Moderne, schnelle Arbeitswelt
Alles wird zur Arbeit, alles fühlt sich gleich an

Der Soziologe Hartmut Rosa stellt der modernen Arbeitswelt einen bedenklichen Befund aus: „Wir lassen unser Leben von Arbeit unterwandern“.

Viele Menschen kämpfen mit dem ständigen Gefühl der Überforderung. Hartmut Rosa, Soziologe an der Friedrich-Schiller-Universität und Direktor des Max Weber Kollegs, gilt als führender Experte in der Erforschung des Zeitgefühls unserer Gesellschaft. In einem Interview mit dem Spiegel teilt er seine Einsichten über die Beschleunigung des Lebens und die Verschmelzung von Arbeit und Privatleben.

"Unsere To-do-Listen explodieren. Wir lassen unser Leben von Arbeit unterwandern," beschreibt Rosa die heutige Arbeitskultur. Diese Vermischung von Arbeit und Privatleben sieht er kritisch: "Es ist eine Form der Kolonialisierung." Rosa betont, wie wichtig die Trennung zwischen selbstbestimmter und fremdbestimmter Sphäre ist und warnt davor, dass die Arbeit unseren Alltag zunehmend durchdringt.

Keine Muße, keinen Raum für Entlastung

Eine Herausforderung sieht Rosa in der sogenannten "Multianforderungsgesellschaft", in der wir ständig verschiedenen Anforderungen ausgesetzt sind. "Es gibt keine Muße und keinen Raum, in dem wir von diesen Anforderungen einmal entlastet werden," so Rosa. Er stellt fest, dass die Vermischung von beruflichen und privaten Anforderungen die klare Trennung, die früher bestand, zunehmend auflöst.

Das Phänomen der "Workation", die Verbindung von Arbeit und Urlaub, sieht Rosa als symptomatisch für diese Entwicklung. Er sieht die Gefahr, dass alle Lebensaspekte einer Steigerungslogik unterliegen, was zu einem Gefühl ständiger Arbeit führt. "Letztlich wird alles zur Arbeit, es fühlt sich alles gleich an – als Eintrag auf der To-do-Liste," fasst Rosa zusammen.

Trotz der Herausforderungen sieht Rosa auch positive Seiten der modernen Arbeitswelt, etwa die produktive und wohltuende Zeit mit Kollegen. Doch warnt er davor, sich der Verwertungslogik hinzugeben und mahnt zu einem bewussteren Umgang mit Arbeit und Freizeit.

Vom Umgang mit dem Zeitdruck

Für Rosa ist die Bewusstmachung von Arbeitszeit ein wichtiger Schritt, um den Umgang mit Arbeit zu verändern. Doch erkennt er an, dass das Problem tiefer liegt: "Das Zeitproblem ist ein Strukturelles, das wir auf individueller Ebene kaum lösen können." Seine persönliche Strategie gegen den Beschleunigungsdruck ist die räumliche Distanz und das bewusste Eintakten von Pausen und Freizeit.

Rosa kritisiert die zunehmende Digitalisierung und Effizienzsteigerung als falschen Weg, um mit dem Zeitdruck umzugehen. Stattdessen plädiert er für einen gesunden Blick auf Arbeit als wesentlichen Teil des Lebens und betont die Bedeutung von Arbeit für die menschliche Selbstverwirklichung und Gemeinschaft.

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