"30 bis 40 Prozent des ganzen österreichischen Außenhandels gehen nach Deutschland"

Thomas Gindele, Geschäftsführer der Deutschen Handelskammer in Österreich, spricht im LEADERSNET-Interview darüber, wie die Kammer deutschen Firmen in Österreich hilft, wo die Digitalisierung funktioniert und wo nicht, wie die Österreicher die Deutschen als Touristen sehen und warum Wien als Kongress-Standort unbedingt wiederbelebt werden muss.

Es gibt über 6.000 deutsche Firmenniederlassungen in Österreich. Diese decken die ganze Bandbreite des Wirtschaftsspektrums von Industrie, über Dienstleistungen, bis hin zum Handel ab. "50 bis 60 Prozent des in Österreich vorherrschenden Einzelhandels wird durch deutsche Unternehmen gemacht", wirft Thomas Gindele ein.

Gindele ist seit 2005 Hauptgeschäftsführer der Deutschen Handelskammer (DHK) in Österreich und seit 2010 auch Bayrischer Repräsentant in Österreich. LEADERSNET Deutschland hat den gebürtigen Deutschen in Wien getroffen und sich mit ihm über die Aufgaben der Handelskammer, das Verhältnis zwischen Deutschen und Österreichern, die Exportfähigkeit des Wiener Schmähs und das Faible der Deutschen für Leichtigkeit und Gelassenheit der Österreicher unterhalten.

LEADERSNET: Herr Gindele, was ist die grundlegendste Aufgabe der Deutschen Handelskammer in Österreich?

Gindele: Wir sollen die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Österreich und Deutschland entwickeln, weiterentwickeln, ausbauen, neue Unternehmenskontakte herstellen und die Unternehmen, die an den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen interessiert sind, mit flankierenden Informationen – etwa was beim Außenhandel zwischen beiden Ländern zu beachten ist – zu unterstützen. Das ist unsere Kernaufgabe und das brechen wir dann runter in unterschiedliche Dienstleistungen.

LEADERSNET: Wie sieht das in der Praxis aus?

Gindele: Wir unterstützen deutsche Unternehmen bei der Erstkontaktherstellung für ihre Geschäftsmöglichkeiten in Österreich. Wir bauen Kontakte zu möglichen Vertriebspartnern und Kunden auf und helfen ihnen dann, das Ganze auch mit dem institutionellen Rahmen in Einklang zu bringen. Dafür brauchen wir auch ein Unternehmernetzwerk, in dem wir die Verbindungen zwischen den Unternehmern herstellen können. Das tun wir in Form von unserer Mitgliederorganisation. Rund 1.400 Unternehmen sind Mitglied bei uns. Die eine Hälfte hat ihren Sitz in Deutschland, die andere in Österreich. Diese Unternehmen sind Mitglied bei uns, weil sie ein besonderes Interesse haben, sich in einem Unternehmernetzwerk einzubringen und Verbindungen zu schaffen. Um diese Verbindungen zu schaffen, organisieren wir in der Regel – wenn keine Corona-Pandemie herrscht – zwischen 60 und 70 Veranstaltungen im Jahr. Diese Events drehen sich in der Regel um Themen, die die Industrie, den Handel und den Dienstleistungssektor in den jeweiligen Branchen interessiert.

Die andere große Aufgabe – und das ist in "normalen" Zeiten eigentlich eines unserer Hauptgeschäfte – ist, dass wir Messen vertreten. Insgesamt sind es fünf deutsche Großmessen, die wir in Österreich vertreten. Hier besteht unsere Aufgabe darin, österreichische Aussteller für Fachmessen zu akquirieren und zu gewinnen. Wir haben unter anderem Frankfurt, Berlin, Hannover und Stuttgart in unserem Portfolio und es ist an sich in guten Zeiten ein gutes Geschäft, weil die österreichische Wirtschaft sehr Messe-affin ist.

 

LEADERSNET: Wie ist denn die Wertschätzung zwischen Deutschland und Österreich in der Wirtschaft?

Gindele: In der Wirtschaft ist sie eigentlich sehr gut, auch weil die Ausgangslage eine relativ simple ist: Man will gegenseitig Geschäfte machen. Insofern funktioniert dieses Grundverständnis schon mal sehr gut. Die österreichische Politik geht immer nach Deutschland und sagt, dass Deutschland für Österreich der wirtschaftlich wichtigste Handelspartner sei. Das ist eine Untertreibung. Es ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner. Das muss man auch mal artikulieren. Egal ob es sich um den Tourismus oder die Industrie handelt: 30 bis 40 Prozent des ganzen österreichischen Außenhandels gehen nach Deutschland. Das ist natürlich eine enorme Verwurzelung, die funktioniert, weil sowohl österreichische als auch deutsche Unternehmen genau wissen, wo die Qualität der jeweiligen Produkte liegt. Es gibt auch eine hohe Wertschätzung für die gegenseitige Innovationskraft.

LEADERSNET: Sie sind jetzt schon seit vielen Jahren in Wien. Man spricht immer vom berühmten Wiener Schmäh. Ist dieser exportfähig?

Gindele: Der Wiener Schmäh ist auf jeden Fall exportfähig und ich glaube, dass der schon auch hinreichend gut exportiert wurde. In Deutschland hat man generell für Lebensformen, die eine gewisse Leichtigkeit mit sich bringen, ein Faible. Die Deutschen bringen den Österreichern eine große Wertschätzung entgegen, da sie wissen, dass die Österreicher fleißig sind, aber auch eine gewisse Gelassenheit mitbringen und da ist der Deutsche manchmal sogar ein bisschen neidisch drauf. Er wäre auch gerne etwas "schmähiger" und gelassener und nicht immer darauf ausgerichtet, direkt zum Ziel zu kommen. Deswegen kommen die Deutschen auch so unheimlich gerne nach Österreich um Urlaub zu machen, weil sie dort ein bisschen diese Wohlfühl-Gelassenheit verspüren. Dass der Österreicher mit der bestimmenden Art des Deutschen als Tourist dann ab und an ein bisschen seine Probleme hat, kann ich nachvollziehen (lacht). Aber der Österreicher schafft es dann wieder sehr gut, dem Deutschen das Gefühl zu vermitteln, dass er ernst genommen wird (schmunzelt).

LEADERSNET: Wir befinden uns mitten in einer Pandemie und es ist unübersehbar, dass das auch wirtschaftliche Spuren hinterlassen hat. Wie schnell schätzen Sie, wird sich das Gefüge wieder regenerieren?

Gindele: Das ist eine interessante Frage. In den Handelsbeziehungen hat sich das schon wieder relativ schnell regeneriert. Das heißt, dass wir im letzten Jahr schon fast wieder auf Vor-Pandemie-Niveau angelangt sind, was natürlich auch den Nachholeffekten durch die Pandemie geschuldet ist. Das hat sogar neue Impulse ausgelöst. Aber es gibt natürlich Sektoren, die von der Situation beeinträchtigt sind: das sind bestimmte Dienstleistungsbereiche, der Tourismus und ganz besonders die Messe- und die Veranstaltungswirtschaft. Wien ist ein wichtiger Kongressstandort – auch für die deutsche Wirtschaft – und muss natürlich wiederbelebt werden. In diesem Bereich werden wir dieses Jahr aber sicherlich noch Einschränkungen erleben.

Sowohl Österreich als auch Deutschland sind – aufgrund ihrer starken Industrieausrichtung – momentan von den Lieferkettenproblematiken beidseitig betroffen. Österreich geht es ein bisschen besser, weil es nicht ganz so Automobil-lastig ist, wie die deutsche Wirtschaft. Insofern wird es in diesem Bereich noch bis Ende des Jahres gewisse Lieferengpässe geben. Da leiden beide Länder ein Stück weit drunter, mit dem Ergebnis, dass das Handelsvolumen deutlich größer sein könnte, wenn es diese Problematiken nicht gäbe.

LEADERSNET: Abschließend noch eine Frage zum Thema Digitalisierung. Die Welt hat sich, auch noch einmal befeuert durch die Corona-Pandemie, sehr verändert. In welche Richtung wird die Entwicklung in diesem Bereich gehen?

Gindele: Generell muss man als Wirtschaftstreibende immer mit einem optimistischen Blick in die Zukunft schauen. Die Digitalisierung wird, meiner Meinung nach, in manchen Bereichen wesentliche Erleichterungen bringen. Wir sind im Rahmen der Pandemie ja gezwungen worden, die Kommunikation noch stärker zu digitalisieren. Vieles geht dabei verloren, aber es birgt auch viele Vorteile. Wenn man aber beispielsweise das Messe-Geschäft heranzieht, dann hat sich während der Pandemie natürlich die Frage aufgetan, ob wir es mit digitalen Formaten schaffen, die Kunden mit den Anbietern zusammenzubringen. Dort sieht man die Grenzen der Digitalisierung recht deutlich. Die digitale Präsentation, die Einladung der Messen auch mit digitalen Instrumenten, wird ein Bestandteil bleiben und sogar zunehmen. Aber das Zusammenkommen der Menschen, Geschäfte von Angesicht zu Angesicht abzuschließen, Produkte angreifen zu können – all das wird die Digitalisierung nicht ersetzen können.

Nichtsdestotrotz glaube ich, dass es sich in anderen Wirtschaftsbereichen gezeigt hat, dass die Digitalisierung hervorragend funktioniert. Die Versicherungswirtschaft hat die besten zwei Jahre hinter sich. Und warum? Weil sie mit digitalen Instrumenten an die Kunden herantreten. Da hat es funktioniert und das ist hervorragend. Ein weiterer Punkt, wo es funktioniert ist natürlich der Onlinehandel. Übrigens: 80 Prozent des Onlinehandels den Österreich mit dem Ausland tätigt, tätigt es mit Deutschland. Zalando und Otto sitzen etwa in Deutschland. Wenn man in Österreich etwas über Amazon bestellt, dann läuft es in der Regel über das Leipziger Vertriebsnetz. Viele auf Amazon gelistete Anbieter sitzen in Deutschland. Wir als Handelskammer profitieren davon, weil wir für diese Onlineanbieter die Umsatzsteuer-Anmeldung in Österreich machen. Wir haben 700 bis 800 Online-Händler, die wir mit diesen Serviceleistungen versehen und das ist im letzten Jahr massiv hochgeschnellt.

LEADERSNET: Vielen Dank für das Gespräch!

oesterreich.ahk.de

Über Thomas Gindele

Thomas Gindele studierte Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz. Während und nach dem Studium war er bei der Fraport AG in Frankfurt beschäftigt.

In der Folge wechselte er 1992 in das Netzwerk der deutschen Auslandshandelskammern unter anderem als Leiter der Abteilung Marktforschung und Volkswirtschaft bei der Deutsch-Koreanischen AHK in Korea und als stv. Geschäftsführer des Delegationsbüros der Deutschen Wirtschaft in China/Peking. Von 2000 bis Ende 2004 war er Geschäftsführer der Deutsch-Kroatischen Industrie- und Handelskammer und Delegierter der Deutschen Wirtschaft für Bosnien & Herzegowina.

Seit 2005 ist er Hauptgeschäftsführer der Deutschen Handelskammer in Österreich und seit 2010 auch Bayerischer Repräsentant in Österreich.

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Über Thomas Gindele

Thomas Gindele studierte Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz. Während und nach dem Studium war er bei der Fraport AG in Frankfurt beschäftigt.

In der Folge wechselte er 1992 in das Netzwerk der deutschen Auslandshandelskammern unter anderem als Leiter der Abteilung Marktforschung und Volkswirtschaft bei der Deutsch-Koreanischen AHK in Korea und als stv. Geschäftsführer des Delegationsbüros der Deutschen Wirtschaft in China/Peking. Von 2000 bis Ende 2004 war er Geschäftsführer der Deutsch-Kroatischen Industrie- und Handelskammer und Delegierter der Deutschen Wirtschaft für Bosnien & Herzegowina.

Seit 2005 ist er Hauptgeschäftsführer der Deutschen Handelskammer in Österreich und seit 2010 auch Bayerischer Repräsentant in Österreich.

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