stiftungsvorstand waren bereits alle diese schwierigen Phasen überwunden und ein reibungsloser Übergang erfolgreich geschafft. Was mich glücklich macht? Ich vertraue dem neuen Management, dass es Rote Nasen erfolgreich in die Zukunft führen wird. Das beruhigt auch die Führungskräfte der internationalen Gruppe, weil wir alle sehr eng zusammenarbeiten.

Natalie Porias: Dadurch, dass meine Managementkolleg:innen und ich schon viele Projekte und essenzielle Strategien vorab entwickelt haben, war das Vertrauen von vielen Seiten in uns schon da. Das Ziel der Organisation und der Gründer:innen ist uns klar und wurde auch nie in Frage gestellt. Wir bauten daher auf einem guten Fundament auf. Natürlich gab es auch viele Spannungen, die aus der natürlichen Polarität und Dynamiken von Alt und Neu heraus entstehen. Das ist kein leichter Prozess, denn es bietet Platz für Reibungen und viele Diskussionen, wenn "System neu" etabliert wird. Dafür braucht es auch eine gute, erfahrene Begleitung von außen, weil dieses Rumpeln nicht vermeidbar ist.

Was ich jedoch immer geschätzt habe: wir haben eine lösungsorientierte Diskussionskultur. Trotz unterschiedlicher Meinungen haben wir es immer geschafft Dinge zu besprechen. Als wir dann ein klares Datum hatten, hat mir das sehr geholfen, da ich dann einen Rahmen hatte, der es mir persönlich ermöglicht hat, noch einmal gut zu reflektieren, eventuell noch Dinge zum Abschluss zu bringen und neue Strategien zum richtigen Zeitpunkt aufzusetzen. Ich habe mit Monica 17 Jahre eng in einer bestimmten Rolle zusammengearbeitet, das ist schon eine große Umstellung. Da passiert viel, auch auf der emotionalen Ebene, dafür muss es auch Raum geben, dies anzusprechen. Wir haben uns diesen Raum genommen!

LEADERSNET: Was zeichnet Ihrer Meinung nach eine:n gute:n Vorgesetzte:n aus?

Natalie Porias: Je nach Branche, Arbeitsumfeld und je nach Ziel des Unternehmens ist das aus meiner Sicht etwas sehr Individuelles. Bei Rote Nasen International sehe ich es so, dass ein:e gute:n Vorgesetzte:r das System im Auge behalten muss und stärken muss. Ich sehe mich als Facilitator, damit meine Mitarbeiter:innen bestmöglich arbeiten können. Zugleich bin ich Teil des komplexen Systems und kann mich da nicht herausnehmen. Es geht nicht darum alles zu wissen, sondern die natürliche Intelligenz des Systems zu fördern und hervorzubringen. Das beginnt bei simplen Dingen, wie aktiv zuhören, eine gute Fehlerkultur, ein offenes und ehrliches Miteinander und natürlich Freude an der Arbeit zu fördern.

Monica Culen: Es war mir immer wichtig, dass das Team versteht, was die größeren Ziele der Organisation sind, und was der Anteil ist, den die einzelnen Mitarbeiter:innen und deren Abteilung dazu beitragen. Das erfordert klares, konsequentes Kommunizieren und Handeln. Wir feiern und erkennen die Leistung an, und wenn Fehler passieren, dann braucht es eine Begleitung durch eine:n Vorgesetzte:n, damit eine Verbesserung möglich ist. Die Clownerie lebt vom Fehler-machen, darüber lachen die Kinder im Krankenhaus. Im Büro haben wir Fehler auch mit Humor genommen, versuchten aber trotzdem sie nur einmal zu machen und daraus zu lernen. Darin liegt das Wachstumspotential. Ich liebe es mit Menschen zu arbeiten und zu sehen, wie sie an ihren Aufgaben wachsen. Es war mir immer wichtig, dass Mitarbeiter:innen vertrauensvoll mit ihren Problemen zu mir kommen konnten. Wir sind alle nur Menschen, das darf man nicht vergessen. Und wenn wir einander unterstützen, können wir Probleme auch gemeinsam lösen.

LEADERSNET: Wie wichtig ist die Motivation von Mitarbeiter:innen in Ihren Augen?

Monica Culen: Mitarbeiter:innen müssen die Bedeutung und Wirkung ihrer eigenen Arbeit kennen und Freude daran haben, es gut zu machen. Ich kann es ihnen nicht einreden, aber ich kann es als Führungskraft vorleben und Begeisterung weitergeben.

Natalie Porias: Jeder von uns hier arbeitet darauf hin, die Mission von Rote Nasen wachsen zu sehen – das ist das Ziel der Organisation, aber gleichzeitig hat jeder individuelle Gründe bei Rote Nasen zu arbeiten. Deswegen ist es wichtig darüber zu reden und regelmäßig einen "Check in" zu machen. Wenn Unruhe oder vielleicht sogar Konflikte in Teams entstehen, dann passiert das, wenn die individuellen Motivationen verletzt wurden oder wenn sich die eigenen Motivationen geändert haben. Wenn wir als Individuen mit allem, was uns ausmacht anerkannt werden, dann fühlen wir uns gut aufgehoben, sind motiviert und können auf Augenhöhe agieren.

LEADERSNET: Sollten Mitarbeiter:innen in den Entscheidungsprozess der Führungskräfte eingebunden werden – und wenn ja wie könnte das am besten gelingen?

Natalie Porias: Auf jeden Fall. Jeder ist Teil des Systems. Es ist meine Aufgabe als Führungskraft die Intelligenz des Systems herauszukitzeln um die richtigen Schritte einzuleiten. Das muss sehr gut gemacht werden, denn rein basisdemokratisch kann man keine Entscheidungen treffen. Man muss die richtigen Leute an einen Tisch holen und sich verschiedene Blickwinkel und Lösungsstrategien anschauen. Ich schaffe Räume, um miteinander verschiedene Perspektiven einzunehmen, dann kann ich eine holistischere Entscheidung treffen.

Monica Culen: Ich ersuchte, wenn möglich, die relevanten Expert:innen in meinem Team, ihre Meinung und Lösungsvorschläge darzulegen. Bevor ich eine finale Entscheidung traf, habe ich sie gerne noch einmal mit diesem Kernteam besprochen. Aber schlussendlich musste ich entscheiden, was ich für das Beste für die Organisation hielt.

LEADERSNET: Welche Eigenschaften zeichnen Ihrer Meinung nach gute Führungskräfte aus?

Monica Culen: Mir war es immer wichtig als Führungskraft Authentizität, Vertrauenswürdigkeit, Diplomatie, Handschlags-Qualität und Zuverlässigkeit zu beweisen. Ich hatte nie eine hidden Agenda, oder habe Menschen gegeneinander ausgespielt oder intrigiert. Dazu braucht es gleichzeitig den Mut, Dinge klar anzusprechen und auch unpopuläre Maßnahmen durchzuführen, wenn sie notwendig waren, wie etwa neue Strategien und Aufgaben, Abteilungen umstrukturieren, Kompetenzen neu verteilen, Budgetkürzungen, Sitzordnungen umstellen.

Natalie Porias: Aus meiner Sicht ist es unabdingbar authentisch und vor allem empathisch zubleiben. Mein Wunsch ist es dem Team dadurch Sicherheit zu vermitteln und ehrlich zu bleiben. Auch einmal zu sagen "Ich weiß es jetzt nicht". Wenn man offen und bewertungsfrei bleibt, kann man leichter verschiedene Perspektiven einnehmen, besser führen und bessere Entscheidungen treffen.

LEADERSNET: Welche Anreize macht eine Führungsposition besonders attraktiv?

Natalie Porias: Mein Anreiz ist es, auf einer größeren Ebene gestalten und bewegen zu können. Mit Menschen gemeinsam gestalten und dadurch die Menschen, die Organisation und auch den Impact von Rote Nasen wachsen zu sehen.

Monica Culen: Für mich ist die gesellschaftspolitische Wirkung wichtig. Es erfüllt mich, wenn ich meine Kraft und mein Potential für die mentale Gesundheit in der Gesellschaft einsetzen kann. Ich konnte als Führungskraft kreativ und verantwortungsvoll wirken, zunehmend auch auf internationaler Ebene Das ist nicht immer einfach, man muss bereit sein die Bürde zu tragen. Heute kann ich freier agieren, und Rote Nasen auf internationalen Konferenzen und Netzwerken vertreten. Ich freue mich schon darauf.

LEADERSNET: Welche Rolle spielen unterschiedliche Führungsstile in der heutigen Zeit?

Monica Culen: Es gibt ganz wesentliche Unterschiede! Modernes Management braucht einen ganzheitlichen Ansatz, die Visionen und Aufgaben müssen gemeinsam verstanden und gelebt werden. Mitarbeiter:innen und Teams müssen kreativ und selbstverantwortlich arbeiten können. Eine Organisation oder Unternehmen muss den gesamtheitlichen Nutzen seiner Existenz für die Gesellschaft darstellen. Die jungen Generationen wollen für eine bessere Zukunft arbeiten und nicht für die Gewinnmaximierung von Shareholder:innen. Natürlich bin ich auch der Meinung, dass eine freundliche, humorvolle Stimmung in der Organisation, ein respektvoller und fürsorglicher Umgang mit den Mitarbeiter:innen zu gemeinsamem erfolgreichen Wirken führt. Ich habe stets versucht, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen meine Teams kraftvoll und freudig mitwirken konnten, und nicht mit einem Bein im Burnout stehen. So konnten wir in 30 Jahren gemeinsam eine erfolgreiche internationales Organisation aufbauen.

Natalie Porias: Es kommt ganz auf die Unternehmenskultur und das Ziel der Organisation an, welchen Führungsstil es braucht. Unsere Organisation braucht einen empathischen, menschlichen, humorvollen, unterstützenden Führungsstil. Der Führungsstil muss zu den Werten und Visionen der Organisation passen. Bei Rote Nasen International ist es der facilitative leadership style.

LEADERSNET: Wie könnte der ideale Führungsstil der Zukunft aussehen?

Natalie Porias: Ich sehe generell einen Paradigmenwechsel beim Thema Leadership. Wir sind in einer Post-Heroic Phase – die nicht mehr sehr personenzentriert ist. Die Menschen wollen nicht mehr einer Person, einem "Helden", nachrennen, sondern sich als wichtiger Teil der Organisation sehen, sich als Individuum einbringen, und als Person anerkannt und gesehen werden. Große beeindruckende Zahlen, interessieren die Mitarbeiter:innen nicht mehr so stark, sondern, was ist die Nachhaltigkeit, was sind die Werte, tragen wir gemeinsam zum großen Ganzen bei, trägt die Organisation ein kleines Stück zur Verbesserung der Welt bei? Das gilt meiner Meinung nach auch für die Profit Branche.

Durch die Pandemie ist auch das Thema Mentale Gesundheit viel wichtiger geworden. Deswegen braucht es einen neuen Führungsstil, der die Ressource Mensch anders einsetzt. Mehr auf Augenhöhe, nicht "ich sag dir, was du tun musst". Sondern: "du bist Teil des Systems und du bist wichtig". Es ist wichtiger die Lösungen organisch wachsen zu lassen. Die Führungskraft muss dafür Raum schaffen und fördern, das ist "Shared responsibility".

Monica Culen: Vor allem ist man als Führungskraft in erster Linie ein Mensch und man muss als erstes an sich als Mensch arbeiten und seine Persönlichkeit entwickeln. Zudem sollte die Arbeit für die Menschen ein positiver Teil des Lebens und wesentlich für ein geglücktes Leben sein. Die Generation Z und Generation Alpha sind sich dessen schon bewusst und streben darnach. Das ganzheitliche, nachhaltige Wirken muss eine Selbstverständlichkeit in einem modernen Unternehmen werden. So können sich die Menschen fürs Ganze mitverantwortlich fühlen und Freude daran haben.

www.rednoses.org

Kommentar schreiben

* Pflichtfelder.

leadersnet.TV