"In China kann man mit seinem 'Pokerface' bezahlen"

In einem Forschungsprojekt untersucht Sven Cravotta von der SRH Hochschule Heidelberg, wie sich die europäischen von den asiatischen Märkten unterscheiden.

Bezahlen mit Bargeld? In China unvorstellbar. Welche weiteren Unterschiede es beim Einkaufsverhalten insbesondere zwischen China und Deutschland gibt, warum dies so ist und wo unsere Zukunft hinführt, berichtet Sven Cravotta, Wirtschaftsprofessor an der School of Engineering and Architecture und Standortleiter zweier Kooperationsuniversitäten Chinas der SRH Hochschule Heidelberg, im Interview.

LEADERSNET: Herr Prof. Cravotta, als "China-Kenner" beschäftigen Sie sich intensiv mit dem Thema Digitalisierung im deutschen und chinesischen Einzelhandel. In Ihrem Forschungsprojekt arbeiten Sie auch mit chinesischen Studierenden gemeinsam. Was sagen denn chinesische Bürgerinnen und Bürger zum Einkaufen in Deutschland? Was sind deren Erfahrungen?

Cravotta: Vorweg möchte ich anmerken, dass wir derzeit eine quantitative und qualitative Studie durchführen, wie sich das Einkaufsverhalten in Deutschland und China unterscheidet. Dabei fließen sowohl Expertengespräche als auch individuelle Erfahrungen ein. In der quantitativen Studie haben wir bislang 45 Chinesen in Deutschland befragt, wie sie das Einkaufen hierzulande erleben. Einige von ihnen konnten wir auch interviewen. Die chinesischen Bürgerinnen und Bürger berichten, dass sie hierzulande noch keinen großen Digitalisierungstrend sehen. Einige Neuankömmlinge waren auch erschrocken, als sie nach dem Essen im Restaurant bar bezahlen sollten – sie hatten schlichtweg kein Bargeld dabei und mussten sich etwas leihen. In China ist dies unvorstellbar, hier führt kaum mehr jemand "Cash" mit sich.

LEADERSNET: Welche weiteren Unterschiede zwischen den Handelsmärkten in Europa und Asien deckt das Forschungsprojekt auf?

Cravotta: Was nicht überraschend war: Das Einkaufen in China ist generell digitaler. Die Menschen haben auch mehr Freude daran, Neues auszuprobieren. Während bei uns beispielsweise kassenlose Geschäfte mit einem vollautomatischen Check-out-Prozess noch in den Kinderschuhen stecken oder Gesichtserkennung als Registrierfunktion nicht erlaubt ist, sind sie in China gang und gäbe: Hier kann man mit seinem "Pokerface" bezahlen. Dahinter steckt eine automatische intelligente Bilderkennung, die KI-basiert ist. Spracherkennung ist eine weitere Funktion, die in Asien schon gut funktioniert: Ein Sprachassistent kommuniziert mit den Kunden und lotst sie auch zum passenden Produkt.

Zudem sieht man sich in China als "gläserner Kunde" nicht so kritisch, sodass die digitalen Möglichkeiten eine größere Akzeptanz haben. Ich will das gar nicht bewerten, denn die rechtlichen Einschränkungen durch die DGSVO und andere Regularitäten haben durchaus auch ihren Sinn. Aber so stehen wir bei uns erst am Anfang einer digitalisierten Einkaufswelt.

LEADERSNET: Welche Vorteile haben denn die digitalen Möglichkeiten in der Shoppingwelt und wo sind die Grenzen?

Cravotta: Zum Beispiel durch Einsatz von Big-Data-Systeme – und damit das Sammeln von allen möglichen Kundendaten – lassen sich gezielte Vorhersagen über Kundenverhalten treffen und damit das Angebot kundenspezifisch ausrichten. Demzufolge erhält der Kunde nur noch die Informationen, die er braucht – kein Suchen und kein Anstehen mehr. Der Kaufprozess ist damit schnell erledigt und die Kunden zufrieden.

Grenzen im deutschen Handel liegen einerseits wiederum in den rechtlichen Grundlagen mit der DSGVO. Auf der anderen Seite ist das Akzeptanzempfinden für manche digitale Technologien noch nicht vorhanden. Denken Sie beispielsweise ans Bezahlen von Produkten. Die deutschen Bürgerinnen und Bürger führen überwiegend noch Bargeld mit. In Deutschland kauft man noch traditioneller ein als etwa in China. Lebensmittel möchte man ungern online besorgen, weil man selbst die Produkte auswählen und noch anfassen möchte. Auch wenn in Deutschland der Online-Handel zugenommen hat, werden die deutschen Kunden immer noch gerne zum Einkaufen auf die Straße gehen. Grund hierfür ist auch der soziale Faktor, sich mit Freunden und Nachbarn zu treffen. In China findet das Einkaufen nach meiner Annahme zweckgebundener statt.

LEADERSNET: Inwiefern hat die Corona-Pandemie unser Einkaufsverhalten beeinflusst? Wo stehen wir heute?

Cravotta: Die Chinesen waren bereits schon vor der Pandemie digital unterwegs, Lieferservice und Online-Handel sind hier schon längst etabliert, ehe die Pandemie kam. Anders sah es bei uns in Deutschland aus. Wir wurden da teilweise überrascht und mussten hier umdenken. Gezwungenermaßen brachte das einen Schub mit sich, sodass der deutsche Handel jetzt verstärkter auf digitale Technologien setzt. So wurden in den letzten zwei Jahren neue digitale Konzepte entwickelt, wie zum Beispiel "Scan & Go", also mit dem Handy Produkte scannen und kassenlos bezahlen. Parallel wurden der Online-Handel und Lieferservice-Dienste ausgebaut. Der Online-Handel wird zwar den stationären nicht ablösen, aber auch beim Einkaufen vor Ort sind digitale Technologien gefragt. Neuerdings gibt es erste Pilotprojekte kassenloser Einkaufsläden mit einem vollautomatischen Check-Out. Wir befinden uns also nun in der Sensibilisierungsphase für ein digitaleres Einkaufserleben.

www.srh.de

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