Leadersnet: In Ihren Forschungen untersuchen Sie auch Bewältigungsstrategien. Welche Methoden haben sich als besonders effektiv erwiesen, um Einsamkeit zu überwinden? Welche Strategien und Maßnahmen können Einzelpersonen ergreifen, um das Gefühl der Einsamkeit zu überwinden oder zu mildern?
Scheele: Metaanalytische Evidenzen zeigen, dass Interventionen, die negative kognitive Erwartungen verändern, besonders wirksam gegen Einsamkeit sind. Einsame Menschen haben oft negative Erwartungen; wie die Erwartung, dass anderen Menschen nicht vertraut werden kann. Interventionen, die diese Erwartungen verändern, können hilfreich sein. Ebenso sind Interventionen, die Möglichkeiten für neue soziale Kontakte schaffen, wirksam gegen objektive soziale Isolation.
Es ist wichtig zu betonen, dass Einsamkeit keine Krankheit ist. Jeder Mensch verspürt von Zeit zu Zeit Einsamkeit. Wenn dieses Gefühl jedoch länger anhält, kann es gefährlich werden. Strategien sollten darauf abzielen, negative Erwartungen zu ändern und neue soziale Kontakte zu knüpfen.
Leadersnet: Wie können Gemeinschaften und Gesellschaften als Ganzes effektiv gegen Einsamkeit vorgehen und den sozialen Zusammenhalt stärken? Welche Ansätze und Forschungsergebnisse Ihrer Arbeit halten Sie für besonders vielversprechend, um das Problem der Einsamkeit anzugehen?
Scheele: Ich glaube, es gibt hier bisher kein Allheilmittel. Es ist klar, dass es auf gesellschaftlicher Ebene wichtig ist, soziale Ausgrenzung zu vermeiden. Soziale Ausgrenzung kann ganz verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel kann sie durch Sprachbarrieren oder demographische Faktoren wie das Alter entstehen. Wir wissen alle, dass es im höheren Lebensalter sehr viel schwieriger werden kann, soziale Kontakte aufrechtzuerhalten, besonders wenn gesundheitliche Probleme hinzukommen, die es schwerer machen, am sozialen Leben zu partizipieren. Da ist es wichtig, dass wir als Gesellschaft versuchen, einer solchen sozialen Exklusion keinen Vorschub zu leisten und eben ältere Menschen nicht an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Natürlich halte ich auch politische Maßnahmen, die gegen Einsamkeit initiiert werden, für sehr sinnvoll. Aber nach meinem Dafürhalten gibt es kein Allheilmittel, das das Problem von heute auf morgen löst.
Leadersnet: Welche Rolle spielen Politik und Gesundheitswesen bei der Bekämpfung von Einsamkeit und was müsste Ihrer Meinung nach auf diesen Ebenen noch verbessert werden? England initiierte ein Ministerium für Einsamkeit und auch in Japan ist dieses Thema präsenter als in Europa.
Scheele: In vielen Ländern wird das Thema Einsamkeit von der Politik als bedeutsames Problem erkannt. Das Thema ist auch in Deutschland mittlerweile in der politischen Agenda angekommen. Zum Beispiel gibt es vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Einsamkeitsstrategie und auch Sensibilisierungskampagnen. Das besteht aus Werbung, die geschaltet wird, YouTube-Videos, aber auch regionalen Veranstaltungen, bei denen die breite Bevölkerung gegenüber dem Thema sensibilisiert werden soll. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Gerade vor dem Hintergrund, dass man sieht, dass Einsamkeit eine so große gesundheitliche Relevanz hat und ein modifizierbarer Risikofaktor ist. Insofern halte ich das für sehr wichtig.
Aber ich hatte es ja auch schon kurz angedeutet: Wir wissen sehr gut, dass Einsamkeit mit massiven gesundheitlichen Konsequenzen verbunden ist. Wir brauchen aber noch ein besseres Verständnis darüber, welche spezifischen neuro-hormonellen oder immunologischen Mechanismen Einsamkeit zu einem solchen Krankheitsrisiko machen. Hier wird also weitere medizinpsychologische Forschung erforderlich sein, um diese Mechanismen im Detail zu verstehen und basierend auf einem solchen besseren Verständnis auch gezielte Interventionen zu entwickeln.
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