Die aktuelle Arbeitsmarktsituation sorgt dafür, dass Bewerber:innen ihre Ansprüchen an ihren zukünftigen Arbeitgeber nach oben geschraubt haben. So sind zwei Drittel (66,9 Prozent) jener Menschen, die aktuell auf dem Arbeitsmarkt aktiv sind, nicht aus purer Not auf Jobsuche, sondern weil sie sich beruflich verbessern möchten. Dennoch setzen Arbeitgeber:innen mehrheitlich in ihren Recruitingprozessen auf Auswahl, nicht auf Überzeugung. Das zeigt eine aktuelle Umfrage des E-Recruiting-Unternehmens Softgarden unter 3.575 Bewerbern.
Der Anteil derjenigen, denen gekündigt wurde und die sich danach bewerben müssen, ist trotz Krise und Inflation von Mitte 2022 bis zur Jahreswende 2022/2023 nur um 1,4 auf 8,6 Prozent gestiegen.
Bewerber sind Kunden
62,2 Prozent der Befragten stimmen aktuell dem Statement zu, Bewerber:innen seien Kund:innen und Arbeitgeber:innen müssten sich um sie bemühen. Im Vergleich zu Menschen mit Haupt- oder Realschulabschluss sehen sich Akademiker:innen in ihrer Bewerberrolle mit 65,8 Prozent häufiger als Kund:innen. Aber auch die Mehrheit der Nichtakademiker:innen identifiziert sich mit der Kundenrolle (58,6 Prozent). Dass Bewerber:innen begehrt sind, ist offensichtlich mittlerweile auch bei einer Mehrheit der Bewerber:innen ohne Hochschulabschluss angekommen, auch wenn der "War for Talent" bei akademischen Zielgruppen begonnen hat.
81,5 Prozent der Bewerber:innen begegnen eigenen Angaben zufolge Arbeitgeber:innen im Bewerbungsprozess "auf Augenhöhe". Für das Statement "Bei der Bewerbung sitze ich am längeren Hebel und versuche möglichst viel für mich herauszuholen" votieren dagegen nur 22,1 Prozent der Befragten. Der Anteil unter den Jüngeren (unter 25 Jahren), die glauben, bei der Bewerbung am "längeren Hebel" zu sitzen, ist mit 29.3 Prozent deutlich höher als bei den Älteren (über 45 Jahre) mit 14 Prozent.
Bewerbungsgespräche – auf Auswahl geeicht
Die Funktion der ehemals "Auswahlgespräche" genannten Jobinterviews hat sich im Blick der Kandidaten deutlich verändert. 82 Prozent der Bewerber:innen wünschen sich mittlerweile, dass diese "auf Augenhöhe zwischen Bewerbern und Unternehmen geführt werden". In der Realität machen aber nur 37,2 Prozent die Erfahrung, dass Bewerbungsgespräche tatsächlich so geführt werden. Die Mehrheit von 51,8 Prozent der Bewerber:innen erlebt Jobinterviews nach wie vor als "Auswahlgespräche", in denen Unternehmen vor allem die Kandidateneignung abprüfen.
Haben sich angesichts des zunehmenden Mangels an Arbeitskräften die Bemühungen der Unternehmen intensiviert, Mitarbeiter:innen an Bord zu halten? Die Umfrage lässt Zweifel daran aufkommen. Eine große Mehrheit von 60,6 Prozent der scheidenden Mitarbeiter:innen geht stumm und spricht vorher weder mit der Führungskraft noch mit der Personalabteilung über das Vorhaben, den Arbeitgeber zu verlassen.
Bewerbung: Dating oder Zahnarztbesuch?
Mit welchen Lebenssituationen vergleichen Bewerber:innen aktuell die Jobsuche? Die am häufigsten gewählten Referenzsituationen sind eher positiv besetzt: 41,2 Prozent vergleichen die Jobsuche mit dem Kennenlernen eines neuen Partners, das ein Kribbeln im Bauch verursacht, 28,1 Prozent sehen sie als "Teilnahme an einem Sport", den sie gut beherrschen. Immerhin 8,2 Prozent vergleichen die Jobsuche jedoch mit einem Besuch beim Zahnarzt – trotz aller Diskussionen in der HR-Fachwelt um Candidate Experience und der Beteuerung der Unternehmen, ihre Bewerber:innen "begeistern" zu wollen.
Für die meisten Befragten gilt: Ihre Arbeit macht Sinn – auch jenseits des Vergütungsaspekts. 84,9 Prozent der Befragten würden trotz Lottogewinn weiterhin arbeiten gehen. "Purpose" spielt dabei jedoch nicht die stärkste Rolle. Wesentlich für das Sinnempfinden im Job ist das "Erleben der eigenen Leistungsfähigkeit". 70,2 Prozent nennen es als Grund, warum sie trotz üppiger finanzieller Versorgung weiterarbeiten würden. Ein "positiver Unternehmenszweck" wird dagegen nur von 51,9 Prozent genannt.
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