"Unsere Materialien können Plastik ersetzen"

Die Traceless-Gründerinnen Johanna Baare und Anne Lamp erklären im LEADERSNET-Interview, wie sie mit einer Plastikalternative einen substanziellen, ökologischen Impact generieren, nicht in Konflikt mit der Nahrungsmittelproduktion geraten und am Markt konkurrenzfähig sein wollen.

Johanna Baare und Anne Lamp sind die Gründerinnen von Traceless Materials, einem Start-up, das es geschafft eine nachhaltige Alternative zu herkömmlichen Kunststoffen und Biokunststoffen zu entwickeln, die ganzheitlich kompostierbar ist und auch preislich mit Kunststoff mithalten kann. Diese durchaus bahnbrechende Erfindung hat auch dafür gesorgt, dass Traceless im aktuellen "Top 50 Start-ups"-Ranking der gleichnamigen Plattform den ersten Platz belegen (LEADERSNET berichtete) – übrigens als erstes Start-up das ein rein weibliches Gründungsteam hat.

LEADERSNET hat sich mit den beiden Gründerinnen über ihr aufstrebendes Unternehmen, den Erfolg beim Top 50 Start-ups"-Ranking, wie sie es schaffen preislich konkurrenzfähig zu Plastik und Co. zu bleiben, was bahnbrechend an ihrer Technologie ist und welche Pläne sie für Zukunft haben, unterhalten.

LEADERSNET: Traceless wurde im September 2020 gegründet. Nun haben Sie es auf Platz 1 der Deutschen Top 50 Start-ups geschafft. Was bedeutet das für Sie beide?

Johanna Baare: Wir sind wahnsinnig stolz, was wir in der kurzen Zeit erreicht haben. Das Thema, welches wir mit Traceless angehen, ist brandaktuell. Erst vor wenigen Wochen hat sich die UN in Nairobi auf einen Plan zur Bekämpfung der weltweiten Kunststoffverschmutzung geeinigt. Wir spüren, dass auf allen Seiten ein großer Handlungsdruck da ist, und eine Offenheit für neue Lösungen besteht – bei den Konsumentinnen und Konsumenten, den Herstellern, der Industrie, der Forschung und auf politischer Ebene.

Anne Lamp: Wir sind froh, dass das disruptive Potential von Traceless gesehen wird, unsere Technologie ist schließlich etwas ganz Neues. Die Arbeit mit natürlichen Polymeren – quasi den "Kunststoffen der Natur" – ist noch kaum verbreitet, und unser Team leistet in vieler Hinsicht Pionierarbeit. Die konventionelle Kunststoffindustrie hat einen Vorsprung von vielen Jahrzehnten, den wir nun im Bereich der Biomaterialien so schnell wie möglich aufholen müssen. Dieses Spannungsfeld aus riesengroßer Nachfrage und großer Herausforderung treibt uns an, und macht die Arbeit an Traceless wirklich jeden Tag spannend.

LEADERSNET: Damit ist auch erstmals ein ausschließlich von Frauen gegründetes Start-up auf Platz 1 gelistet. Was macht Ihre Zusammenarbeit so erfolgreich?

Lamp: Johanna und ich sind in unseren Erfahrungen und in unseren Fähigkeiten absolut komplementär, das heißt wir ergänzen uns gut: Als Verfahrenstechnikerin habe ich einen wissenschaftlichen und technischen Hintergrund, Johanna bringt die wirtschaftliche und strategische Expertise dazu. Wir haben uns 2019 über ein Social-Impact-Inkubator-Programm kennengelernt. Ich hatte zuvor lange Zeit in der Forschung verbracht, und an der Erfindung unserer Technologie gearbeitet. In unseren Gesprächen wurde schnell klar: Was hilft eine noch so geniale technische Lösung, wenn man sie nicht auf den Markt und damit in die Welt bringen kann? Mit dieser Erkenntnis haben wir beschlossen, Traceless gemeinsam zu gründen.

Baare: Und genau hier liegt auch der Aspekt, an dem unsere beiden Perspektiven zusammenkommen: Das Ziel, mit unseren Materialien wirklich einen substanziellen ökologischen Impact zu generieren, und die Idee von Anfang an groß zu denken, um ein wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen aufzubauen. Die Begeisterung für diese Vision, und der Optimismus, dass wir das schaffen können, verbindet uns. Und wir haben es zudem früh geschafft, ein vielfältiges und motiviertes Team um uns herum aufzubauen, in dem jede und jeder seine und ihre individuellen Fähigkeiten einbringt. Dass wir ein weibliches Gründungsteam sind, haben wir eigentlich selbst nicht als außergewöhnlich wahrgenommen - was zeigt, wie viel Arbeit für mehr Gleichberechtigung von den Generationen vor uns geleistet wurde. Darauf dürfen wir heute aufbauen. Studien zeigen, dass die Start-up-Welt in Sachen Gender Equality noch immer nicht am Ziel ist, gerade im technischen Sektor. Wir sind froh, dass wir mit Traceless einen kleinen Beitrag leisten können, indem wir zeigen, was man als weibliches Gründungsteam mit einem diversen Team erreichen kann.

LEADERSNET: Letztes Jahr haben Sie auch eine Millionenförderung vom Europäischen Innovationsrat bekommen. Wie hat sich dies auf die weitere Entwicklung von Traceless ausgewirkt?

Lamp: Als wir die Zusage für den EIC Accelerator bekommen haben, waren wir erst einmal sehr stolz - schließlich ist der EIC Accelerator aktuell das wettbewerbsintensivste EU-Förderprogramm im Bereich der Spitzentechnologie. Die EU fördert damit innovative Ideen, die in Einklang mit den Zielen der EU Agenda stehen, beispielsweise im Bereich Nachhaltigkeit und Circular Economy. Aus 4.000 Bewerbungen wurden nur 65 Unternehmen für das Programm ausgewählt. Dass wir als junges Start-Up dabei waren, war und ist eine tolle Bestätigung für die Arbeit des gesamten Teams. Und eine Würdigung des innovativen Charakters unserer Lösung!

Baare: Neben der Anerkennung ist die Fördersumme von 2,42 Millionen Euro natürlich eine wichtige Unterstützung bei unserer weiteren Skalierung. Eine Hardwarebasierte und innovative Technologie auf den Markt zu bringen bedeutet hohe Investitionen, da wir Produktionsanlagen errichten müssen. Mithilfe unserer Seed-Finanzierung haben wir im letzten Jahr unsere Pilot-Produktionsanlage errichtet, auf der wir unsere Materialien bereits in ersten größeren Mengen produzieren. Für den Schritt zur nächstgrößeren Anlage leistet die Fördersumme einen sehr willkommenen Beitrag.

LEADERSNET: Für Traceless verwenden Sie Reststoffe aus der landwirtschaftlichen Lebensmittelproduktion. Welche Vorteile hat dies?

Lamp: Es gibt auf dem Markt bereits viele biobasierte Plastikarten – landläufig als "Bioplastik" bezeichnet. Viele dieser Alternativmaterialien nutzen allerdings pflanzliche Ressourcen, die auch direkt als Lebensmittel dienen können, beispielsweise Zucker oder Stärke. Daraus ergibt sich ein möglicher Konflikt zur Nahrungsmittelproduktion, schließlich sind die Agrarflächen begrenzt. Wir umgehen dieses Problem: Statt direkt Lebensmittel zu nutzen, nutzen wir pflanzliche Reststoffe, die zum Beispiel beim Bierbrauen oder bei der Herstellung von Speisestärke anfallen. Bei diesen Lebensmittelherstellungsprozessen wird nur der Stärkeanteil aus dem Getreide entnommen, alles andere bleibt übrig. Unsere neuartige Technologie ermöglicht uns, aus diesen pflanzlichen Rückständen die verbleibenden natürlichen Polymere und weitere natürliche Inhaltsstoffe zu extrahieren. So wird aus den Produktionsresten ein Granulat – unser Traceless Basismaterial. Dies kann von der kunststoffverarbeitenden Industrie weiterverarbeitet werden, zum Beispiel zu flexiblen Folien, Papier- und Kartonbeschichtungen und Formprodukten.

Baare: Diese pflanzlichen Reststoffe aufzuwerten, und zur Materialproduktion zu nutzen spart also zum einen Ressourcen: Energie, Kapital, wertvolle Anbauflächen für Pflanzen. Es schafft aber auch neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit, schließlich stellt unsere Technologie eine ganz neuartige Verbindung zwischen zwei Industrien her – der kunststoffverarbeitenden Industrie und der Agrarindustrie. Traceless bietet für die Herausforderungen beider Industrien eine Lösung, und ist so das Bindeglied zu einer biozirkulären Wertschöpfungskette.

LEADERSNET: Wie lässt sich Ihr Material in der Praxis nutzen?

Lamp: Unsere Materialien können Plastik in einer Vielzahl von Produkten ersetzen – von Lebensmittel- und Non-Food-Verpackungen über Einwegprodukte und Beschichtungen bis hin zu Produkten mit hohem Abrieb, der zur Freisetzung von Mikroplastik führt. Obwohl es aus rein natürlichen Inhaltsstoffen besteht, kann unser Basismaterial mit vielen gängigen Verarbeitungstechnologien der Kunststoffindustrie weiterverarbeitet werden. Es vereint also die vorteilhaften Eigenschaften von Kunststoff, und ist dabei komplett biozirkulär und kompostierbar.

Baare: Das Interesse der Kunden ist jedenfalls sehr groß. In den kommenden Monaten werden wir erste Produkte in Pilotprojekten auf den Markt bringen und wir bekommen immer weitere Anfragen aus verschiedenen Bereichen – von Herstellern aus der Konsumgüterindustrie, Verpackungsproduzenten, Forschungsinstituten, durchaus auch von Verarbeitern der Kunststoffindustrie. Dabei ist vom Nachhaltigkeits-Start-up über den traditionellen Mittelstand zum Weltkonzern eigentlich alles dabei – das zeigt, wie groß die Bereitschaft zum Erkunden neuer Lösungen auf allen Ebenen ist.

LEADERSNET: Wenn man in den Supermarkt geht, bekommt man schnell den Eindruck, dass Ernährung ohne Plastik fast nicht mehr möglich ist. Wie wollen Sie hier trotzdem eine Trendwende erreichen?

Lamp: Zunächst ist uns wichtig zu betonen: Wir kämpfen nicht gegen das Plastik in den Regalen, sondern gegen unsere Abfall- und Verschmutzungsprobleme. Wo immer geschlossene Rohstoffkreisläufe gesichert werden können, und der Einsatz von Rezyklaten möglich ist, können Plastikprodukte eine gute und nachhaltige Lösung sein. Das Problem ist nicht das Material selbst, sondern unser Umgang damit. Studien zeigen: Wenn wir nichts unternehmen, wird sich die Menge an Plastikmüll, die täglich in den Ozeanen landet, bis 2040 verdreifachen. Es braucht einen ganzheitlichen Systemwechsel, bei dem viele verschiedene Maßnahmen zusammenspielen – und kompostierbare, natürliche Materialalternativen spielen dabei eine wichtige Rolle.

Baare: Wir sind zum Glück bei Weitem nicht die Einzigen, die die Dringlichkeit der Situation erkannt haben. Die EU hat sich bereits vor einiger Zeit dazu aufgemacht, die Verwendung von Kunststoffen zu regulieren und in vielen Produkten sogar zu unterbinden. Dazu kommt, dass dank der jahrelangen Arbeit von NGO's und Umweltverbände das Bewusstsein für ökologische Themen in der Gesellschaft stark gestiegen ist. Konsumentinnen und Konsumenten wissen um das Problem der Plastikverschmutzung. Nimmt man beide Aspekte zusammen, ergibt sich ein sehr hoher Druck auf Hersteller und Industrie, ihre Produkte nachhaltiger zu gestalten und neue Lösungen zu finden. Die Trendwende ist also bereits voll im Gange – und das hilft uns als Anbieter einer Lösung natürlich ungemein.

LEADERSNET: Der Vorteil von Plastik ist, dass es günstig ist. Traceless soll mit Neukunststoffen preislich konkurrieren können. Wie wollen Sie das möglich machen?

Lamp: Viele Kunststoffalternativen basieren auf einem aufwändigen und damit kostenintensiven Herstellungsprozess, beispielsweise der Fermentation durch Mikroorganismen. Unsere Technologie basiert auf einem effizienten Prozess, der sehr ressourcenschonend ist, und zudem ohne giftige Chemikalien auskommt. Außerdem ist unser Prozess sehr gut skalierbar – unter anderem dadurch, dass das Rohmaterial, mit dem wir arbeiten, in großen Mengen weltweit verfügbar ist.

Baare: Genau durch diese Skalierung können wir auf industriellem Produktionsniveau preislich konkurrenzfähig sein. Kunststoffe sind schließlich auch deswegen billig, weil sie in Massen produziert werden. Natürlich können wir die entsprechenden Produktionskapazitäten nicht über Nacht errichten. Noch sind wir in der Pilotphase und es liegt noch ein weiter Weg vor uns und unserem Technologie-Team – aber das Potential ist da. Außerdem denken wir weiter: Aus Sicht der Hersteller ist nicht nur der Materialpreis relevant, sondern auch, welche Kosten in der Weiterverarbeitung entstehen. Traceless ist so konzipiert, dass es mit den gängigen Maschinen der Kunststoffverarbeitung kompatibel ist. Der letzte Faktor: Die Preise für Neukunststoffe steigen, unter anderem hat die EU eine Steuer auf Neukunststoffe erhoben, die den Preis fast verdoppelt. Diese längst überfällige Maßnahme kommt uns natürlich entgegen.

LEADERSNET: Oft müssen biologisch abbaubare Verpackungen in Industrieanlagen kompostiert werden, damit sie abgebaut werden können. Traceless verrottet auch im Straßengraben. Was macht hier den Unterschied?

Lamp: Der Unterschied liegt wie so oft im Detail – also in der stofflichen Zusammensetzung der Materialien. Biologische Abbauprozesse wie die Kompostierung erfolgen durch natürliche Mikroorganismen. Unsere Materialien bestehen aus rein natürlichen Inhaltsstoffen, daher sind diese Mikroorganismen bereits sehr gut an sie angepasst, und können sie gut verarbeiten. Die gängigen biologisch abbaubaren Verpackungen bestehen dagegen aus Stoffen, die synthetisch hergestellt wurden. Für den biologischen Abbau braucht es daher die optimierten Bedingungen einer industriellen Kompostierung, und selbst dort dauert der Abbau häufig noch zu lange, sodass diese Materialien oft nicht in der Biotonne zugelassen sind. Traceless dagegen kann unter natürlichen Bedingungen zersetzt werden, beispielsweise auf dem heimischen Kompost, und baut sich dort innerhalb weniger Wochen ab – genau wie ein Naturmaterial.

Baare: Die Kompostierbarkeit unter natürlichen Bedingungen ist aber nur ein Aspekt, den wir bei der Entwicklung berücksichtigt haben. Die ökologischen Herausforderungen sind komplex, und es braucht ganzheitliche Lösungen – viele vermeintliche Lösungen sind zwar in einem Aspekt ökologisch, verursachen aber dafür an anderer Stelle wieder neue Probleme. Das kann nur verhindert werden, wenn man von Anfang an alle Wirkungsindikatoren im Blick behält: Klimaemissionen, Verbrauch von Agrarflächen und Wasser, Energiebedarf, die Vermeidung giftiger Stoffe. Um diese im Blick zu behalten, hilft eine Lebenszyklusanalyse, die unser Impact Investor Planet A auf unseren Prozess bereits durchgeführt hat, und die bestätigt hat: Traceless ist in all diesen Punkten eine nachhaltige Lösung.

LEADERSNET: Traceless wurde in der Öffentlichkeit bereits mit Interesse wahrgenommen. Welche Schritte stehen nun als Nächstes an?

Lamp: Wir arbeiten mit Hochdruck daran, unsere Produktionskapazitäten weiter auszubauen. Parallel optimieren wir unsere Materialien für die Weiterverarbeitung zu Endprodukten. Mit Kunden, die im Bereich nachhaltige Materialien eine Leuchtturmrolle einnehmen, entwickeln wir erste Produkte aus unseren Materialien, ein Beispiel dafür sind Kooperationsprojekte mit Otto und Lufthansa. Noch dieses Jahr bringen wir diese in Pilotversuchen auf den Markt – es verspricht also, ein spannendes Jahr zu werden.

Baare: Bis 2030 möchten wir mit Traceless der führende Anbieter für kompostierbare, ganzheitlich nachhaltige Plastikalternativen werden. Unser Ziel ist es, Plastik in so vielen Produkten wie möglich zu ersetzen, die potentiell in der Natur landen können. Unser Material soll nicht nur helfen, die Plastikverschmutzung zu lösen, sondern einen ganzheitlich positiven Fußabdruck hinterlassen. (nf)

www.traceless.eu

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