Dieses Jahr wurden erstmals in der Geschichte des wichtigsten deutschen Aktienindex DAX mehr Frauen als Männer in die Aufsichtsräte der 40 größten deutschen börsennotierten Unternehmen gewählt: 55 Prozent aller neu vergebenen Mandate gingen an Frauen. Allerdings schieden auch mehr Frauen aus als je zuvor: 32 Prozent aller ausgeschiedenen Aufsichtsräte waren weiblich).
In Summe führt dieser höchste Anstieg innerhalb eines Jahres seit 2016 dazu, dass der Frauenanteil in DAX-40-Aufsichtsräten mit 37,8 Prozent einen neuen historischen Höchstwert erreicht (Aktionärsvertreterseite). Nimmt man die Arbeitnehmervertreterinnen hinzu, ist der Anteil auf aktuell 38,3 Prozent gestiegen. Das zeigt die jährliche Analyse der DAX-Aufsichtsräte durch die Personalberatung Russell Reynolds Associates. Allerdings fällt der DAX damit trotzdem international zurück, denn in einigen europäischen Ländern stieg der Frauenanteil noch stärker und liegt bereits über 40 Prozent (Frankreich, Norwegen, Italien, Niederlande, UK, Dänemark).
Nur Porsche hinkt noch hinterher
Von den 40 DAX-Unternehmen liegt nur noch Porsche SE unter dem für paritätisch mitbestimmte Unternehmen geforderten 30 Prozent Frauenanteil. Knapp die Hälfte der DAX-Unternehmen (19) hat einen Frauenanteil von mehr als 40 Prozent, davon sechs über 50 Prozent. Während der Frauenanteil im DAX einen Höchststand erreicht, geht die Internationalisierung erstmals seit Jahren zurück: 34 Prozent (nach einem Höchststand von 36 Prozent im letzten Jahr) der Mitglieder der DAX 40-Aufsichtsgremien kommen aus dem Ausland.
Bei der Machtverteilung innerhalb der Aufsichtsgremien gibt es sowohl Rück- als auch Fortschritt: Nur noch zwei (fünf Prozent nach zehn Prozent im Vorjahr) der Aufsichtsratsvorsitzenden sind weiblich. Allerdings haben jetzt in 20 Prozent der Ausschüsse Frauen den Vorsitz (Vorjahr: 17 Prozent) – ein neuer Höchstwert.
Jens-Thomas Pietralla © Chris Tille/Russell Reynolds Associates
"Nach Erreichen der 30-Prozent-Quote gab es zunächst Stillstand beim Frauenanteil in Aufsichtsräten. Doch die gesellschaftliche Debatte um mehr Diversität und die gute Erfahrung mit hochqualifizierten Frauen in Aufsichtsgremien haben für Bewegung gesorgt. Auch ohne weitere gesetzliche Vorgaben setzt sich diese tiefgreifende Transformation fort und führt zu einer bemerkenswert deutlichen Zunahme des Anteils von Frauen in diesem Jahr. Bei rund der Hälfte der größten deutschen Unternehmen liegt ihr Anteil jetzt bei über 40 Prozent. Zumindest bei den grössten börsennotierten Unternehmen rücken damit zu gleichen Teilen mit Frauen und mit Männern besetzte Aufsichtsräte in Sichtweite", sagt Jens-Thomas Pietralla, Leiter der Europäischen Board Practice von Russell Reynolds Associates.
Vorstandsvergütungen erstmals ohne Ausnahme an Nachhaltigkeit geknüpft
Der Ukraine-Krieg und Nachhaltigkeit wurden von DAX-Aufsichsräten im letzten Jahr mehr diskutiert als alle anderen Themen. Diese Diskussionen haben zu konkreten Veränderungen geführt: 17 der 40 DAX-Unternehmen haben jetzt einen dedizierten Nachhaltigkeitsausschuss - mehr als je zuvor (13 im Vorjahr). Die gestiegene Bedeutung von Nachhaltigkeit zeigt sich deutlicher als je zuvor auch in der Vergütung: Die Vorstandsvergütungen der DAX 40-Unternehmen sind jetzt erstmals ohne Ausnahme an ESG-Kriterien geknüpft (ESG: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung). Im Schnitt sind acht Prozent der Vergütung direkt an das Erreichen von ESG-Zielen gekoppelt.
Thomas Tonkos © Russell Reynolds Associates/ Martin Joppen Photographie
"Nachhaltigkeit war für viele Unternehmen bis vor kurzem noch hauptsächlich ein Marketingthema, wie wir in einer unserer Studien gezeigt haben. Jetzt ist das Thema zunehmend in den Unternehmensstrategien verankert und wird als Teil des Kerngeschäfts betrachtet. Dementsprechend ist Nachhaltigkeitsexpertise bei Aufsichtsräten gefragt wie nie zvor. Rund zwei Drittel der DAX-Aufsichtsgremien haben inzwischen einen ESG-Aussschuss installiert oder ein Mitglied mit Nachhaltigkeitsexpertise in ihren Reihen. Die Aufsichtsräte haben auch dafür gesorgt, dass sich Vorstände stärker als je zuvor am Erreichen von ESG-Zielen messen lassen müssen, und die Vergütung daran gekoppelt. Diese Verknüpfung wird in den nächsten Jahren noch weiter zunehmen", sagt Thomas Tomkos, Leiter der Deutschen Board Practice von Russell Reynolds Associates.
Rückkehr zur Deutschland AG?
Der Grad der Verflechtung der Aufsichsräte untereinander und die Zahl der Mehrfachmandate – früher einmal als "Deutschland AG" kritisiert – hat jahrelang kontinuierlich abgenommen, ist jedoch in diesem Jahr wieder sprunghaft angestiegen. Grund dafür sind die Ausgründungen (Mercedes-Benz/Daimler Truck, VW/Porsche SE/Porsche AG, Siemens/Siemens Energy/Siemens Healthineers), durch die Aufsichtsräte Mandate sowohl bei der Muttergesellschaft als auch bei den Töchtern halten.
Bei der Arbeitnehmervertretung in Aufsichtsräten hat sich der seit Jahren anhaltende Trend zu immer weniger paritätisch mitbestimmten Unternehmen wieder umgekehrt: Die Anzahl der DAX-Unternehmen mit paritätisch besetzten Aufsichtsgremien hat nach zwei Jahren auf einem Tiefststand wieder zugenommen. Aktuell sind 80% (32 von 40) der Aufsichtsräte paritätisch besetzt (70% in den beiden Vorjahren). Grund dafür sind mitbestimmte Abspaltungen und Unternehmen, die in den DAX 40 aufgestiegen sind bzw. nicht paritätisch mitbestimmte Unternehmen, die den DAX 40 verlassen haben.
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