Mit DeepSeek bewundert die Tech-Branche dieser Tage den ersten großen Senkrechtstarter des Jahres. Über die vergangenen Weihnachtstage hat das chinesische Startup das KI-Modell DeepSeek-V3 veröffentlicht, das keine sechs Millionen US-Dollar gekostet haben soll und nichtsdestotrotz in der Lage ist, mit etablierten und vielfach teureren Modellen wie GPT-4o (OpenAI) oder Claude 3.5 (Anthropic) mindestens mitzuhalten.
Während sich interessierte Fachleute in den ersten Januarwochen mit DeepSeek-V3 vertraut gemacht haben, werkelte das Unternehmen selbst eifrig am Release des Reasoning-Modells und Chatbots R1.
Dieser erfolgte in der letzten Woche und brachte das Vertrauen zahlreicher Investoren in die aktuellen KI-Marktführer endgültig ins Wanken: Einem auf Open Source setzenden Startup aus China ist es gelungen, ein riesiges Fragezeichen hinter den kostspieligen Ressourcenhunger von KI-Entwicklung zu setzen.
Nvidia: Erst Rekordverlust, dann Milliarden-Comeback
Zwar kommen auch bei DeepSeek die industrieweit bewährten Grafikchips von Nvidia zum Einsatz, für das US-amerikanische Unternehmen stellte der chinesische Erfolg dennoch einen rabenschwarzen Tag dar: Der Aktienkurs fiel am Montagmorgen um etwa 17 Prozent und kostete Nvidia ungefähr 589 Milliarden US-Dollar an Marktkapitalisierung - der bisher größte singuläre Tagesverlust in der Geschichte der Wall Street. Auch Branchenkollegen wie Broadcom, Oracle oder AMD mussten empfindlich Federn lassen.
Obwohl Nvidia bereits am darauffolgenden Dienstag ein beachtliches Comeback gelang und ein Plus von 8,8 Prozent eine Marktkapitalisierung von etwa 260 Milliarden Dollar zurückbrachte, bleibt eine gerade an der Börse unbeliebte Unsicherheit: In welchem Umfang sind die Dienste von Nvidia in Zukunft wirklich noch notwendig, wenn mitunter effizientere Lösungen offenbar auch mit einem Bruchteil der Mittel realisiert werden können?
Liang Wenfeng: Der Mann hinter DeepSeek
In Zhanjiang, einer Küstenstadt im Südwesten der Provinz Guangdong in China, kommt Liang Wenfeng 1985 zur Welt. Später erwirbt er einen Bachelor-Abschluss in Elektronischer Informationstechnik und einen Master-Abschluss in Informations- und Kommunikationstechnik an der renommierten Zhejiang-Universität.
Nachdem er sich schon um 2013 an dem Zusammenspiel von Trading und Künstlicher Intelligenz versucht, gründet er wenig später gemeinsam mit zwei ehemaligen Klassenkameraden den quantitativen Hedgefonds High-Flyer, bei dem die Investmententscheidungen mithilfe eines KI-Algorithmus getroffen werden.
Dank Finanzierung durch High-Flyer kann Wenfeng im Frühling 2023 schließlich DeepSeek ins Leben rufen. Der Hedgefonds organisiert außerdem 10.000 Nvidia A100 GPUs, kurz bevor US-amerikanische Limitierungen hinsichtlich der Abgabe von Grafikchips nach China in Kraft treten.
Ein detailliertes Persönlichkeitsprofil hat Liang Wenfeng in westlichen Gefilden bisher nicht unbedingt geschärft – es wirkt jedoch nur allzu wahrscheinlich, dass man künftig regelmäßig von ihm und DeepSeek hört.
Wenfeng will "Wachstum des Ökosystems vorantreiben"
Mit besagtem KI-Startup möchte Wenfeng speziell im Bereich der AGI (Artificial General Intelligence) Zeichen setzen. Dem Gründer zufolge sei es "im Moment am wichtigsten, an der globalen Innovation teilzuhaben."
In einem Interview aus dem Juli 2024 erklärte er The China Academy: "Seit Jahren haben sich chinesische Unternehmen daran gewöhnt, technologische Innovationen, die anderswo entwickelt wurden, zu nutzen und sie durch Apps zu Geld zu machen. Aber das ist nicht nachhaltig."
Es gehe nicht um "schnelle Gewinne, sondern darum, die technologischen Grenzen zu überwinden, um das Wachstum des Ökosystems voranzutreiben". Wenfeng weiter: "Drei Jahrzehnte lang haben wir den Profit über die Innovation gestellt. Innovation ist nicht rein geschäftsgetrieben, sie erfordert Neugier und kreativen Ehrgeiz. Wir sind von alten Gewohnheiten gefesselt, aber das ist nur eine Phase."
"Eine Ehre, etwas zurückzugeben": DeepSeek bleibt Open Source treu
Im Interview erläutert Liang Wenfeng ferner, dass Geld nie die große Herausforderung für DeepSeek gewesen sei – sehr wohl jedoch das Embargo auf Hochleistungschips sowie das "fehlende Selbstvertrauen und die Fähigkeit, hochkarätige Talente für eine effektive Innovation" ranzuholen.
Gleich mehrfach geht der Gründer auf die Bedeutung des passenden Personals ein, die er auch mit dem Festhalten am Open-Source-Modell verknüpft: "Unser wirklicher Vorteil liegt im Wachstum unseres Teams, das Know-how anhäuft und eine innovative Kultur pflegt. Open Source führt nicht zu erheblichen Verlusten. Für Technologen lohnt es sich, wenn man ihnen folgt. Open Source ist kulturell, nicht nur kommerziell. Es ist eine Ehre, etwas zurückzugeben - und es zieht Talente an."
Im Fokus steht für Wenfeng demnach, "ob etwas die gesellschaftliche Effizienz steigert und ob wir unsere Stärke in der industriellen Wertschöpfungskette finden können. Solange das Endziel die Effizienz steigert, ist es legitim. Viele Aspekte sind nur vorübergehende Phasen - wenn man sich zu sehr auf sie konzentriert, führt das nur zu Verwirrung."
China im KI-Wettrennen: "Einige Erkundungen sind unvermeidlich"
Liang Wenfeng glaubt, dass die bisherige Dominanz von Nvidia nicht allein auf die Verdienste des US-amerikanischen Unternehmens zurückgeht, sondern auch "der Zusammenarbeit westlicher Technologie-Ökosysteme bei der Erstellung von Roadmaps für die Technologie der nächsten Generation" geschuldet ist.
Er bekräftigt: "China braucht ähnliche Ökosysteme. Viele einheimische Chips scheitern, weil es ihnen an unterstützenden Tech-Communities fehlt und sie sich auf Erkenntnisse aus zweiter Hand verlassen. Jemand muss die Grenze überschreiten."
Auch hinsichtlich der Rolle seines Heimatlandes im globalen KI-Wettrennen hat Wenfeng eine klare Vorstellung: "Wir glauben, dass Chinas KI nicht ewig ein Mitläufer bleiben kann. Wir sagen oft, dass zwischen chinesischer und amerikanischer KI eine Kluft von ein oder zwei Jahren besteht, aber die wirkliche Kluft liegt zwischen Originalität und Nachahmung. Wenn sich dies nicht ändert, wird China immer ein Mitläufer bleiben. Einige Erkundungen sind unvermeidlich."
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