Das Thema mentale Gesundheit wird zu einer zunehmenden Herausforderung für uns alle. Einer Auswertung der Krankenkasse DAK zum ersten Halbjahr 2023 zufolge gibt es einen deutlichen Anstieg psychischer Erkrankungen, die mittlerweile 16 Prozent aller Krankschreibungen ausmachen. Im Vergleich zu 2022 stieg die Zahl der Fälle von drei auf 4,8 pro 100 Versicherte an. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf Unternehmen.
Nicolas Ziebarth, Arbeitsmarktexperte am Forschungsinstitut ZEW in Mannheim, warnt davor, dass der Anstieg der Arbeitsunfähigkeit für Unternehmen und ihre Belegschaften "eine hohe Belastung mit hohen Kosten, insbesondere für kleine Betriebe" darstellt. Im Gegensatz zu nicht-psychischen Erkrankungen können Unternehmen nicht vorhersagen, wann und ob die betroffenen Arbeitnehmer zurückkehren werden. Daher seien alle aufgefordert, verstärkt über Präventionsmaßnahmen nachzudenken.
Laut der DAK-Auswertung gehören Depressionen, Reaktionen auf schwere Belastungen, neurotische Störungen und Angststörungen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Auch die KKH Kaufmännische Krankenkasse berichtet von einem drastischen Anstieg der psychischen Belastung bei berufstätigen Menschen im ersten Halbjahr 2023. Obwohl die Daten der Krankenkassen nicht repräsentativ sind, erfassen sie einen großen Teil der Bevölkerung.
Gestresst, erschöpft, ausgebrannt
Die Gründe für die Zunahme mentaler Probleme sind vielfältig. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der KKH führten die Befragten neben beruflichen Belastungen auch externe Faktoren wie den Klimawandel und die Inflation als Ursachen an. Die ständige Erreichbarkeit über Smartphones wird ebenfalls häufig genannt. Fast zwei Drittel der Berufstätigen fühlen sich gestresst, erschöpft und ausgebrannt, während jeder sechste unter stressbedingten Angstzuständen leidet.
Großkonzerne reagieren bereits auf die Entwicklung und bieten Seminare und Workshops zur Prävention an, Meditationsangebote, Schulungen zum Umgang mit belasteten Kollegen und spezielle Trainings für Führungskräfte. Einige Unternehmen setzen auf Achtsamkeitskurse, Resilienz-Trainings oder Yoga-Kurse. In vielen Firmen gibt es auch "Mental Scouts" oder Gesundheits-Apps, um die mentale Gesundheit der Mitarbeiter zu fördern.
Hier einige Beispiele:
- Allianz: Das Unternehmen bietet Webinare gegen Stress sowie Meditationsangebote an. Es werden Workshops zum Umgang mit belasteten Kollegen und spezielle Schulungen für Top-Führungskräfte durchgeführt.
- Eon: Eon veranstaltet Workshops, in denen Mitarbeiter lernen, wie sie mit belastenden Situationen umgehen können.
- Merck: Merck bietet Achtsamkeitskurse an, um die mentale Gesundheit der Mitarbeiter zu fördern.
- Beiersdorf: Das Unternehmen bietet Resilienz-Trainings und Yoga-Kurse für Mitarbeiter an.
- Vonovia: In jeder Abteilung gibt es Eins-zu-eins-Gesprächsformate, um gesundheitliche Probleme anzusprechen.
- Henkel: In verschiedenen Abteilungen gibt es "Mental Scouts", die speziell geschult sind, um ihre Teams zu unterstützen. Eine eigene Gesundheits-App soll Mitarbeiter dazu animieren, sich mit ihrer mentalen Gesundheit auseinanderzusetzen.
- Rheinmetall: Der Rüstungskonzern nimmt erstmals am Welttag für psychische Gesundheit teil, der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) initiiert wurde.
- Merck: Merck hat anlässlich des Welttags für psychische Gesundheit eine Aktionswoche ins Leben gerufen. Das Unternehmen hat zudem ein "Mental Health Team" gegründet, das sich mit der mentalen Gesundheit seiner Mitarbeiter befasst.
Während es in großen Unternehmen bereits viele Angebote gibt, besteht in vielen kleinen und mittleren Betrieben noch Nachholbedarf.
Gegenüber dem Thema offene Unternehmenskultur
Anette Wahl-Wachendorf, Vizepräsidentin des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte, betont im Handelsblatt die zunehmende Bedeutung psychischer Erkrankungen und die Notwendigkeit einer Unternehmenskultur, in der Mitarbeiter Probleme offen ansprechen können. Unternehmen könnten Plattformen einrichten, um das Thema mentale Gesundheit zu diskutieren.
KI-Thema verunsichert viele Mitarbeiter
Neue Technologien, wie Künstliche Intelligenz, führen zu Unsicherheit und Ängsten um den Arbeitsplatz. Die Unternehmensleitung muss frühzeitig und transparent kommunizieren, was auf die Belegschaft zukommt. Betriebsärzte könnten als "Frühwarnsysteme" dienen und in den Sprechstunden solche Sorgen ansprechen.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass nicht nur psychische Erkrankungen zunehmen. Die gesetzlichen Krankenkassen melden insgesamt steigende Fehlzeiten. Laut der Techniker Krankenkasse waren erwerbstätige Versicherte im ersten Halbjahr im Durchschnitt 9,5 Tage krankgeschrieben. Dies stellt einen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr dar. Unternehmen sehen sich mit Unterbesetzungen konfrontiert, was zu Mehrarbeit führt.
Die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Krankschreibungen sind schwer zu ermitteln. Schätzungen reichen von 42 Milliarden bis zu 150 Milliarden Euro pro Jahr. Die Großzügigkeit des deutschen Lohnfortzahlungssystems spielt dem Handelsblatt zufolge ebenso eine Rolle. In den USA nehmen Arbeitnehmer im Durchschnitt nur drei Krankheitstage pro Jahr in Anspruch.
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