Angesichts der Energiekrise rät Harald Müller, Geschäftsführer der Bonner Wirtschafts-Akademie (BWA), vor allem mittelständischen Industriebetrieben, sich frühzeitig auf eine mögliche Insolvenz vorzubereiten. "Wenn sie hinterher doch nicht notwendig ist, umso besser", sagt Müller. "Aber wenn sie doch unabwendbar ist und ein Unternehmen keine Vorbereitungen dafür getroffen hat, dann ist es umso schlimmer für alle Beteiligten."
Der Akademie-Chef appelliert an Unternehmensleitungen und Gewerkschaften, sich frühzeitig mit der Gefahr einer möglichen Insolvenz auseinanderzusetzen. "Insolvenz ist immer eine Liquiditätsfrage und wenn beispielsweise zahlreiche Stadtwerke darum bitten, unter einem Schutzschirm aufgenommen zu werden, dann ist das Loch im Cashflow absehbar", gibt Harald Müller zu bedenken. Bei Industriebetrieben verortet er neben exorbitanten Energiekosten unverhoffte Engpässe in der Lieferkette als Hauptrisiken für eine "Insolvenz über Nacht".
Unternehmensleitung und Betriebsräte sind gefordert
"Weder Firmenchefs noch Betriebsräte wollen gerne über die Gefahr einer Insolvenz sprechen, um den Eindruck zu vermeiden, sie würden das Ende herbeireden", berichtet Harald Müller über seine Erfahrungen aus Gesprächen mit beiden Seiten. "Das ist zwar menschlich verständlich, aber gleichzeitig fatal, falls es doch zum Äußersten kommt." Vor allem die Sekretäre der Gewerkschaften seien gut beraten, dieses Thema an die Betriebsräte in den Unternehmen heranzutragen, meint Müller. Es sei wenig sinnvoll, Tarife, Arbeits- und Umkleidezeiten oder Rauchpausen zu verhandeln, während sich in der betriebswirtschaftlichen Auswertung eines Unternehmens ein Liquiditätsengpass anbahne.
"Die Gewerkschafter sollten die möglichen Gefahren aus den Bilanzen lesen und die Unternehmensleitungen aktiv darauf ansprechen", rät Harald Müller. "Von gewerkschaftlicher Seite aus kann zwar in der Regel das operative Geschäft nicht zum Positiven gedreht werden. Aber es zeugt von einer hohen Verantwortung den Beschäftigten gegenüber, wenn frühzeitig Sanierungs- und Restrukturierungsberater hinzugezogen und erforderlichenfalls Transfergesellschaften etabliert werden."
Transfergesellschaften sind laut Müller kostenneutral und würden im Unterschied zur landläufigen Meinung keinesfalls die Abfindungen senken. Im Gegenzug würden sie den Beschäftigten im Fall der Fälle aber "eine Brücke in die Zukunft, die sie bei einer Insolvenz ihres Arbeitgebers dringend benötigen", bauen
"Cash-Pooling ist kein Allheilmittel"
In Gesprächen hat der BWA-Geschäftsführer zudem festgestellt, dass häufig sowohl auf Firmenleitungs- als auch auf Gewerkschaftsseite die mögliche Gefahr einer Insolvenz mit dem Argument des "Cash-Poolings" klein geredet werde. Gemeint ist damit, dass die deutsche Tochtergesellschaft eines Konzerns bei Cashflow-Problemen mit Frischgeld aus der Zentrale versorgt werden könnte.
"Doch in Wahrheit ist es in der Regel so, dass die deutsche Geschäftsführung im Fall der Fälle gar nicht an das Konzerngeld herankommt, weil es aus globaler Sicht wirtschaftlich besser ist, die hiesige Gesellschaft an die Wand fahren zu lassen, statt sie zu retten", warnt Harald Müller. "Wer von Cash-Pooling redet, muss seriöserweise zunächst einmal prüfen, ob die deutsche Geschäftsleitung überhaupt faktisch über die Macht verfügt, Konzerngeld für sich zu sichern. In den meisten Fällen ist Cash-Pooling keineswegs das Allheilmittel, als das es gerne hingestellt wird, um das unbeliebte Thema einer Insolvenz von der Tagesordnung zu nehmen."
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