Sowohl ARD als auch ZDF übertrugen das TV-Duell zur besten Sendezeit um 20:15 Uhr; als Moderatorinnen traten Sandra Maischberger (ARD) und Maybrit Illner (ZDF) in Erscheinung. Wie die Bild-Zeitung im Vorfeld berichtete, haben sich sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz als auch Unions-Kandidat Friedrich Merz am frühen Sonntag mit Spaziergängen um einen freien Kopf bemüht.
In den Tagen vorher dürften sie sich aller Üblichkeit nach mit Doubles ihres jeweiligen Gegners auf den verbalen Schlagabtausch vorbereitet haben. Zuschauer sind im TV-Studio in Berlin-Adlershof nicht anwesend – womöglich, um Randdebatten wie zur einseitig empfundenen Besetzung des "Schlagabtausch"-Publikums vor einigen Tagen von vornherein auszuschließen.
Momente aus dem Duell
Uneinigkeit direkt zu Beginn: Friedrich Merz betont mehrfach, "auch an diejenigen, die sich das vielleicht wünschen", dass es eine Koalition oder Zusammenarbeit mit der AfD unter ihm nicht gibt. In Fragen rund um Europa, Euro, Nato oder Russland würden die Parteien inhaltlich Welten trennen. Olaf Scholz bleibt dabei, dass er den Aussagen von Merz diesbezüglich nicht vertraut.
Maybritt Illner konfrontiert den Kanzler daraufhin damit, dass der Wahlkampf der SPD zulasten des Inhaltlichen besonders auf die Warnung vor politischen Tabubrüchen setzt. Scholz hebt seine Verdienste in Sachen Abschiebungen (laut ihm um 70 Prozent gestiegen) und Grenzkontrollen hervor; es habe noch nie härtere Migrationsgesetzte gegeben. Merz entgegnet in Anbetracht von deutlich mehr Zuziehenden als Abgeschobenen, dass nichtsdestotrotz umfassendere Maßnahmen notwendig sind.
Zurückweisung an den Grenzen wird zum verbissen diskutierten Punkt. Merz wirft Scholz Unklarheit in seinen Aussagen vor und betont, dass es nicht einmal Konsens zwischen SPD und Grünen gebe. Scholz wiederum kritisiert, dass deutsche Alleingänge unter Merz entgegen europäischer Gesetze bisherige Errungenschaften zunichtemachen würden und Einheit mit Blick auf mögliche US-Zölle umso wichtiger sei.
"Warum soll man so doof sein?", fragt der Kanzler wütend, während Merz seinem Konkurrenten das Leben in einem "Märchenschloss"und "Wunschdenken" unterstellt.
Realitätsverweigerung ist auch Merz‘ Diagnose, als die Debatte in Richtung Wirtschaft wechselt und Scholz zunächst positive Kennzahlen seiner Legislaturperiode aufzählt.
Der CDU-Kandidat hält die derzeitigen wirtschaftlichen Krisenherde dagegen und ist verblüfft, wie man angesichts von 300.000 verlorenen Arbeitsplätzen in der Industrie eine Deindustrialisierung nicht erkennen können. "Ich bin erschüttert, mit welcher Wahrnehmung Sie den Zustand unserer Wirtschaft beschreiben“, berichtet Merz.
"Ich habe die Ukraine nicht überfallen"
… sagt Scholz als Erklärung für die missliche Wirtschaftslage, die auch mit der dadurch entstandenen Energieknappheit verknüpft ist. Merz moniert, dass sich Scholz ausgerechnet in dieser Situation für das Aus von drei "sauber laufenden" Atomkraftwerken entschieden habe.
In einem Satzvervollständigungsspiel bezeichnet Scholz die vermeintlichen Pläne von Donald Trump zur Neugestaltung des Gaza-Streifens als "Skandal", während Merz zu bedenken gibt, dass man abwarten solle, was davon letztlich in der Realität lande. Vermutlich sei "viel Rhetorik" im Spiel.
Die Entscheidung der USA, fortan wieder lediglich zwei Geschlechter anzuerkennen, kann Merz "nachvollziehen", während Scholz ein Plädoyer für Selbstbestimmung hält. Ein Bundestag ohne die FDP wäre für beide "ärmer, aber lebensfähig".
Zwischenzeitlich geht es um Mindestlohn, Kindergeld, Bürgergeld oder Krankenkassenbeiträge. Zur Entlastung von Beitragszahlern beschreibt Scholz ein angedachtes System, das (unter anderem) Friedrich Merz offenkundig nicht sofort durchblickt.
Führt Reichensteuer zur Zerstörung des Mittelstands?
Weiterhin spricht sich Scholz für eine Steuersenkung zugunsten eines Großteils der Bevölkerung aus, während Gutverdiener höher besteuert (zwei Prozent) werden sollten – durch die für ersteres notwendige Kompensation würde laut Merz jedoch der Mittelstand zerstört. Diesen definieren beide Kandidaten einkommenstechnisch offenbar nicht gleich.
Eine weiteres Satzvervollständigungsspiel verrät: Scholz will an der Mietpreisbremse festhalten, Merz möchte sie nach ihrem baldigen Ablauf zunächst genauer beobachten und zeigt sich skeptisch, ob sie unterm Strich einen positiven Zweck erfüllt. Das Gendern in Behörden möchte Merz unterbinden und verweist auf den Rat für deutsche Rechtschreibung, während Scholz vorschlägt, dass es "alle so machen, wie sie wollen".
Nicht konkret darauf eingehen will der Kanzler dagegen, ob Trump ein schnelles Kriegsende in der Ukraine fördern könnte, er wünscht sich aber einen baldigen Frieden. Merz bemerkt, dass man der Ukraine früher und intensiver hätte helfen können, um diesen Krieg eher zu beenden. Ohne die USA sei eine Lösung nicht möglich, es dürfe aber auch nicht über die Köpfe der Ukraine hinweg entschieden werden. Scholz fordert, dass die Vereinigten Staaten auch Wladimir Putin gegenüber weiterhin ihre Unterstützung der Ukraine signalisieren müsse.
Es gehe Scholz nicht primär um eine NATO-Mitgliedschaft für die Nation, sondern darum, dass sie nicht noch einmal überfallen werde. Merz macht sich "keine Illusionen" und erwartet auch in den nächsten Jahren ein aggressives Russland; in puncto NATO sieht er die Ukraine nach Ende des Krieges "in der mittleren Perspektive" als Mitglied.
"Klare Worte und freundliche Gespräche" sollen Scholz‘ Taktik zur transatlantischen Partnerschaft sein, wobei er betont, wie ernst er Trumps Aussagen zu verschiedensten Themen nimmt. Merz spricht sich ebenfalls für "klare Gespräche auf Augenhöhe" aus. "Wir dürfen uns nicht kleiner machen, als wir sind", argumentiert er. Dem Kanzler zufolge könnte man auf Strafzölle der USA innerhalb von einer Stunde reagieren.
Sparen und Wachstum: Scholz findet Merz-Pläne lächerlich
Giftiger wird es noch einmal, als es um Deutschlands eigenen NATO-Beitrag geht. Beide stimmen überein, dass mindestens zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung entsprechend investiert werden sollten, die Pläne von Merz – Wirtschaftswachstum und Sparmaßnahmen, etwa beim aufgeblähten Kanzleramt – bezeichnet Scholz allerdings als "Lächerlichkeit" und legt Merz zur Last, den Wählern etwas vorzumachen. Eine Reform der Schuldenbremse sei erforderlich, die der CDU-Kandidat für die Zukunft zumindest nicht grundsätzlich ablehnt.
Mit ihren Schlussätzen vermitteln die beiden, dass sie "einen Plan für dieses Land" haben (Merz) beziehungsweise, dass Stabilität "nur mit einer Stimme für die SPD" möglich sei (Scholz).
Erste Reaktionen auf das TV-Duell
Unmittelbar nach dem verbalen Kräftemessen lässt sich wohl festhalten: Das erste TV-Duell zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz ist über die Bühne gegangen, ohne dass einer der Kandidaten durch bestimmte Aussagen oder Angriffe nennenswert überrascht hätte. Dementsprechend scheint es unwahrscheinlich, dass ein überzeugter SPD-Anhänger nun mit dem Kreuz bei der CDU liebäugelt oder es andersrum der Fall wäre.
Diverse Polit-Vertreter haben ihre ersten Einschätzung zeitig online geteilt. Ex-Finanzminister Christian Lindner zum Beispiel wittert bei der Moderation eine gewisse "Schlagseite" in Richtung Scholz:
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kennt einen klaren Sieger und hat die passende Grafik gleich zur Hand:
Auch Parteikollege und Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn unterstützt Merz:
Dass sich Merz für seine Verhältnisse recht diplomatisch zur Schuldenbremse geäußert hat, ist den Grünen nicht genug:
Johannes Vogel, stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP, erinnert daran, welche Bedeutung seine Partei bei der Wahl einnehmen könnte:
Zufrieden teilt Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erste Ergebnisse einer Umfrage, die das ZDF zur Verfügung gestellt hat:
Kommentar veröffentlichen