Die Lage in der deutschen Wirtschaft bleibt angespannt und lässt infolge der anhaltenden Risiken und bestehenden Geschäftshemmnisse auch für die nächsten Monate nur wenig Gutes hoffen. Das zeigt der jüngste "CFO Survey" von Deloitte, für den im Frühjahr über 140 Finanzvorstände großer Unternehmen befragt wurden.
Hoffnungen auf baldige Normalisierung zerschlagen
Demnach haben sich die aktuellen Geschäftsaussichten gegenüber der vorangegangenen Untersuchung im Herbst 2021 nach einer kurzen Erholungsphase mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs wieder deutlich verschlechtert, wobei die Sektoren unterschiedlich stark von den Risiken betroffen sind. Ebenfalls pessimistisch sehen die Finanzchefs Inflation und Lieferkettenthematik, die Unternehmen stark unter Druck setzen und die mittelfristig eine Herausforderung bleiben dürften.
"Die vielfach gehegten Hoffnungen auf eine baldige Normalisierung nach der Covid-Krise haben sich mit dem Krieg in der Ukraine zerschlagen", sagt Dr. Alexander Börsch, Chefökonom bei Deloitte. "Mit den vielschichtigen Folgen des Konflikts, den anhaltenden Störungen der Lieferketten und der gestiegenen Inflation ändert sich auch die Risikolandschaft für Unternehmen fundamental. Die neuen geopolitischen Gefahren sowie ihre Folgen – beispielsweise im Energie- und Rohstoffbereich – werden jetzt von den CFO als am relevantesten wahrgenommen. Ein Großteil erwartet, dass der Krieg auch langfristige politische und wirtschaftliche Folgen haben wird und durch eine verstärkte politische Blockbildung auch die internationale Zusammenarbeit und der internationale Handel in Zukunft gefährdet sein könnten."
Unsicherheit fast auf Corona-Niveau
Darüber hinaus sind die Finanzvorstände vor allem über die steigenden Energie-, Transport- und Rohstoffpreise besorgt – deren langfristigen Folgen bestimmen vielerorts bereits die CFO-Agenda, so die Studie. Für über drei Viertel der CFO gehören geopolitische Risiken und steigende Energiekosten in den nächsten zwölf Monaten zu den Toprisiken für ihre Unternehmen. So erwarten acht von zehn der befragten Unternehmen eine zunehmende Blockbildung in der internationalen Politik – und damit einhergehend eine Gefährdung für den freien weltweiten Handel und die fortgeschrittene Globalisierung der Produktionsströme.
Schon jetzt sind die Lieferschwierigkeiten infolge von Covid und Krieg ein enormes Problem: Knapp 60 Prozent der befragten Unternehmen kämpfen mit Unterbrechungen der Lieferketten. Hoffnung auf eine schnelle Entspannung noch in diesem Jahr hegen magere fünf Prozent der Unternehmen. Zugleich bleiben die Vor-Kriegs-Risiken konstant hoch, für zwei Drittel der Unternehmen ist der Fachkräftemangel weiterhin ein großes Risiko. Die Stimmung lässt sich auch in der hohen Unsicherheit ablesen, die Finanzvorstände momentan im ökonomischen Umfeld sehen: Mit 74 Prozent liegt der Anteil derer, die die Unsicherheit als hoch oder sehr hoch einschätzen, nahe dem bisherigen Rekordwert (78 Prozent) aus der ersten Corona-Welle.
Deutlicher Einbruch
Einher mit dem gestiegenen Unsicherheitsgefühl geht ein deutlicher Stimmungsabschwung bei deutschen Unternehmen: Deren Konjunktur- und Geschäftsaussichten brechen in der aktuellen Studie ein, während zugleich die Inflationserwartungen der Finanzvorstände sehr deutlich ansteigen. Entsprechend sinken die Investitions- und Beschäftigungsabsichten der befragten CFO, zumal sie überwiegend einen Rückgang der operativen Margen erwarten.
So zwingen etwa anhaltende Lieferkettenprobleme, Energieengpässe und rasant steigende Preise die Unternehmen schon jetzt, ihre Planungen und Budgets dynamischer zu gestalten. Angesichts des zunehmend volatilen Geschäftsumfelds entsprechen für immerhin 52 Prozent der Finanzvorstände die klassischen Planungsbudgets nicht mehr den veränderten Anforderungen. Das größte Optimierungspotenzial sehen die CFO bei strukturellen Anpassungen der Prozesse sowie bei Budgetierungsansätzen (41 Prozent), gefolgt von Digitalisierung und Analytics (21 Prozent) sowie neuen Tools und Systemen (18 Prozent). Weniger Entwicklungspotential wird in der Automatisierung und End-2-End-Integration (je sieben Prozent) gesehen.
Sektoren unterschiedlich betroffen
Der Stimmungseinbruch infolge der herausfordernden Bedingungen betrifft die Sektoren und Industrien in unterschiedlichem Maß: Besonders ausgeprägt ist der Einbruch in der Autoindustrie, wo 83 Prozent eine Verschlechterung der Geschäftsaussichten wahrnehmen. Auch in der Konsumgüterindustrie (73%) und im Maschinenbau (59%) blickt man pessimistischer als noch vor drei Monaten in die Zukunft. Insgesamt wird das verarbeitende Gewerbe von den Folgen des Ukraine-Krieges am härtesten getroffen - die hohen Energiepreise machen dieser Branche ganz besonders zu schaffen, zudem sind Rohstoffe Mangelware.
Acht von zehn CFOs und damit mehr als in der ersten Pandemiewelle schätzen die Unsicherheit im verarbeitenden Gewerbe daher als hoch beziehungsweise sehr hoch ein. Das Risiko steigender Kosten hat in nahezu allen Branchen sprunghaft zugenommen, wohingegen der Fachkräftemangel im Vergleich zum vergangenen Herbst an Bedeutung verloren hat. Größere Probleme plagen Konsumgüterindustrie und Maschinenbau vielmehr infolge von Transportverzögerungen bei der Lieferung der Produkte an Endkunden.
Diversifizierung statt Produktionsverlagerung
"Neben den gestiegenen Kosten wiegen die Lieferkettenprobleme für die Industrie am schwersten", sagt Rolf Epstein, Leiter CFO Program bei Deloitte. "Um die Produktion resilienter zu gestalten, setzen die Unternehmen vor allem auf eine Diversifizierung von Lieferanten und Vertriebswegen. Auch eine Erhöhung der Lagerbestände stehen für fast die Hälfte der CFOs im Fokus, während ein Reshoring der Produktionsstandorte für die meisten Unternehmen zurzeit nicht zur Diskussion steht. Es zeigen sich jedoch deutliche Branchenunterschiede, besonders die von Lieferengpässen geplagte Industrie ist zu deutlich tiefgreifenderen Maßnahmen bereit. Demnach planen zwei Drittel der befragten Unternehmen im Automobilsektor ihre Lieferanten zu diversifizieren - die Hälfte kann sich sogar eine Verlagerung von Produktionsstätten in Zukunft vorstellen. Interessanterweise steht der Einsatz digitaler Planungswerkzeuge hier industrieübergreifend noch im Hintergrund." (as)
www.deloitte.de
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