Sandra Rochnowski ist Professorin für Tourismusbetriebswirtschaft und leitet die Fachrichtung "BWL/Tourismus" an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin). Sie ist auch Expertin auf den Gebieten Nachhaltigkeit und Betriebliches Gesundheitsmanagement und setzt in ihrer Forschung unter anderem einen Schwerpunt auf die Digitalisierung der Hotellerie. Jetzt hat sie das Buch "Resiliente Personalsicherung im Gastgewerbe", das sie gemeinsam mit Studierenden der HWR Berlin geschrieben hat, herausgegeben.
LEADERSNET: Das Cover ihres neuen Buches ist pink. Sind die Zukunftsaussichten so rosig?
Rochnowski: Pink ist nicht meine Lieblingsfarbe, das nur vorab, aber ungewöhnlich in der Wissenschaft. Ich habe diese Farbe bewusst für dieses Buch gewählt und verstehe es als Akronym: P für Power, I für Innovation, N für Nachhaltigkeit und K für Kooperation. All das braucht es, um Nachwuchsfachkräfte für Tourismus und Gastgewerbe zu gewinnen und sie durch Aus- und Weiterbildung in der Branche zu halten. Nein, das ist kein Selbstläufer, und die Zeiten sind auch nicht rosig. Demographischer Wandel, Arbeitsbedingungen und der Anspruch der Generation Z an Job und Karriere verlangen nach Transformation der bestehenden Wirtschaftsprozesse und Denkmuster.
LEADERSNET: Wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch zusammen mit Ihren Studierenden zu schreiben?
Rochnowski: Um einen Wandel ins Positive zu bewirken, bedarf es, die Nachwuchsgeneration zu verstehen, wertzuschätzen, zu unterstützen und sie in betriebliche Projekte und Prozesse einzubinden – und eben auch in die Forschung. Wir alle suchen nach Wegen, um Fachkräfte für die schönste Branche der Welt zu gewinnen, sie zu halten. Die junge Generation ist unsere zentrale und nicht ersetzbare Ressource und spricht die richtige Sprache. So lag es für mich auf der Hand, die großartigen und engagierten dualen Tourismus-Studierenden der HWR Berlin in die wissenschaftliche Studie einzubinden, aus der dieses Buch hervorgegangen ist.
LEADERSNET: Wie haben die Studierenden reagiert, also Sie ihnen antrugen, Co-Autor:innen zu werden?
Rochnowski: Die Studierenden haben die Idee mit dem Buch, die letzten Sommer entstand, äußerst positiv aufgefasst. Die Inhalte sind aus zahlreichen Gesprächen mit Branchenvertreter:innen im Gastgewerbe entstanden. Diese habe ich zur Ausarbeitung an meine Studierenden weitergegeben. Ihre Perspektive auf die Sichtweise und Lösungsansätze zur Fachkräftesicherung haben mich zum Teil überrascht, aber vor allem die Begeisterung, welche sie für dieses Projekt und die Ausarbeitung ihrer Beiträge mitbringen, fand ich großartig. Und als wir die Zusage vom Verlag für die Farbe Pink für das Buchcover erhalten habe, ist sozusagen eine "Pink Power" und damit ein toller Teamspirit entstanden. Unser Dank gilt an dieser Stelle auch dem Busche Verlagshaus in Dortmund, vertreten durch den Geschäftsführer Johannes Großpietsch, der dieses Werk gemeinsam mit mir und den Studierenden erst ermöglicht hat und umsetzt.
LEADERSNET: Im Titel kommt Resilienz vor – ein häufig verwendeter Begriff und dennoch bleibt er oft abstrakt. Was bedeutet das konkret bezogen auf die Fachkräftesicherung im Gastgewerbe?
Rochnowski: "Nichts ist so beständig wie der Wandel", sagte schon Heraklit von Ephesus (535 bis 475 v. Chr..) Resilienz ist für mich die empathische und zentrale Führungseigenschaft in der modernen VUCA-Welt (VUCA steht für Volatility/Volatilität, Uncertainty/Unsicherheit, Complexity/Komplexität und Ambiguity/Mehrdeutigkeit – Anm. d. Red.). Sie ist essenziell, um Herausforderungen anzunehmen und Veränderungen zukunftsweisend vorauszudenken und als Führungskraft weitreichende Entscheidungen im unternehmerischen Kontext zu treffen. Tourismus und Hotellerie erfordern zeitgemäße Lösungen und Konzepte für eine Führungskultur im Einklang von Wertschätzung, Förderung, Flexibilität und Offenheit gegenüber den Bedürfnissen der neuen Generation sowie nachhaltiges Wachstum.
LEADERSNET: Das scheint in der Branche bisher noch nicht angekommen zu sein?
Rochnowski: Der Fachkräftemangel und Rückgang an Ausbildungszahlen im Gastgewerbe sind nicht erst seit der Corona-Pandemie eine Herausforderung für die Branche. Die Corona-Pandemie hat dies nur verstärkt und gezeigt, dass die Tourismus- und Hotelbranche nicht systemrelevant ist. Das hat dazu geführt, dass viele Arbeitskräfte abwanderten und die Ausbildungszahlen noch weiter sanken. Seit Jahren haben sich Fehler ins System eingeschlichen, die jetzt verstärkt zum Tragen kommen.
LEADERSNET: Woran machen Sie das fest?
Rochnowski: Wir sprechen beispielsweise schon von einem Mitarbeiter:innen-, statt Fachkräftemangel. Vielfältigen Studien haben gezeigt, dass es längst nicht nur um zentrale Punkte wie Arbeitsbedingungen oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, sondern dass häufig das "Erwartungsmanagement" nicht erfüllt wird. Im Vorstellungsgespräch zugesagte Bedingungen, Projekte oder Entfaltungsmöglichkeiten werden sukzessive nicht eingehalten und führt zur Demotivation. Hinzu kommen oft Fehler in der Führungskultur aufgrund des Wertewandels, verbunden mit einem starren Mindset.
LEADERSNET: Welche Wege gibt es raus aus der Personalkrise, welche Ressourcen müssen mobilisiert werden?
Rochnowski: Es ist ein großer Kraftakt, Prozesse, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken, anzugehen. Hierfür sind politische Rahmenbedingungen, auch durch die Zusammenarbeit von Verbänden, erforderlich, um eine positive Außenwirkung der Branche zu erzeugen. Zentral aus meiner Perspektive ist, dass jeder Betrieb bei sich selbst anfangen muss, Veränderungen umzusetzen und Prozesse aktiv zu gestalten. Ich kenne viele vorbildliche Arbeitgeber, die durch die Unternehmenskultur eine "Wohlfühlatmosphäre für Mitarbeiter:innen" geschaffen haben, so dass seit Jahren Fachkräftemangel für sie kein Thema ist.
LEADERSNET: Welche Bereiche umfasst das Gastgewerbe eigentlich? Welchen Stellenwert hat die Branche für die deutsche Volkswirtschaft?
Rochnowski: Laut Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft ist die Tourismusbranche mit rund 2,8 Millionen Beschäftigten in Deutschland ein zentraler Wirtschaftszweig. Hinzu kommen 1,3 Millionen Personen, die Vorleistungen für die Erzeugung touristischer Waren und Dienstleistungen herstellen. Damit sind rund neun Prozent aller Beschäftigten in Deutschland direkt oder indirekt für den Tourismus tätig, das ist jeder 15. Arbeitsplatz. Aus einem Bericht des Statistischen Bundesamts geht hervor, dass der Tourismus in Deutschland im Jahr 2019, also dem letzten vor der Corona-Krise,124 Milliarden Euro und damit vier Prozent der Wertschöpfung Deutschlands erwirtschaftet hat.
LEADERSNET: Wie kann dieser Bedeutung Rechnung getragen werden?
Rochnowski: Der Tourismus und das Gastgewerbe in Deutschland ist meiner Ansicht nach eine Zukunftsbranche. Reisen ist ein Grundbedürfnis von Menschen. Wir müssen gemeinsam mit Politik und Tourismusakteuren am Branchenimage arbeiten, das heißt, Faktoren wie Arbeitsbedingungen oder Ausbildungsinhalte zeitgemäß aufstellen und vor allem die Erwartungshaltung und Bedürfnisse durch den Wertewandel der Nachwuchsgeneration ernst nehmen. Führungskultur muss sich einem tiefgehenden Wandel im Tourismus und Gastgewerbe unterziehen.
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