Washington Post verliert Abos
Jeff Bezos: "Eine Opfermentalität wird uns nicht weiterhelfen"

| Redaktion 
| 30.10.2024

Wo bitte geht’s zur Echokammer? Hunderttausende sollen inzwischen ihr Abonnement der US-amerikanischen Washington Post gekündigt haben. Grund dafür ist nicht etwa eine politische Positionierung, sondern der Verzicht darauf: Erstmals seit 1988 spricht das Blatt keine Empfehlung im US-Wahlkampf aus. Herausgeber William Lewis und Eigentümer Jeff Bezos erklären, warum die Enthaltung richtig und wichtig für die öffentliche Wahrnehmung von Massenmedien ist.

Die Washington Post ist die drittgrößte Zeitung der Vereinigten Staaten, blickt auf eine fast 150-jährige Veröffentlichungsgeschichte zurück und verzeichnet knapp zweieinhalb Millionen – mittlerweile vornehmlich digitale – Abonnenten. Wie das National Public Radio berichtet, hat letztgenannte Zahl zuletzt jedoch einen empfindlichen Schlag verkraften müssen: Unter Berufung auf "Personen, die mit internen Vorgängen bei der Zeitung vertraut sind", sollen allein bis Montagmittag rund 200.000 Menschen ihr Abo beendet haben.

Die massenhafte Leser-Abwanderung geht auf die Entscheidung der Washington Post zurück, in diesem Jahr keine Empfehlung für einen der beiden Kandidaten im laufenden US-Wahlkampf auszusprechen. Mit einer regelmäßigen Empfehlung hat die Zeitung erst 1976 begonnen und sich seitdem lediglich 1988 enthalten; üblicherweise darf sich der Kandidat der demokratischen Partei dabei über ein Endorsement der Publikation freuen.

Negative Interpretationen "unvermeidlich"

"Wir sind uns darüber im Klaren, dass dies auf unterschiedliche Weise interpretiert werden kann, etwa als stillschweigende Befürwortung eines Kandidaten, als Verurteilung eines anderen oder als Ablehnung der Verantwortung. Das ist unvermeidlich“, äußert sich William Lewis, Herausgeber und Vorstandsvorsitzender der Washington Post, zur Angelegenheit.

Lewis erklärt: "Wir sehen das nicht so. Wir sehen es im Einklang mit den Werten, für die The Post seit jeher steht und die wir uns von einer Führungspersönlichkeit erhoffen: Charakter und Mut im Dienste des amerikanischen Ethos, Ehrfurcht vor der Rechtsstaatlichkeit und Respekt vor der menschlichen Freiheit in all ihren Aspekten."

Post will an Selbstständigkeit der Leser glauben

Ferner geht Lewis darauf ein, dass die Washington Post hoffnungsvolles Vertrauen in seine Leserschaft setzt: "Wir sehen es auch als ein Statement zur Unterstützung der Fähigkeit unserer Leser, sich selbst eine Meinung über diese folgenreichste aller amerikanischen Entscheidungen zu bilden - wen sie als nächsten Präsidenten wählen sollen."

Herausgeber und CEO William Lewis (Bild: Elliott O’Donovan / Washington Post)
Herausgeber und CEO William Lewis (Bild: Elliott O’Donovan / Washington Post)

Die Mission der Washington Post sei es, "unparteiische Nachrichten für alle Amerikaner zu liefern und durch die Berichterstattung unseres Meinungsteams zum Nachdenken anzuregen, um unseren Lesern zu helfen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Vor allem aber ist es unsere Aufgabe als Zeitung der Hauptstadt des wichtigsten Landes der Welt, unabhängig zu sein. Und genau das sind wir und werden wir sein", schließt Lewis. Aus seinem kompletten Statement geht hervor, dass die Washington Post auch in Zukunft auf eine Wahl-Empfehlung verzichten möchte.

Verärgerte Abonnenten wegen Jeff Bezos?

An anderer Stelle dokumentiert die Zeitung selbst, dass die Entscheidung "von einer Vielzahl von Abonnenten, Politikern und Medienkommentatoren sofort und heftig verurteilt" worden ist. Der langjährige Post-Kolumnist und leitender Redakteur des Meinungsressorts, Robert Kagan, trat demnach aus Protest zurück. Eine Gruppe von elf Kolumnisten signierte einen Artikel, der die Nicht-Empfehlung kritisiert. "Verärgerte Leser und Quellen überfluteten die E-Mail-Postfächer zahlreicher Mitarbeiter mit Beschwerden", heißt es seitens der Post.

Die Bild schildert dazu passend, dass die Redaktion der Washington Post eine Empfehlung zugunsten der demokratischen Kandidatin Kamala Harris vorbereitet hat, ehe die letztliche Enthaltung des Blattes am vergangenen Freitag kommuniziert wurde. Schnell kamen Vermutungen auf, dass Amazon-Gründer Jeff Bezos – seit 2013 Eigentümer der Washington Post – hinter der polarisierenden Entscheidung stecken könnte.

"Die meisten Menschen glauben, dass die Medien voreingenommen sind"

Natürlich sind die meisten abgewanderten Abonnenten nicht etwa aufgeschmissen, weil sie ohne die genaue Anleitung ihrer Lieblingszeitung keine Ahnung haben, wo sie am kommenden Dienstag ihr Kreuz setzen sollen. Ein Großteil der Kündigungen dürfte dementsprechend auf Unterstützer der demokratischen Partei zurückgehen, die ihre bereits gefestigte Meinung nicht auf gewünschte Art und Weise verstärkt sehen.

Die Redaktionsräume der Washington Post (Bild: Washington Post)Die Redaktionsräume der Washington Post (Bild: Washington Post)

Annahmen, denen Jeff Bezos, der den Trubel um die Washington Post schließlich am Montag kommentierte, zumindest in Teilen direkt zustimmt: "Kein unentschlossener Wähler in Pennsylvania wird sagen: ‘Ich halte mich an die Empfehlung von Zeitung A.‘ Keiner. Was die Unterstützung von Präsidentschaftskandidaten tatsächlich bewirkt, ist der Eindruck der Voreingenommenheit. Eine Wahrnehmung der Nicht-Unabhängigkeit. Ihre Abschaffung ist eine prinzipielle Entscheidung, und es ist die richtige Entscheidung."

Bezos weiter: "Die meisten Menschen glauben, dass die Medien voreingenommen sind. Wer das nicht sieht, schenkt der Realität zu wenig Beachtung. Und wer gegen die Realität kämpft, verliert. Die Realität ist ein ungeschlagener Champion. Es wäre einfach, anderen die Schuld für unseren langen und anhaltenden Verlust an Glaubwürdigkeit (und damit auch an Einfluss) zu geben, aber eine Opfermentalität wird uns nicht weiterhelfen. Sich zu beschweren ist keine Strategie. Wir müssen härter daran arbeiten, das zu kontrollieren, was wir kontrollieren können, um unsere Glaubwürdigkeit zu erhöhen."

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