Social Media-Experte erläutert
TikTok vor Verbot: Konsequenzen und Chancen für Europa

| Redaktion 
| 13.01.2025

Die Deadline läuft ab: Im letzten Frühling hat die Biden-Administration bestimmt, dass das chinesische Unternehmen ByteDance bis Ende dieser Woche einen US-amerikanischen Käufer für seine global beliebte Social-Media-Plattform TikTok finden muss. Andernfalls darf die App in den Vereinigten Staaten nicht mehr durch Apple und Google angeboten werden. Marlon Giglinger von Netzschreier hat sich näher mit den möglichen Folgen für europäische Nutzer und Unternehmen befasst.

Bis zum Sonntag, 19. Januar bleibt ByteDance noch, um die US-Geschäftsanteile von TikTok an einen amerikanischen Käufer zu veräußern. Längst hat das chinesische Unternehmen angekündigt, diesem im letzten April geäußerten "Wunsch" nicht nachzukommen; gleichzeitig sind rechtliche Widersprüche bislang erfolglos geblieben.

Damit scheint es nach aktuellem Stand wahrscheinlich, dass TikTok zum besagten Termin aus den digitalen Stores von Apple und Google verschwindet. Bei Zuwiderhandlung riskieren auch die Anbieter der App empfindliche Geldstrafen. Diese Maßnahme bezieht sich exklusiv auf die Vereinigten Staaten von Amerika; für europäische Nutzer und solche, die es werden wollen, ändert sich nichts – zumindest, was die ungehinderte Verfügbarkeit der Anwendung angeht.

TikTok weiterhin nutzbar, aber…

Auch in den USA werden bestehende User, rund 170 Millionen an der Zahl, nicht von heute auf morgen von TikTok verbannt. Allerdings wird mit der App selbst auch die Möglichkeit verschwinden, Updates dafür herunterzuladen – über kurz oder lang würden US-amerikanische Nutzer also mit einer veralteten Version zurückbleiben, was für Frustration und abwandernde TikToker sorgen dürfte.

"Tatsächlich käme es selbst bei einem erfolgreichen Verkauf des US-Geschäfts von TikTok zu Einbußen bei der Reichweite, sofern TikTok in den USA und Europa künftig von unterschiedlichen Unternehmen betrieben würde, die nicht miteinander kooperieren", bemerkt Marlon Giglinger, seines Zeichens Social-Media-Experte und Mitgründer der Influencer-Agentur Netzschreier.

Folgen für global werbende Marken

Einschneidende Veränderungen würde ein TikTok-Verbot für europäische Marken bedeuten, die die Plattform international zu Werbezwecken nutzen. Diese müssten "ihre Strategien grundlegend überdenken. Ein TikTok-Aus in den USA würde Budgets auf Alternativen wie Instagram oder YouTube umleiten. Gleichzeitig könnte dies eine Neuverteilung der globalen Aufmerksamkeit auf TikTok bedeuten, bei der europäische Märkte stärker in den Fokus rücken", so Giglinger.

"Für europäische Unternehmen mit lokalem Fokus könnten sich sogar Chancen ergeben", wirft er ein: "Die sinkende Reichweite von Creatorn durch ein US-Aus würde deren Werbewert mindern. Dies könnte die Preise für Kooperationen senken – ein Vorteil für europäische Marken, deren Zielmärkte ohnehin primär in Europa liegen."

Mehr kreativer Content vom alten Kontinent

Wie angedeutet stehen mit Instagram Reels, YouTube Shorts oder Snapchat Spotlight vorbildlich amerikanische Alternativen zur Verfügung, die nach einem US-Aus von TikTok nicht nur um dessen Werbekunden, sondern selbstverständlich auch dessen Nutzerschaft werben würde.

"Ein Blick nach Indien, wo TikTok seit 2020 verboten ist, zeigt, dass Nutzer und Creator schnell auf alternative Plattformen ausweichen, um ihre Reichweite aufrechtzuerhalten", erläutert Giglinger. "Auch in den USA haben sich viele erfolgreiche TikToker bereits strategisch aufgestellt: Sie werben aktiv für ihre Kanäle auf anderen Plattformen, um ihre Community nicht zu verlieren."

Gleichzeitig gibt er, bezogen auf sich eröffnende Chancen für Content Creator des alten Kontinents, zu bedenken: "Europäische Influencer wären stärker darauf angewiesen, originelle Inhalte zu entwickeln und lokale oder regionale Trends zu setzen. In einem weniger globalisierten Content-Umfeld könnten sich neue kreative Ansätze und Narrative entwickeln, die bislang im Schatten US-amerikanischer Trends standen."

Trumpfkarte Trump?

Nur einen Tag nach Ablauf der Deadline für ByteDance wird Donald J. Trump zum zweiten Mal als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Nachdem er sich während seiner ersten Amtszeit noch kritisch zu TikTok geäußert hat, sprach er sich letztes Jahr deutlich gegen ein Verbot aus und sagte, dass User der Plattform deshalb ihn wählen sollten.

Eine komplette Aufhebung des Gesetzes zum Verbot von TikTok dürfte schwierig werden, da es seinerzeit mit parteiübergreifender Unterstützung verabschiedet wurde. Denkbar ist allerdings, dass Trump das Verbot schlicht nicht durchsetzt und weder Google noch Apple strafrechtlich dafür verfolgt, die App weiter oder wieder in ihren Stores anzubieten. Insofern ist nicht auszuschließen, dass TikToks Verfügbarkeit in den USA lediglich eine kleine Winterpause eingeht.

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