Noch sind die deutschen Gasspeicher zu gut einem Drittel gefüllt. Doch das kann sich schnell ändern, wenn Russlands Herrscher Wladimir Putin sich dazu entscheidet, die Gashähne zuzudrehen, dann könnten diese Reserven sehr schnell aufgebraucht sein und dann würde sich über kurz oder lang die Frage stellen, wo der Gasverbrauch reduziert oder auch zeitweise eingestellt werden könnte.
Zuhause im Warmen sitzen oder lieber arbeiten?
Bislang galt: Privathaushalte genießen besonderen Schutz und haben deshalb, laut EU-Verordnung 2017/1938 Vorrang. Doch aus der Wirtschaft machen sich jetzt Stimmen breit, die fordern, die Industrie in so einem Fall bevorzugt zu behandeln. So fordert etwa Karl-Ludwig Kley, Aufsichtsratschef des Energiekonzerns E.on, in einem Interview mit dem Manager Magazin, dass die Politik "sehr ernsthaft darüber nachdenken" sollte, ob sie die Reihenfolge nicht umdreht und "erst bei Privaten abschaltet und dann bei der Industrie". "Im schlimmsten Fall" wäre es besser, dass die Menschen im Winter frieren, als "wennFirmen die Produktion einstellen müssen und Menschen dadurch ihren Arbeitsplatz verlieren".
Prominente Unterstützung bekommt Kley von Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller, der gegenüber der Zeit sagt, dass der uneingeschränkte Schutz für private Verbraucher in einer Gasnotlage "schwer vermittelbar" sei. Auch Arndt G. Kirchhoff, Chef der Landesvereinigung der NRW-Unternehmensverbände, schlägt in eine ähnliche Kerbe: "Private Haushalte müssen gleichgesetzt und -behandelt werden wie die Industrie. Was hilft es, wenn die Arbeiter zu Hause sitzen im Warmen, und die Arbeitsplätze sind weg?"
"In irgendeiner Form das Unrealistische probieren"
Auf wie viel Gegenliebe der Vorstoß der Wirtschaftsbosse in der Bevölkerung stößt wird sich noch zeigen. Derzeit bleibt zu hoffen, dass es kommenden Winter nicht tatsächlich zu einer Situation kommt, in der entschieden werden muss, ob Privathaushalten oder der Industrie der Gashahn zugedreht wird. Die gute Nachricht in diesem Zusammenhang ist, dass es Deutschland aber bereits geschafft hat, seine Abhängigkeit von russischem Gas seit Anfang des Krieges signifikant zu reduzieren.
Wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch in Berlin erklärte, Betrage die Abhängigkeit jetzt noch 35 Prozent. Zu Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine bezog Deutschland hingegen noch 55 Prozent seiner Erdgasimporte aus Russland. Aktuell ist das Ziel 2024 komplett unabhängig von russischen Gaslieferungen zu sein. Nachdem Russland jüngst Bulgarien und Polen von der Gaszufuhr gekappt hat, werden auch hierzulande die Rufe lauter, diese Unabhängigkeit schon vor 2024 zu erreichen. Auf die Frage, ob dies durch die erzielten Fortschritte vielleicht schon 2023 möglich sei, antwortete Habeck: "Natürlich ist es nicht realistisch nach deutscher Zeit. Und trotzdem müssen wir in irgendeiner Form das Unrealistische probieren." (as)
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