Psychologie beeinflusst alle Entscheidungen – auch die des Aufsichtsrats

"Es gibt zahlreiche psychologische Phänomene, die unsere Meinung und unabhängige Entscheidungsfähigkeit beeinflussen“, so Benjamin Schorn beim 17. Podcast für den Aufsichtsrat zum Thema "Psychologie und Aufsichtsrat – Überwachungskompetenz ist mehr als fachliche Kompetenz".

Wie ein Aufsichtsrat seine Rolle interpretiert, ist stark vom jeweiligen Mandat und Unternehmen abhängig. Denn im Vordergrund der Tätigkeit kann die Funktion als Sparringspartner oder Coaches stehen im Unterschied zu der des Kontrolleurs. Allen gemein ist das Ziel, die korrekten Informationen zur Beurteilung der Gesamtsituation zu erhalten. Dabei sei nicht die passende Frage entscheidend, sondern die offene, wertschätzende Haltung. Warum-Fragen sind grundsätzlich zu meiden, da sie das Gegenüber unter Druck setzen und Widerstand produzieren. Mit diesen Ratschlägen beginnt der Podcast mit dem Forensic-Investigation-Spezialist Benjamin Schorn.

Gier ist kein Hauptmotiv

Bei der Informationsgewinnung ist es in jedem Fall interessant, die Motivation des Gegenübers zu verstehen. Das gilt im Besonderen bei der Aufklärung von Wirtschaftskriminalität. Gier ist hier nicht der Hauptantrieb, wie landläufig angenommen wird, sondern viel häufiger ein schlechtes Gewissen. "Es gibt kaum ein bedrohlicheres Gefühl als Scham", meint der Gründer und Leiter des Institutes für Governance & Psychologie im Gespräch mit Moderator Rudolf X. Ruter. Niedrige Steuerquoten, Handlungsspielräume ausschöpfen: das sind klassische Ausgangssituationen, die zum Agieren im Graubereich einladen und dann auch über ein normales Maß hinausführen können.

Die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats wird verschiedentlich auf die Probe gestellt. Das fängt schon damit an, dass die Mitglieder ein Unternehmen überwachen, von dem sie gleichzeitig bezahlt werden. Auch Krisensituationen strapazieren die Entscheidungsfähigkeit. Manche Menschen wachsen in Krisen über sich hinaus, manche werden schwächer. In Krisen werden wir oft verführt, schnelle Entscheidungen zu treffen. Das bedeutet, hier gilt es besonders wachsam zu sein. Group-Thinking-Effekte oder Konformitätsdruck sind weitere Phänomene, die Entscheidungen beeinflussen – ohne dass es bewusst geschieht.

Beim Skandalkonzern Wirecard mangelte es Aufsichtsrat und Vorstand fehlte nicht an fachlicher Kompetenz. Doch es haperte an dem ernsthaften Willen zur Zusammenarbeit. So legte Aufsichtsrätin Tina Kleingard 2017 Ihr Mandat nach 1,5 Jahren frühzeitig nieder, nachdem Sie sich wiederholt vom Vorstand nicht ausreichend informiert fühlte und der Hinweis auf mangelnde professionelle Strukturen ohne Konsequenzen geblieben war.

Gute Selbsteinschätzung gefragt

Je besser die Selbsteinschätzung des einzelnen, desto eher gelingt es, den Schritt zurückzutun, um seine eigene Rolle zu hinterfragen und bei aller Komplexität Zweifel oder abweichende Meinungen einzubringen und damit die geistige Unabhängigkeit zu bewahren. Dazu gehört nicht zuletzt eine gute Kommunikations- und Moderationsfähigkeit. So kann man sich seiner Harmoniebedürftigkeit bewusst sein – und dennoch auf sachlicher Ebene gut entscheiden.

"Hart in der Sache, aber weich mit den Menschen“, lautet das abschließende Fazit von Benjamin Schorn.

Nächste Folge am 6. Oktober 2022

Diese und alle weiteren Folgen des "Podcasts für den Aufsichtsrat" können Sie auf Spotify oder Apple Podcast anhören. Weitere Informationen finden Sie auf der Webpage von Directors Academy. Die Video-Aufnahme steht auch weiterhin auf LinkedIn bereit.

Der 18. Video-Livestream folgt am Donnerstag, den 6. Oktober 2022 von 17 bis 18 Uhr mit Michael H. Kramarsch zum Thema "Bürokratiemonster ESG?! Nachhaltigkeit und der Aufsichtsrat". Michael H. Kramarsch ist seit mehr als 25 Jahren in der Beratung tätig. 2011 gründete der gebürtige Österreicher mit anderen Partnern die hkp/// group, die sich unter seiner Ägide zur erfolgreichsten Unternehmensberatung im Bereich strategisches HR-Management und Corporate Governance-Advisory entwickelt hat. Als führender Experte für Corporate Governance, wertorientierte Unternehmensführung, Performance Management und Top-Executive-Vergütung war er als Sachverständiger für diverse deutsche Regierungskommissionen tätig.

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