Deutsche Unternehmen haben derzeit wenig Grund für Optimismus – das bestätigen auch die ersten Ergebnisse des im September erhobenen "CFO Survey", die ein betrübliches Bild zeichnen: Die 124 befragten Finanzvorständen deutscher Großunternehmen sehen einen weiteren starken Rückgang ihrer Geschäftsaussichten, kaum einer der abgefragten Parameter gibt Anlass zu kurzfristiger Hoffnung.
"Die aktuelle Liste der Krisen, mit denen Unternehmen derzeit kämpfen, ist so lang wie wahrscheinlich nie zuvor", sagt Dr. Alexander Börsch, Chefökonom und Leiter Research bei Deloitte: "Der Ukraine-Krieg und die exorbitant gestiegenen Energiepreise, die hohe Inflation, die wirtschaftliche Schwäche in China und den USA sowie die Kehrtwende in der Geldpolitik – die schlechte Stimmung unter deutschen CFOs kann nicht verwundern. Statt des zu Jahresbeginn erwarteten Aufschwungs mussten die Konjunkturprognosen kontinuierlich herabgesetzt werden und der Abschwung ist jetzt bei den Unternehmen angekommen."
Deutlicher Stimmungsumschwung
Bereits der vorangegangene "CFO Survey" im Frühjahr 2022 konstatierte infolge des Ukraine-Kriegs einen deutlichen Stimmungsumschwung, der sich nun in einen ebenso deutlichen Abschwung gewandelt hat. Alle abgefragten Parameter haben sich demzufolge verschlechtert, seien es Konjunktur- und Geschäftsaussichten, Inflationserwartungen oder operative Margen.
Infolgedessen sind auch die Investitions- und Beschäftigungsabsichten ins Minus gesunken und haben bei der Mehrheit der Befragten die strategische Priorisierung für Kostensenkungen wesentlich erhöht. Die wahrgenommene ökonomische Unsicherheit ist auf einen Höchststand seit Beginn des "CFO Survey" im Jahr 2012 gestiegen. Dazu tragen neben den geopolitischen Risiken vor allem Faktoren wie die zunehmenden Energie- und Lohnkosten sowie der anhaltende Fachkräftemangel bei.
Geschäfts- und Konjunkturerwartungen im Sinkflug
Diese Trends deuteten sich im Wesentlichen schon vor einem halben Jahr an – mit dem Unterschied, dass inzwischen mehrheitlich nicht mehr nur die wirtschaftlichen Aussichten, sondern auch die wirtschaftliche Lage in Deutschland und in der Eurozone überwiegend negativ beurteilt wird. Letztere hält mehr als die Hälfte der Befragten für schlecht oder sehr schlecht, während bei den ökonomischen Aussichten über zwei Drittel der Finanzvorstände eine Verschlechterung erwarten. Deutlich positiver sehen die CFOs beide Werte für die USA und China.
Hierzulande besonders pessimistisch hinsichtlich der eigenen Geschäftsaussichten sind indes die Chemiebranche, die Immobilienwirtschaft und die Autoindustrie, während sich die Konsumgüterindustrie hier zumindest im Vergleich noch relativ optimistisch zeigt.
Weiterhin hohe Inflationserwartungen
Die CFOs rechnen nicht mit einem schnellen Abflauen der hohen Inflation und sehen für 2023 eine Teuerungsrate von 7,1 Prozent, geringer als von vielen Wirtschaftsinstituten prognostiziert. Dafür sind die CFOs pessimistischer hinsichtlich der Dauer der Teuerung: So gehen die meisten Konjunkturforscher von einem deutlichen Inflationsrückgang im Jahr 2024 in Richtung zwei Prozent aus – die CFOs hingegen erwarten für das übernächste Jahr immer noch 4,8 Prozent Inflation. Das läge mehr als doppelt so hoch wie das EZB-Ziel. Für die Eurozone erwarten die CFOs Inflationsraten von 7,5 Prozent für 2023 und 5,2 Prozent für 2024.
Teil dieser erwarteten Entwicklung sind Lohn- und Gehaltssteigerungen. Große wie auch mittelgroße Unternehmen sehen eine Steigerung der Löhne und Gehälter in ihrem eigenen Unternehmen um 5,4 Prozent in den nächsten zwölf Monaten, in der Chemieindustrie sogar um 6,3 Prozent.
Rückgang bei Investitionen und Beschäftigungsabsichten
Die Investitions- und Beschäftigungspläne lagen im vergangenen Herbst nahe an ihren Höchstständen und fielen im Frühjahr 2022 stark – jetzt liegen beide Indikatoren im negativen Bereich, der für Beschäftigung allerdings nur knapp. Das heißt, die Unternehmen agieren sehr viel vorsichtiger. Angesichts steigender Kosten durch Inflation, Energiepreise und Lohnkosten bewerten die CFOs vor allem den Ausblick für ihre operativen Margen sehr negativ.
Die geringste Investitionsbereitschaft besteht dabei in der Autoindustrie und im Maschinenbau, so der "CFO Survey". Damit ändern sich auch die strategischen Prioritäten der Unternehmen – offensiv ausgerichtete Strategien treten in den Hintergrund, Kostensenkungen haben nun klare Priorität. Dennoch halten die CFOs Innovation in Form von neuen Produkten und Dienstleistungen für weiterhin durchaus wichtig.
Risiken haben sich verlagert
Der Ukraine-Krieg hatte im Frühjahr geopolitische Risiken an die Spitze des Rankings katapultiert. Aktuell sind es die steigenden Energiekosten, die die CFOs als wichtigsten Risikofaktoren für das eigene Unternehmen in den nächsten zwölf Monaten sehen, gefolgt von steigenden Lohnkosten, Fachkräftemangel und geopolitischen Risiken. Das Risiko einer schwächeren Inlandsnachfrage hat stark zugenommen, wohingegen die Gefahr steigender Rohstoffkosten im Vergleich zum Frühjahr deutlich sank.
Ein hohes Risiko bedeuten die steigenden Energiekosten vor allem für die Sektoren Automobil, Chemie, Gesundheitswesen und Pharma, während der Fachkräftemangel besonders der Automobilindustrie, dem Bauwesen, dem Gesundheitssektor sowie der Transport- und Logistikindustrie zu schaffen macht. Die gefühlte Unsicherheit im ökonomischen Umfeld ist immens und hat aktuell zu einem neuen Rekordniveau in der zehnjährigen Geschichte des CFO Survey: 85 Prozent der Unternehmen schätzen mittlerweile die Unsicherheit als hoch oder sehr hoch ein.
"Insgesamt zeigen die Ergebnisse des 'CFO Survey Herbst 2022', dass die schlechten Aussichten aus dem Frühjahr mittlerweile bei den Unternehmen angekommen sind", sagt Börsch. "Der Stimmungsabschwung setzt sich weiter fort und nähert sich bei wichtigen Indikatoren den historischen Tiefstständen in der zehnjährigen Geschichte des Survey. Dies passt zum neuen konjunkturellen Umfeld in Deutschland, in dem eine Rezession ab dem vierten Quartal bis zum Frühjahr 2023 das wahrscheinlichste Szenario ist. Allerdings gibt es konjunkturell auch einige stabilisierende Faktoren, wie den hohen Auftragsbestand in der Industrie und den nach wie vor sehr stabilen Arbeitsmarkt. Das Winterhalbjahr wird in jedem Fall eine Herausforderung für die deutsche Wirtschaft, bevor dann hoffentlich ab dem Frühjahr 2023 die Wachstumskräfte wieder einsetzen."
www.deloitte.de
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